Eine Handtasche in Beirut

AUS DEM REISETAGEBUCH EINER SCHWARZ-WEIßEN MINAUDIÈRE


Wenn ich in Beirut bin, möchte ich auf der Stelle Vespa fahren. In Beirut fahren alle Vespa, wenn sie nicht gerade Chevrolet, Porsche oder Klappertaxi fahre. Ich fahre auch gern Taxi, aber von der Ritze des Rücksitzes, in die ich immer so schnell hineinrutsche, ist die Aussicht schlecht. Mit der Vespa geht es querfeldein, im Zickzack über den Highway, ohne Helm. Das finde ich aufregend. Ich brauche auch keinen Helm, denn ich bin zwar Deutsch, aber aus solidem Metall gefertigt, mein Verschluss ist mit Leder bezogen, mir kann eigentlich nichts passieren. Nur einmal, da bin ich bei der Pariser Modewoche im Gedränge vor einer Show auf den Boden gefallen. Mein Gehäuse brauch auseinander. Nach einer Notoperation war ich schnell geheilt, aber eine kleine Schramme ist geblieben.

Seitdem gehe ich nicht mehr gern auf Modenschauen. In Beirut finde ich es viel spannender. Ich sehe aus wie eine abendtaugliche Minaudière für Cocktailparties, dabei kann man mich wirklich überall mit hin nehmen. An den Strand, in die Berge, aufs Rockkonzert, in die Imbissbude. Ich bin eine Tasche zum Pferdestehlen. Klein, aber robust wie ich bin, trage ich nur das Nötigste mit mir herum. Eine Packung Chiclets – libanesisches Kaugummi in rot-gelber Retroverpackung, das nach zwei Minuten Kauen seinen Geschmack verliert. Ein paar Dollar und einige Tausend libanesisches Pfund, denn im Libanon kaufen sie mit zwei Währungen. Mehr passt nicht in mich hinein

Ich baumle einen Meter über dem Boden und lasse mich so durch die Stadt tragen, das ist sehr bequem. Aus dieser Perspektive bekomme ich vieles zu sehen. Die Leute auf der palmengesäumten Corniche, die Ruine des im Bürgerkrieg zerbombten Holiday Inn oberhalb von Zaitunah Bay, das traditionelle Grandhotel Phoenicia, in dem seit Jahrzehnten alles Hochzeit feiert, das im Libanon Rang und Namen hat.

Der Sporting Beach Club liegt am Ende der Corniche direkt am Wasser, aber neulich hat hier ein Sturm gewütet und den weißen Betonbau mit den roten Holztüren und blauen Balustraden stark beschädigt. Die Pools sind noch leer, und im Meer dümpelt aufgrund ungünstiger Strömung Plastikmüll. Das hindert die Beirutis aber nicht daran, sich hier schon Anfang April auf den weißen Plastikliegen zu bräunen. Der Sporting ist berühmt für seine romantische Schäbigkeit. Touristen kommen hier nicht her. Zwischen den schönen braunen Libanesinnen in ihren schicken bunten Bikinis fühle ich mich pudelwohl. Manche von ihnen beäugen mich neugierig.

Wenn man als weibliche Handtasche die Corniche entlang spaziert, wird man häufig von Männern mit Gelfrisur und viel Brusthaar angequatscht. Manche sagen helweh, hübsch. Die meisten pfeifen mir nur hinterher. Aber ich bin eben auch ein Prachtstück. Mit meiner schwarz-weiß gescheckten Zebrafront, den glänzenden Lackstreben, der goldenen Fassung, dem zylinderförmigen Knipsverschluss und meinem langen funkelnden Kettenhenkel entspreche ich dem libanesischen Schönheitsideal ganz hervorragend. Der libanesische Stil ist nicht orientalisch kitschig, sondern von dekorativer Eleganz. Die Architektur der Häuser ist nicht überladen, sondern von der Natur und vom Licht inspiriert. Die Räume sind mit feinen, gemusterten Kacheln ausgelegt, die Decken hoch, die Fenster gebogen, oben spitz zulaufend und mit Schnörkeln und Kringeln verziert. Manche Fassaden erinnern noch an die Zeit des Osmanischen Reiches, andere wurden in den 60er Jahren gebaut und wirken eher geometrisch schlicht, mit vielen Grünpflanzen und Palmen, die über die Balkonbalustraden wuchern.

Mein Traumhaus habe ich schon gefunden: ein mediterranes Stadthaus mit grünen Fensterläden und buntem Blumenbewuchs. Ist es nicht wunderschön? Sogar das Klingelschild gefällt mir. Im Erdgeschoss ist ein kleines Geschäft, das Staubwedel, Kaugummi, Brot und Kaffee verkauft. Die schmiedeeiserne Eingangspforte ist mit herrlichen Ornamenten versehen. Hier lasse ich mich gern hängen.

Dieses Haus steht in Mar Mikhael, das ist sowas wie das Kreuzberg von Beirut. In der Hauptstraße reiht sich eine Bar neben die andere. Die Menschen sind jung und schön, die betonierten Treppenaufgänge zwischen den Häusern bunt bemalt. In Europa denken vielleicht manche Leute, im Libanon dürfe man keinen Alkohol trinken, müsste mit Kopftuch herumlaufen und würde den ganzen Tag Shisha rauchen. Blödsinn. Gerade in Beirut verschmelzen Tradition und Weltläufigkeit auf harmonischste Weise. Die Leute sprechen Arabisch, Französich und Englisch. Im Centre Ville stehen Kirche und Moschee ganz selbstverständlich nebeneinander. In Mar Mikhael gibt es eine Eisdiele namens Oslo, in der man feine Sorbets in Geschmackssorten wie Blutorange, Granatapfel und Rosenwasser probieren kann.
Geht man die Straße weiter Richtung Juweliersviertel Bourj Hammoud, kommt man zum Restaurant Tawlet, das versteckt in einem Hinterhof liegt. Es empfiehlt sich, hier mit gutem Hunger aufzutauchen. Das Mittagsbuffet wird jeden Tag von einer anderen libanesischen Köchin zubereitet. Es gibt Sambousek (knusprige Teigtaschen mit Spinatfüllung), Tabbouleh, Linsenpüree, Kibbeh in Minzjoghurt. Junge Mar-Mikhael-Bohemians und Geschäftsleute sitzen an langen Holztischen und trinken Limonade mit Rosenwasser. Man muss aufpassen, nicht zu viel von den Hauptspeisen zu essen, damit noch Platz für den Nachtisch bleibt. Ich platziere mich zwischen Dessertteller und Kaffee und genieße den Duft von Ma’amoul, Ostergebäck mit Pistazienfüllung.
Aber weil meine Besitzerin immer so verfressen ist und mir nie einen Happen von irgendwas anbietet, bewege ich mich lieber durch die Gegend, anstatt im Restaurant zu sitzen. Nachts im Taxi brause ich zu arabischer Popmusik durch Achrafieh. Tagsüber fahre ich raus aus der Stadt in die Berge. Die Wiesen und Hügel stehen jetzt im Frühling in voller Blüte. Gelb leuchtet das Blumenmeer, türkisfarben das Mittelmeer. Manchmal setze ich mich auf die Windschutzscheibe eines alten klapprigen Käfers, der am Straßenrand parkt, einfach so. Ich pausiere zwischen Grünpflanzen, bette mich auf Bergen von Fladenbrot, baumle an der hellblauen Fahrertür eines Schulbusses, flüchte in der Mittagshitze in eine schattenspendende Telefonzelle oder hänge mich ganz nonchalant neben einen Strauß Knoblauchzehen. Ich passe hier einfach gut hin, mit meinem schwarz-weißen Look und der goldglänzenden Fassung – und das, obwohl ich doch eigentlich aus Deutschland komme. Aber dort hat mich meine Besitzerin in einer kleinen Vintage-Boutique gefunden. Wer weiß, wer und wo ich vorher war? Vielleicht in einem osmanischen Palast das Lieblingsaccessoire einer libanesischen Prinzessin? Vielleicht die Handtasche von Amal Alamuddin, bevor sie Frau Clooney wurde? Die Wege einer Handtasche sind unergründlich.