Ich bin Fan

EIN NEUES BUCH FEIERT DAS EHRLICHSTE GEFÜHL DER WELT: BEWUNDERUNG

Zac-Sandler-PrinceVor ein paar Wochen hat die britische Journalistin Bay Garnett gemeinsam mit Kira Jolliffe das Buch „Fanpages“ herausgebracht – einen der besten Bände, der mir in letzter Zeit in die Hände geraten ist. Auf knapp hundert Seiten haben die Autorinnen eine reiche Sammlung an selbst gebastelten Collagen von Leuten wie Alexa Chung,  Simone Rocha, Stella Tennant und Rita Ora zusammen gestellt. Es ist ein Guckloch in Spindfächer und Tagebücher, eine Vitrine sehr persönlicher Offenbarungen. Alexa Chung outet sich als Fan von George Harrison und der Art, wie er seine Jeans trug – „als wollte er nur schnell Milch kaufen gehen“. Der Schauspieler Joe Prospero bekennt sich mit einem Zitat zu J.F. Kennedy. Julie de Libran, die Chefdesignerin von Sonia Rykiel, hat ihre Collage Streifenmustern gewidmet. Mary Katrantzou erzählt von ihrer Leidenschaft für Astrologie. Rita Ora liebt Blondinen. Der Comic-Künstler Zac Sandler hat einen Prince-Remix gezeichnet. Und die GIRLS-Schauspielerin Jemima Kirke versammelt auf ihrer Collage ihre fünf liebsten T-Shirts.Rita-Ora-Fanpages

Rita Ora ist Fan von Blondinen (© Rita Ora / Fanpages, 2016)Jemima-Kirke-Fanpages Jemima Kirke erklärt, wo ihre fünf liebsten T-Shirts herkommen (© Jemima Kirke / Fanpages, 2016)
Chloe-SevignyChloe Sevigny outet sich als Fan von heißen Boys (© Chloe Sevigny / Fanpages, 2016)

Fan – wann war ich eigentlich das letzte Mal einer gewesen? Wenn wir von unseren Helden und Obsessionen erzählen, dann sind es meist Kindheitsgeschichten, die man ausgräbt, aus jenen Zeiten, als man noch albern und naiv genug war, alles einfach nur toll zu finden. Als ich klein war, liebte ich Babybel, Müsliriegel von Corny, Quittengelee, kalte Milch mit Kakao, Sissi und Shreck. Jahrelang träumte ich davon, zelten zu gehen. Mein Lebensziel bestand in der Anschaffung eines Swimming Pools. Ich kannte alle Petersson-und-Findus-Bücher auswendig und hatte eine merkwürdige Obsession für bauchfreie Karoblusen. Und was die Menschen betrifft, so bin ich bis heute der allergrößte Fan meiner Eltern, die echt coole Leute sind.

Das ist ja so eine Sache am Fan-Sein: meistens vergöttert man gar keine besonders originellen Dinge. Was wiederum der Grund dafür sein könnte, warum kaum ein erwachsener Mensch davon erzählt, wen oder was er eigentlich gerade vergöttert. Fan-Sein, davon scheinen wir uns gemeinsam mit Poesiealben und Pubertät verabschiedet zu haben. Fans sind kreischende Mädchen, die im Angesicht eines Youtube-Stars in Ohnmacht fallen. Erwachsene, vernünftige Menschen sind keine Fans, Fan-Sein ist etwas für Leute, die nicht differenzieren können, eine Fähigkeit, die man sich spätestens im Bachelor-Studium angeeignet haben sollte.

Gerade was Prominente und Persönlichkeiten betrifft, ist die wichtigste Lehre, die ich in meiner bisherigen Karriere als Journalistin mit auf den Weg bekommen habe, das Verbot der bedingungslosen Begeisterung. Eine gute Journalistin darf nie jemanden einfach nur toll finden. Sogar die weisesten, freundlichsten, genialsten Menschen der Welt haben ihre Schattenseiten, und der Job der guten Journalistin ist es, ihnen auf die Schliche zu kommen. Ich habe einmal für die FAZ einen ziemlich begeisterten Artikel über Leandra Medine, die Gründerin des Blogs Man Repeller geschrieben. Hinterher schämte ich mich fast, nicht wenigstens einen Hauch von Misstrauen eingebaut zu haben.

Klar, gerade jetzt zur EM sind wir alle von irgendwem Fan, den Deutschen oder den Italienern oder Franzosen. Und wenn jemand Großes stirbt, zum Beispiel Prince oder Muhammad Ali oder Bill Cunningham, dann will plötzlich jeder glühendster Anhänger dieser einzigartigen Persönlichkeit gewesen sein. Die Zeitungen bringen leidenschaftliche Nachrufe, die Leute posten emotionale R.I.P.-Nachrichten und erzählen persönliche Anekdoten, als handele es sich um einen Angehörigen. Dabei war Prince, bis er vor ein paar Monaten starb, zumindest in meinen Kreisen so gut wie nie Gesprächsstoff. Mag sein, dass viele ihn toll fanden und seine Musik hörten. Aber fast niemand sprach über ihn. Und warum kam eigentlich kaum einer auf die Idee, mal eine Hymne auf Bill Cunningham zu schreiben, als er noch am Leben war? Im Geheimen bewundern wir Leute, bis sie plötzlich nicht mehr da sind. Dann wird uns klar, was wir versäumt haben.

Spätestens als Abiturient wird einem eingetrichtert, alles mit Skepsis zu betrachten, kritisch zu „beleuchten“ und grundlegend erstmal verdächtig zu finden. Gerade heute, wo in sozialen Netzwerken der böse schöne Schein zu verführen droht, werden wir zum Kreuzverhör von allem erzogen, was wir früher mal einfach nur richtig gut fanden. Die Schauspielerin mit der tollen Figur muss doch magersüchtig sein. Die erfolgreiche Bloggerin hat ihren Erfolg wahrscheinlich den reichen Eltern zu verdanken. Müsliriegel bestehen nur aus Zucker, beim Zelten holt man sich Flöhe, und von dem tollen Designer haben wir gehört, dass er ein Arschloch sei und seine Mitarbeiter tyrannisiere. Mit dem Erwachsenwerden, so scheint mir, verliert man die Fähigkeit der grenzenlosen Begeisterung. Erwachsenwerden ist die blanke Ernüchterung.

Julie de Libran Fanpages Julie de Libran liebt Streifen (© Julie de Libran / Fanpages, 2016)Stella-Tennant-spreadStella Tennant ist Fan von Windhunden (© Stella Tennant / Fanpages, 2016)

Am Montag war auf der ZEITmagazin Konferenz Mode & Stil Imran Amed, der Gründer von Business of Fashion, zu Gast. Von der ersten bis zur letzten Sekunde seines Auftritts hing ich an seinen Lippen. Dieser Mann hat aus einem Blog, den er ursprünglich von seinem Sofa aus als Hobby betrieb, die wichtigste Internetseite der Modeindustrie gemacht. Vogue-Chefredakteurinnen, PR-Leute und Investoren lesen morgens als erstes Business of Fashion. Während des Interviews mit Christiane Arp sprach er klar, konzentriert, mit Humor und Enthusiasmus. Ich war gebannt. Ich war Fan. Es war herrlich.

Vielleicht outet man sich nicht gern als Fan, weil man sich damit in eine unterwürfige Position begibt. Vielleicht brüsten sich auch deshalb viele Leute gerne damit, Fan von irgendwas ganz Verborgenem, Geheimtippmäßigem zu sein, von einer jordanischen Jazzsängerin oder dem Underdog der Bundesliga zum Beispiel, weil sie sich damit wieder als Kenner der besonderen Dinge, als Feingeiste hervortun können. Aber das ist nicht die Idee von Fan-Sein. Echte Bewunderung ist nicht vergiftet durch Neid oder Selbstdarstellung. Manchmal werde ich dafür belächelt, immer wieder Leandra Medine als mein größtes Idol zu nennen. „Du willst wohl die deutsche Leandra sein“, spotten manche. Aber Fan-Sein heißt nicht, dass man jemanden kopieren will. Es bedeutet das Glück, jemanden zu haben, von dem man lernen möchte, der einen konstant inspiriert, anstachelt und beflügelt. Und woher sollen wir wissen, wer wir sind, wenn wir nicht wissen, was wir feiern? Es gibt kein ehrlicheres Gefühl als Bewunderung. Das macht das Buch „Fanpages“ auch so großartig – vielleicht haben wir die Menschen, die darin von ihren Vorbildern und Inspirationen erzählen, noch nie so gut kennen gelernt.

„Fanpages“ kann man bei Idea Ltd. bestellen und im Berliner „The Store“ kaufen. Header: © Zac Sandler / Fanpages, 2016fanpages_cover