Prunk it up!

KANN OPULENZ MODERN SEIN? EIN RÜCKBLICK ZUR LONDON FASHION WEEK

London Fashion WeekNachtschwarze Finsternis, gespannte Stille, dann prasselnder Dauerregen. Durch den Schleier der Dunkelheit fuhr langsam ein Holzwagon, auf dem zierliche Figuren in langen Kleidern standen. Die gedimmten Lampen leuchteten auf, der Regen verstummte, Klaviermusik setzte ein. Die Models stiegen vom Wagen und schritten in ihren Chiffonkleidern über den erdigen Laufsteg. Erdem hatte zur Modenschau geladen.

Normalerweise verbindet man mit dem Veranstaltungsformat Fashion Show grelles Scheinwerferlicht und ohrenbetäubendes Techno-Geschrei aus den Lautsprechern, dazu Models, die mit ekstatisch schwingenden Hüften und soldatischem Gesichtsausdruck den Laufsteg hinabmarschieren. Die Show von Erdem am vergangenen Montag war alles, nur das nicht. Viktorianische Emigrantinnen auf Landpartie in der amerikanischen Prairie, so ungefähr könnte man die Stimmung dieser Kollektion beschreiben. Es gab geblümte Seidenkleider mit dreifach geschichteten Pagodenärmeln, Rüschenkragen mit Schleifen, Patchwork aus Blütenspitze und schulterfreie Roben aus hauchfeinem, transparentem Crêpe de Chine zu sehen. Die Musik ließ die Szenerie mystisch und verträumt, fast ein bisschen melancholisch wirken. Irgendwie war man gerührt.Erdem Erdem 2Der Trend geht zur Besinnlichkeit – das war während der Londoner Modewoche bei erstaunlich vielen Designern zu beobachten. Allein die Untermalung mit klassischer Musik gehört bei einer herausragenden Modenschau mittlerweile zum guten Ton. Jahrelang wurden die Defilees wie ein Rockkonzert inszeniert. Jetzt fühlt man sich bei den Shows eher wie bei einer katholischen Mitternachtsmesse. Hier kommen vornehme Intellektuelle zusammen, die nicht unterhalten, sondern berührt werden wollen. So sprechen auch die Kleider: Wer wirklich was zu sagen hat, zeigt barocke Opulenz mit modernem Pfiff. Die reiche Pracht des Ancien Régimes zukunftstauglich zu machen ist schließlich eine weitaus anspruchsvollere Kunst, als zum hundertsten Mal die ach-so-freigeistigen siebziger Jahre zu zitieren. Nach unzähligen Saisons des ausgefransten Laisser-Faire-Normcores tendiert die Mode wieder zu üppigen Silhouetten, Formen und Farben. Prunk ist der neue Punk. Wo, wenn nicht in London, käme man auf solche Ideen?

Exemplarischer Vorreiter dieser Entwicklung ist aktuell Jonathan Anderson. Einst bekannt geworden für intelligenten, asexuellen Galeristen-Chic, beweist Anderson mittlerweile Saison für Saison Mut zu Weiblichkeit und Opulenz – mit zahlreichen Irritationen, versteht sich. Im Februar sorgte seine vom rauschenden Berlin der achtziger Jahre inspirierte Kollektion für Begeisterung. Jetzt gab es bei J.W.Anderson aufgeplusterte Bonbonärmel zu sehen, rosa Volantkragen und gerüschte Ledertops in Pistaziengrün. Die wulstigen Ärmel kamen mir bekannt vor – sowas trug man doch schon zu Queen Victorias Zeiten.JW AndersonMary Katrantzou zeigte ihre neue Kollektion in den heiligen Hallen des Central Saint Martins College. Vor der Kulisse eines gigantischen Spiegels schwebten die Models in perlenverzierten, gesteppten und volantbesetzten Kleidern aus geblümtem Patchwork und mit Trompetenärmeln den Laufsteg hinab. Die sphärischen Klavierklänge taten dazu ihr Übriges. Natürlich hätte man diese Show auch ganz anders inszenieren können: mit schnellen Disco-Sounds, hektischen Scheinwerfern und grellem Make-Up. Stattdessen trugen die Models Samtbänder um den Hals gebunden, die das Haar am Hinterkopf mit einer Schleife zusammen hielten. Wer war denn noch mal die Frau mit dem Halsband? Marie Antoinette, non?Mary Katrantzou 1 Mary Katrantzou 2Wohin man schaute, barocke Herrlichkeit glänzte in London an jeder Laufstegecke. Altbacken wirkte davon gar nichts, im Gegenteil: Simone Rocha zeigte Puffärmelkleider in Pastellfarben, geflochtene Munitionsgürtel aus Kordel- oder Scoobidoo-Bändern, lederne Minikleider mit riesigen aufgesetzten Schleifen an den Hüften, die entfernt an die paniers aus dem 18. Jahrhundert erinnern. Dazu: verwuschelte Haarschöpfe, Kronleuchtergehänge an den Ohren und flache Sandalen an den Füßen. Bei Roksanda gab es Ballonärmel in bunten Blockfarben zu sehen, flache Schnürstiefelchen zu Midikleidern, Bordüren aus millefeuille von Seidenquadraten, die aus der Ferne wie luftige Pfauenfederboas wirkten. Das Dekolleté wird bei MM6 Maison Margiela durch schulterfreie, enge Bustiers mit Volants und farblich abgesetzten Keulenärmeln betont, Marques‘ Almeida zeigen asymmetrisch drapierte Tops, Hosen und Slipper aus maigrünem Blumenstoff, cremefarbene Rüschenkleider und ein Jute-Top mit kupferfarbenem Federbesatz.

„The return of show-off fashion“, beschrieb Sarah Harris das Phänomen erst kürzlich in der britischen Vogue. Nach der Blütezeit des sportlichen Purismus, der als eleganter, aber unaufgeregter Alltagslook der neuen Karrierefrau gefeiert wurde, werden Kleider jetzt wieder zum Statussymbol. In einem opulenten Kleid leuchte ich schließlich heller als meine Mitbürger.

Aber ist das nicht verwerflich? Moderne Mode soll doch demokratisch sein, ein Spaß für jedermann, ein Club, in den alle rein dürfen. Besteht die Gefahr, dass prunkvolle Roben und prächtige Stickereien den Standesdünkel der Modewelt noch zusätzlich fördern könnten? Oder ist opulente Mode heute gerade deshalb modern, weil sie das Individuum auszeichnet und nicht den Gruppenzwang pflegt? Weil sie keine Vorschriften macht, sondern meine persönliche Freiheit unterstreicht?

Vor ein paar Wochen durfte ich mich für das ZEITmagazin mit Erdem in Person unterhalten (das Interview ist hier nachzulesen). „Was stilbewusste Frauen heute vereint, ist ihr Wunsch nach Distinktion“, erklärte er mir. „Sie wollen sich äußerlich nicht mehr einer Gruppe zugehörig fühlen, sondern individuell und einzigartig aussehen. Mein Ziel ist es, einer Kundin mit einem Kleid von mir das Gefühl zu geben, dass sie die einzige Frau ist, die dieses Kleid besitzt.“ Diesen Anspruch hat normalerweise nur die unbezahlbare Haute Couture. Wer weiß? Vielleicht ist opulente Prêt-à-porter das Demokratischste, was der Modewelt passieren konnte? Im Ancien Régime waren die üppigen Kleider nur dem Adel vorbehalten. Arbeiter und Bauern gingen in Sack und Asche. Diese Zeiten sind vorbei. Spitzenkleider, gesteppte Satinröcke, Puffärmel und Perlenstickerei wird man in der nächsten Saison in Designerboutiquen und High-Street-Filialen kaufen können. Prunk ist jetzt für alle da.

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Simone RochaSimone Rocha 2 Simone RochaRoksanda

RoksandaMarques Almeida

Marques‘ Almeida