Praktisch unnormal

OBEN BOLT, UNTEN BARBIE, UND DAZWISCHEN WAS VON NIKE

Claire Beermann Nike Sacai

Die Regenjacke war das Modetrauma meiner Kindheit. Ein gewöhnlicher Tag im Leben von Mini-Clairette begann in schwarzen Lackschuhen. Mit langsam die Treppe hinunter trottenden Klacker-Schritten kündigte ich meine Ankunft am Frühstückstisch an. Wie Lotta aus der Krachmacherstraße, mein Idol, wollte ich jeden Tag im Sonntagsstaat herumlaufen: in weißen Strumpfhosen auf den Spielplatz, im Samtkleid zum Waldspaziergang, mit roter Handtasche in die Schule. Eine Zeit lang spielte ich jeden Tag Prinzessin. Das Spiel ging so: Ich klaute irgendwas Tolles aus dem Schrank meiner Mutter und tanzte darin im Wohnzimmer Wiener Walzer. Mein Vater versuchte es mit Ablenkungsmanövern und lud mich zum Legospielen ein. Darauf ließ ich mich ein. Meine Mutter aber wusste: Wenn es um Kleider ging, war jedes Verhandeln aussichtslos. Mit dem Herbst begann die Regenjackenzeit, und mit der Regenjacke der große Kampf.

Irgendwie fehlte der Regenjacke in meinen Augen der Pfiff – Funktionskleidung generell fand ich sterbenslangweilig. Was meine Mutter praktisch fand, erschien mir grotesk hässlich. Vom Gummistiefel bis zum Fahrradhelm ödete mich alles an, was einen anderen Zweck hatte, als mich wie ein rosa Paradiesvogel aussehen zu lassen und damit zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen.

Das geht mir bis heute so. Ich kaufe lieber eine kristallbestickte Jeansjacke als ein weißes T-Shirt. Und in der Modewelt gilt Funktionalität ohnehin immer noch als Kraftausdruck. Man kleidet sich exzentrisch, um seine Persönlichkeit zu unterstreichen, aus der Masse herauszuragen, modern auszusehen – nicht, um trocken durch den Regen zu kommen. Selbst Normcore, dieses Trendgespenst, das vor einigen Saisons durch die internationalen Großstädte geisterte und Praktisches, Normales wie T-Shirt und Tennisschuh zum dernier crie erklären wollte, konnte sich in der Modewelt nicht so recht durchsetzen. Ein Tennisschuh bleibt ein Tennisschuh. Mode muss heute mehr können, um übersättigte Augen zu begeistern.

Chitose Abe, die Chefdesignerin der japanischen Marke sacai, macht keinen Normcore. Im Gegenteil: Anoraks, Bomberjacken und Zippwesten veredelt sie mit Spitzeneinsätzen, Plissées, bedruckter Seide und Fellbordüren. Zu flachen Schnallensandalen kombiniert sie Netzstrümpfe, eine luftige Jacke mit flatternden Ärmeln ist mit Nieten beschlagen. Abes Entwürfe zeigen, dass man nicht normal aussehen muss, um es bequem zu haben – und dass man nicht auf Funktionalität verzichten muss, wenn man in die Staatsoper geht. Es ist ein Prinzip, das all jenen Leuten zugute kommt, die in ihrer Kindheit trotzig mit Lackschuhen auf den Spielplatz gingen, obwohl sie insgeheim wussten, dass es sich in Turnschuhen besser schaukelt._ARC0039 _ARC0189 _ARC0333 _ARC0433sacai S/S 2016. Bilder via Vogue.com

Dieses Prinzip überträgt Chitose Abe nun schon zum dritten Mal auf Nikeohnehin die vielleicht einzige Sportmarke, die es seit jeher geschafft hat, praktische Kleidung mit rattenscharfer und dabei stets zeitloser Coolness aufzuladen. Die Sonderkollektion der experimentellen Linie NikeLab schafft mit sacai das Kunststück, funktionelle Kleidung erstmals eklektisch und elegant aussehen zu lassen. Ein graues Sweatshirt sorgt mit Rücken-Plissée für Aufregung. Ein dunkelblauer Wollrock mit herrlich bequemem Gummibund mündet hinterrücks in einem voluminösen Faltenwurf – oder springt seitlich auf und entblößt dabei ganz keck einen kurzen Satin-Unterrock mit Spitzensaum.

Kernstück der Kollektion ist der Windrunner, die coolere Bezeichnung für Laufjacke, im Freizeiteinsatz Regenjacke. Aber oh, dieser Windrunner kann so viel mehr als praktisch sein. Wenn man damit die Straße hinunter zum nächsten Taxi rennt, das einen zur Ballett-Premiere in die Staatsoper bringen soll, flattert das weite Cape dramatisch wie eine Ballrobe hinter einem her. Ich weiß das, denn ich habe es ausprobiert. Zu den Stücken von NikeLab x sacai trage ich untenrum unpraktische Barbie-Schuhe mit rosa Blumenmuster und aus Schlangenleder. Um dem Look noch mehr sportliche Exzentrik zu verleihen, habe ich mir eine Zopffrisur à la Usain Bolt flechten lassen. Dabei fiel mir ein, dass Flechtfrisuren wie NikeLab x sacai sind: sau-praktisch, aber auch sau-extravagant.

Die Fall 2015 Kollektion von NikeLab x sacai ist ab dem 5. November 2015 im Onlineshop und in ausgewählten NikeLab-Boutiquen weltweit erhältlich. Die NikeLab x sacai Holiday Kollektion folgt am 10. Dezember.

Fotografiert von Sandra Semburg. Hair & Make-Up von Jazz Mang.

Claire Beermann Nike SacaiClaire Beermann Nike SacaiClaire Beermann Nike Sacai

Dunkelblauer Rock mit rückwärtigem Faltenwurf: NikeLab x sacai Wool Skirt, Sneaker in Neongelb: NikeLab x sacai Airmax 90. Lederjacke von Acne, Bluse Vintage.

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Graues Sweatshirt mit Plissée-Einsatz: NikeLab x sacai Tech Fleece Pleated Back. Geschlitzter Rock mit Spitzensaum: NikeLab x sacai Tech Fleece Skirt. Dunkelblauer Windrunner: NikeLab x sacai Windrunner Pleated BackBoots von Kenzo, Halstuch von Anita Hass.

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Blau-gelber Windrunner: NikeLab x sacai Windrunner Pleated Back, darunter dunkelblaues Sweatshirt mit Plissée-Einsatz: NikeLab x sacai Tech Fleece Pleated Back. Hose von 3.1. Phillip Lim, Mules von Sophia Webster.

– In Kooperation mit NikeLab x sacai –