Leicht gepackt ist weit gereist

ENDLICH GELERNT: DIE KUNST DES KOFFERPACKENS

Bildschirmfoto 2015-08-03 um 11.32.32 PMWas passiert, wenn man mit zu viel Gepäck reist?

Man wird geköpft.

Kein Witz! Es gibt für diese Theorie ein berühmtes historisches Beispiel: Marie Antoinette. Ich habe im Urlaub ihre Biografie gelesen, deshalb weiß ich das gerade. Im Sommer 1791 floh die Königsfamilie aus Paris vor dem Volksaufstand. Aber die Monarchen waren verwöhnt. Mit Rucksack zu türmen kam natürlich nicht in Frage. Eine neue, luxuriöse Kutsche musste her, eigens für die Reise gezimmert. Der Biograf Stefan Zweig bezeichnet das Ding als „ein kleines Kriegsschiff auf Rädern, das für alle erdenklichen Bequemlichkeiten Platz haben muß, silbernes Tafelgeschirr, Garderobe, Mundvorrat. Ein ganzer Weinkeller wird eingebaut und verstaut.“ Kein Wunder, dass der Fluchtversuch nicht unbemerkt blieb. Nach zwei Tagen wurden die französischen Royals mitsamt ihres mobilen Kleiderschranks vom aufgebrachten Volk zurück nach Paris gedrängt, wo sie wenig später unter die Guillotine kamen. Wären die mal lieber mit Handgepäck gereist.

Aber wer bin ich, dass ich über Marie Antoinettes exzentrischen Lebensstil spotten dürfte. Als eingefleischte Perfektionistin reise ich ja selbst ständig mit mindestes 20 Kilo Gepäck zu viel – egal, ob ich für zwei Tage noch Paris oder für vier Monate nach New York fahre. Effizientes Kofferpacken war noch nie meine Stärke. Ich hatte immer Angst, mit weniger als sechs Paar Schuhen nicht ausreichend auf alle Unwägbarkeiten des Reiseziels vorbereitet zu sein. Und wer weiß, argumentierte ich trotzig, ob ich in Kapstadt nicht doch eines Morgens mit dem dringenden Bedürfnis aufwachen werde, ausgerechnet dieses blaue Hemd anzuziehen? Besser, ich habe gleich alle meine 15 Hemden dabei! Das Kopfschütteln der Leichtpacker ignorierte ich: mit meinem extravaganten Spleen kam ich mir insgeheim ganz originell und divenhaft vor. Immer meine komplette Garderobe dabei zu haben, nannte ich einen „Luxus“. Erst jetzt habe ich verstanden, was es tatsächlich ist, nämlich eine große Dummheit.

Ich hätte früher darauf kommen können. Zum Beispiel, als ich im Dezember aus New York abreiste und meine zwei Koffer à 25 Kilo plus Handgepäck aus Geldmangel nicht bequem mit dem Taxi, sondern per Subway zum Flughafen transportierte. Ich musste dreimal umsteigen, und nicht alle New Yorker U-Bahnstationen haben Fahrstühle. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das geschafft habe: einen Koffer schob ich, den anderen zog ich, obenauf lag das Handgepäck. Nach der Hälfte des Weges blutete meine rechte Hand. Nein, das war nicht schön.

Ein Jahr zuvor reiste ich zur Modewoche nach Paris. Vier Tage. 23 Kilo Gepäck. Mais oui. Leider sind Pariser U-Bahnschächte nicht für dämliche Diven wie mich gebaut. Ewig sucht man die Ausgänge, muss Treppen rauf und runter und rauf und runter steigen. Dann kommt man irgendwann verschwitzt und schnaufend im Hotel an, wo einen die naserümpfende Rezeptionistin informiert, der Fahrstuhl sei kaputt. Désolée! Schon klar, warum die Französinnen alle so dünn sind.

Auch in London war ich mal für 48 Stunden, natürlich nicht ohne meinen großen Schalenkoffer. Das Hotelzimmer hatte die gleiche Größe wie Harry Potters Treppenschrank. Die Quadratmeterzahl des aufgeklappten Gepäcks überstieg die Fläche des Zimmers. Das war nicht so richtig bequem. Noch dazu hatte das Zimmer keinen Schrank, sodass ich meine gebügelten Kleider nirgends aufhängen konnte. Die Reise endete, wie es jedes Schaf hätte voraussagen können, mit 95 Prozent unberührtem Kofferinhalt.

Aber wie heißt es so schön? Learning by doing, wenn auch nur unter Zwangsmaßnahmen. In diesem Jahr hat mich mein Reisebegleiter zu strenger Selektion genötigt. Für acht Tage Andalusien durfte ich nicht mehr als ein kleines Handköfferchen mitnehmen. Die Wahl fiel auf zwei Paar Schuhe, ein Paar Shorts, fünf Badeanzüge, drei Bücher, eine Zahnbürste und drei Sommerkleider, von denen ich nur eines trug. So ist das nämlich, wenn man Urlaub macht: Aus Faulheit zieht man sowieso jeden Tag das Gleiche an. Und hat erst recht keine Lust, jeden Abend zwischen 14 Cocktailroben entscheiden zu müssen. Wer mit leichtem Gepäck reist, verfügt über eine der größten Eigenschaften der menschlichen Intelligenz: die Kunst, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Ich will nicht behaupten, dass diese Fähigkeit bei mir schon voll ausgereift ist. Aber ich werde besser. Nächstes Mal nur vier Badeanzüge.