Emile und Clairette

Als ich sieben oder acht Jahre alt war, schenkten mir meine Eltern zu Weihnachten ein Prinzessinnenkleid. Es war weinrot, mit ausgestelltem Taftrock und samtenem Oberteil. Ich sah darin aus wie eine Kreuzung aus Rotkäppchen und Dornröschen, und fühlte mich unglaublich schön.

Mehr als 10 Jahre später ist es wieder Zeit für eine großen Robe; nach dem ich nun nämlich endlich mit großer Erleichterung die Abiturprüfungen hinter mich gebracht habe, steht heute Abend der traditionelle Ball zu diesem Anlass an. Ein großartiges Ereignis, wie bereits hier erwähnt die ultimative Party der Selbstinszenierung für meinen versnobten Jahrgang und mich, und endlich kann man dort also, nach Jahren der Demut und Bescheidenheit, auch modisch betrachtet einmal die Sau rauslassen. Allerdings hat sich mein Kleidungsgeschmack seit dem letzten Großereignis dieser Art (Prinzessin-spielen unterm Weihnachtsbaum) drastisch gewandelt. Minimalimus und zurückhaltende Raffinesse standen bei mir bei der Suche nach dem perfekten Kleid ganz oben auf der Agenda, und so stattete ich bereits im Dezember Modebloggers Lieblingsladen einen kleinen Besuch ab – Acne

Ja, ich weiß, Acne Acne Acne, immer nur Acne – aber Verzeihung, diese Schweden treffen nun mal mit ihren unaufdringlich-eleganten Kleidern Saison für Saison verlässlich mein dezentes Stilempfinden. Dennoch verlief das erste Zusammentreffen mit dem einzigartigen Emile-Kleid aus der vergangenen Herbst-Winter-Kollektion des Hauses eher spontan – etwas gelangweilt stromerte ich in der Vorweihnachtszeit in der Stadt herum, kam rein zufällig (naja, so zufällig nun auch wieder nicht) bei Acne vorbei und probierte dort aus Spaß die auf dem Bügel so unscheinbar anmutende, stahlblaue Seidenrobe an. Und wie das so ist: kaum ist man in ein solches Traumkleid geschlüpft, noch dazu im angenehmen Oasen-Ambiente des Hamburger Acne-Stores, so ist es vorbei mit der Vernunft. Ich konnte nicht anders, Emile schien wie gemacht für Clairette höchstpersönlich, mit dieser exquisiten diagonalen Silhouette, dem beeindruckenden Rückenausschnitt, dem verführerischen Beinschlitz – und so bekam die kleine Acne-Familie in meinem Kleiderschrank, bis dato aus Rita und einem Paar namenloser Sommersandalen bestehend, noch vor dem Christfest Zuwachs.
6 Monate später bin ich immer noch vollkommen verknallt in meine liebe Emile und werde heute, mit dem tollen Gefühl, über Nacht zu einer griechischen Göttin mutiert zu sein, in dieses utopisch wundertraumschöne Kleid steigen, das mich ein kleines Vermögen gekostet hat und ebenso wie alle anderen Acne-Stücke in meinem Kleiderschrank unter Garantie eines Tages mit ins Grab genommen werden wird. Die Täschchenfrage ist weiterhin ungeklärt, auf meinen schwarzen Pfennigabsatzhacken werde ich nach 20 Minuten vermutlich enorme Fußsohlenkrämpfe bekommen und aufgrund des stürmischen Wetters verhält sich mein Haarschopf heute ganz besonders widerspenstig – aber was soll’s, ich trage das himmlischste Kleid überhaupt, und keine Prinzessinnenrobe auf dieser Welt könnte mein Ich so optimal und authentisch widerspiegeln, wie Emile. 
Zum Acne-Dress trage ich High-Heels von Zara, ein Armband von H&M und Lippenstift von Artdeco.