With compliments

GUTE-LAUNE-GRÜßE AUS DER HAUPTSTADT DES OPTIMISMUS

Guten Morgen schöne Welt! Na, ausgeschlafen? Schon gefrühstückt? Scheint die Sonne? Wenn nicht, auch egal! So lange wir nicht gerade in Bagdad, Damaskus oder Sierra Leone wohnen, dafür ein Dach überm Kopf und einen Schluck Kaffee in der Tasse haben, kann es doch eigentlich nur Anlass zu guter Laune geben, oder nicht?

Hierzulande im schönen New York gehört die gesunde Dosis Optimismus zum Tagesoutfit. Man zieht ihn sich morgens nach dem Aufstehen über wie ein frisch gewaschenes T-Shirt, und dann kann der Tag losgehen – egal ob man auf der Park Avenue in einem Loft mit Aussicht bis nach Connecticut wohnt oder sich ein Kellerloch mit einem müffelnden Mitbewohner teilt. Aus irgendeinem Grund sind mir in dieser Stadt, die vielen Leuten mit ihrer immensen Wucht und dauerhaften Hochleistungsspannung sicherlich auch ziemlich schaden kann, bei weitem noch nicht so viele Miesepeter wie in Deutschland begegnet. Komisch! Dabei geht es uns in Europa doch wirklich nicht schlechter als den Menschen hier. Aber gerade unser aufregendes, abwechslungsreiches und dabei auch noch herrlich preiswertes Berlin scheint mir gelegentlich ein richtiges Sammelbecken für überdurchschnittlich viele schlecht gelaunte Gestalten zu sein.

Dass die New Yorker trotz aller Hektik nach meinen Ermittlungen entschieden besser drauf sind als die Berliner, fällt zum Beispiel daran auf, dass man hier  eindeutig häufiger Komplimente von wildfremden Leuten zu hören bekommt. Ein Griesgram verteilt keine Komplimente, dafür muss man schon gute Laune haben. Aber wann ist das Kompliment eigentlich in Deutschland ausgestorben? Unter Freunden und Ehepartnern mag man ja noch ein paar schmeichelhafte Worte für seine Mitmenschen übrig haben. Aber sonst? Dagegen sind New Yorker Straßen die reinste Freundschaftsbörse.

„Oh. My. God!“, stieß neulich zum Beispiel eine etwa gleichaltrige Frau auf der Lafayette Street in NoHo mit begeistertem Augenrollen hervor, als ich in dem Kleid, das wir hier sehen, neben ihr an der Ampel stand. „You look A M A Z I N G!“ Dann schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln und zog von dannen, ehe ich mich bedanken konnte. Die Amerikaner haben ja so eine spezielle Art, Enthusiasmus auszudrücken. Die meisten Europäer können damit anscheinend nicht umgehen, anders kann ich mir jedenfalls nicht den Ursprung jenes üblen Gerüchts erklären, das besagt, die Amerikaner seien ja so schrecklich oberflächlich. Stimmt gar nicht! Nur weil sie sich nicht über alles und jeden aufregen, nicht alles und jeden vierundzwanzigmal kritisch hinterfragen und fremde Leute von vornherein mit einem misstrauischen Head-to-toe-Scan mustern, muss das noch lange kein Indiz für Seichtheit sein.

Viele Leute finden, der amerikanische Optimismus sei nichts weiter als Opportunismus, geradezu krankhaft, und nur dazu gut, um andere zum Kaufen, Konsumieren oder was man den Amerikanern sonst noch so vorwirft zu verführen. Aber das einzige, was ich an der hier nahezu flächendeckend guten Laune wirklich krank finde, ist die Ansteckungsgefahr, die von ihr ausgeht. Seitdem mir vollkommen unbekannte Leute auf der Straße erzählen, wie toll sie meine Schuhe, meine Haare, meinen „amazing“ Pullover oder sonst irgendwas an mir finden, habe ich auch selbst angefangen, meinen New Yorker Mitbürgern einfach mal die Meinung zu sagen. Neben mir in der U-Bahn steht ein Frau mit elegantem Hut auf dem Kopf. „I love your hat!“ sage ich und lächle freundlich und sie lächelt auch und schon sind zwei Menschen mehr auf dieser Welt guter Dinge. Komplimente sind wie Weihnachtsgeschenke: es ist nicht nur schön, sie zu bekommen, sondern auch, welche zu verteilen.

Dieser Artikel soll kein Plädoyer für mehr Eitelkeit sein. Tatsächlich machen Komplimente gar nicht arrogant, viel mehr wirken sie für beide Seiten herrlich beflügelnd. Und ich poste diese Bilder von meinem schönen Kleid, das Freya Dalsjø genäht hat, nun auch nicht primär, um unter diesem Artikel eine frische Wagenladung Schmeicheleien einzufahren. Sie sollen nur als Bebilderung für einen Aufruf zu mehr zwischenmenschlichem Optimismus dienen. Hausaufgabe des Tages von Clairette für alle Griesgrame: rausgehen und der nächsten schönen Person ein Kompliment machen. Im besten Fall bekommt man selbst noch eins zurück.

Kleid von Freya Dalsjø, schwarzer Seidenschal: DIY, Handtasche: & Other Stories, Mules: Tibi