Die Biomarkt-Falle

SIND WIR JETZT VERWÖHNT ODER NUR ANSPRUCHSVOLL?

gretchenroehrs2-e1446600243450Diese Pampelmuse sieht irgendwie komisch aus. Die Schale lässt sich nicht vom Fruchtfleisch trennen. Stattdessen löst sich, nachdem ich ein bisschen zu genervt an der Schale gezerrt habe, ein ganzes Pampelmusenviertel, und unter der weißen Haut wird ein faseriges hellrosa Gewebe sichtbar, das mich gar nicht anlacht. Ich blättere die Frucht auseinander, schmeiße einen Großteil weg und den Rest in die Schüssel. Sie schmeckt nicht. Kein Aroma, keine Süße, dafür erinnert mich der Geschmack entfernt an die Galle, die ich als Zehnjährige einmal gespuckt habe, nachdem ich vor einer kurvenreichen Autofahrt nichts weiter als drei Gläser Pampelmusensaft gefrühstückt hatte. Also, schmeckt scheiße.

Aber ich bin ja selbst Schuld. Die Pampelmuse stammt schließlich aus dem Supermarkt um die Ecke – jenem Geschäft, in dem ich früher gerne eingekauft habe, bevor ich eines finsteren Tages auf die Idee kam, in den Biomarkt zu gehen.

Dieser blöde Biomarkt steht in Berlin an jeder Straßenecke. Vor der Filiale, in die ich meistens gehe, wartet immer eine bedauernswerte Gestalt mit ausgestreckten Händen und hofft auf die Gunst der reichen Biomarkteinkäufer. Ich bin keine von denen, denke ich an jenem Tag, als ich zum ersten Mal den Laden betrete, bin nur zu Gast, habe kein Geld, von mir kriegst du leider nichts.

An der Gemüsetheke geht es los. Neben den normalen Karotten gibt es diese dunkelrot-orange-marmorierten, solche, die man normalerweise nur in Dokumentarfilmen über die fancy Gemüsebeete berühmter Sterneköche zu sehen bekommt. In Weidenkörben liegen saftige Salatköpfe, dicke weiße Spargelstangen, Radieschen mit Erdkruste, riesige Mangoldblätter. Es würde mich nicht wundern, wenn hinter einem der Regale eine freundliche Kuh hervorschauen würde. Ich komme mir vor wie in der schönsten Bauernidylle.

Jahrelang habe ich im Supermarkt um die Ecke eingekauft: Joghurt von ja!, Marmelade von Zentis, Kaffee von Melitta, aufgebackenes Supermarktbrot, abgepackten Scheibenkäse, gewachste Äpfel und Salat in Plastikfolie, der immer so aussah, als würde er sich in seiner Tüte zu Tode schwitzen. Als ich einmal viele Leute zum Brunch eingeladen hatte, kaufte ich sogar Mozzarella von ja!. Damals war ich erstaunt, wie gut er schmeckte. Mit meinem Studentenbudget konnte ich mir sowieso wenig anderes leisten. Und wenn man hin und wieder mal ein gutes Brot beim Bäcker kaufte, sich die heißgeliebte südafrikanische Orangenmarmelade gönnte und alle drei Monate Maman mit einer Monatsration Alnatura Studentenfutter vorbei kam, ließ es sich so ganz gut leben.

Jetzt bin ich allerdings durch einen Zufall in diesem verdammten Biomarkt gelandet.

Aber wo ich schon mal hier bin, und weil ich ja bestimmt nie wieder komme, kann ich jetzt auch mal richtig zuschlagen. Ohne die Preisschilder zu beachten, lege ich einen Salatkopf, vier Zucchini, eine Handvoll marmorierter Karotten, Kirschtomaten und einen Basilikumstrauch in den Korb, außerdem ein halbes Kilo Äpfel, eine Schale Erdbeeren, fünf Pfirsiche und eine Pampelmuse. Die sieht toll aus, schön prall und fest und mit leicht geröteter Schale.

Auf dem Weg zur Käsetheke komme ich am Marmeladenregal vorbei. Ich liebe gute Marmelade, manchmal esse ich sie direkt aus dem Glas. Alle Marmeladen, auch die ganz unten im Regal, werben mit 75% Fruchtgehalt. Manche Sorten sind nur mit Agavendicksaft gesüßt. Ich mache mir nichts aus Agavendicksaft, aber dass in dieser Marmelade kein Zucker sein soll und sie trotzdem so unwiderstehlich aussieht, macht mich neugierig. Zwergenwiese heißt die Marke. Zauberhaft. Ich lege je ein Glas Himbeere und Aprikose in den Korb, gucke dabei aus Versehen auf das Preisschild – 2,99€! – kneife die Augen zu und laufe weiter.

Die Leute um mich herum sehen alle freundlich und andächtig aus, so wie diese Menschen, die in der Bibliothek immer mit beseeltem Blick über Buchrücken streifen und extra leise auftreten, um die anderen Leser nicht zu stören. Jetzt laufen sie durch den Biomarkt, feierlich legen sie ihre braunen Tüten und Käsepakete in die Körbe, das Papier knistert verheißungsvoll. Friedlich ist es hier – ein bisschen so wie auf dem Foodblog Manger von Mimi Thorisson, Mischgestalt aus Rotkäppchen und ätherischer Jetsetbraut. Auf Thorissons Webseite sieht man lose über Holztische kullernde Kirschen und Artischockenherzen, glückliche Kinder unter Apfelbäumen und baumelnde Kupferpfannen überm Kachelofen. Es ist das reinste Paradies. Terrorismus? Brexit? Zahnschmerzen? Finanzamt? Kennt man hier nicht.

ws174-710x1038ws171-710x1065tomatoes2-710x536 Fotos: Mimi Thorisson

Im Supermarkt um die Ecke herrscht zur Rushhour dagegen eher so eine Art Krieg. Gestresste Mütter rammen mir ihre Einkaufswagen in die Kniekehlen, Kleinkinder brüllen nach Haribo, eine schrille Stimme vom Band wirbt für Salatfit und an der Kasse legen Menschen mit roten Gesichtern sieben Bierflaschen aufs Band. Oder siebzehn Packungen Wiesenhof-Schweinemett. Ein trostloser Ort, dieser Supermarkt, Essen ist hier nichts weiter als Nahrung, Benzin für den Körper, jedenfalls kommt es mir so vor, seitdem mich die traute Biomarktoase in ihren Klauen hält.

Ich kaufe ein Stück Comté, die Käsethekenfrau lässt mich einen Würfel probieren. Ich kaufe eine Packung Serranoschinken von glücklichen Schweinen, ein Glas glückliche Oliven und bin kurz davor, auch zu einer Flasche glücklichen Geschirrspülmittels zu greifen. An der Kasse zahle ich siebenunddreißig Euro für einen Einkauf, der mich wahrscheinlich eineinhalb Tage sättigen wird. Allein die Pampelmuse hat 1,75€ gekostet.

Leider ist die Pampelmuse so köstlich, dass ich sie wieder kaufen muss. Wie auch die Marmelade, die einfach noch nach Aprikose und nicht nach Geliermittel schmeckt, das fluffige Toastbrot und die zuckersüßen Tomaten, die mich an den Libanon erinnern. Nur für diese Tomaten gehe ich heute zum Biomarkt, ermahne ich mich jeden Abend, wenn ich nach der Arbeit einkaufen gehe. Den Rest kaufst du im Supermarkt! Aber sobald ich den schönen grünen Biomarkt betreten habe, überzeugt mich der Teufel auf meiner Schulter, dass es keine schlauere Investition als die in richtig gutes Essen geben kann. Seit drei Monaten geht das jetzt so, und in diesem Monat bin ich zum ersten Mal richtig pleite.

Das Problem ist, dass man ungern von der Business Class zurück in die Holzklasse umsteigt. Dabei könnte man auch dort großen Spaß haben, wenn man nicht ständig an die fünf Meter Beinfreiheit in der Business zurück denken würde. Vergleichen zu können ist teuflisch für das Glück. Ich habe immer die Meinung vertreten, dass man nicht in den Biomarkt gehen müsse, um Essen von bester Qualität zu bekommen, dass wir nur leider in Zeiten totaler Lebensmittelphobie lebten, obwohl Lebensmittel noch nie so sicher waren wie heutzutage und die Bio-Avocado für die hysterischen Besserbürger von Berlin-Mitte/Neukölln/Kreuzberg einfach so was wie die neue It-Bag ist.

Jetzt bin ich selbst eine von ihnen.

Die Frage ist: Sind wir nun verwöhnt oder einfach nur anspruchsvoll? Den Unterschied haben mir meine Eltern schon als Kind beigebracht: verwöhnt ist, wer  gar nicht weiß, was ein Supermarkt oder Biomarkt ist, weil eine Haushälterin die Einkäufe erledigt. Verwöhnte Leute wissen auch nicht, was „gut“ bedeutet, weil sie nie was Schlechtes probiert haben. Anspruchsvoll sind dagegen Menschen, die beides kennen, ja!-Joghurt und Quark vom Bauernhof, und deshalb den Qualitätsunterschied erklären können. Anspruchsvolle Leute wissen, was Gutes wert ist. Anspruchsvoll sein ist gut. Ich könnte argumentieren, dass mich der Biomarkt endlich gelehrt hat, wie eine Pampelmuse wirklich schmecken muss, damit es sich lohnt, sie zu essen – süß, sauer, fest, saftig – und dass ich dem Biomarkt für diese Erkenntnis dankbar sein müsste. Wäre diese Erkenntnis nur nicht so verdammt teuer gewesen.

Früher gingen Leute, die was auf sich hielten, nicht in den Biomarkt, sondern in den Feinkostladen. Ich erinnere mich, bei besonderen Anlässen mit meiner Mutter im Feinkostladen eingekauft zu haben, und dort herrschte eine ähnliche Atmosphäre wie heute im Biomarkt: zuvorkommende Verkäufer in hübschen Schürzen standen lächelnd unter rosa Würstchengirlanden, Käseleiber lagen hinter blitzenden Vitrinen drapiert, Obst und Gemüse war in große Rotkäppchenkörbe gebettet. Wenn die Äpfel trotz 4-Euro-Kilopreis mehlig schmeckten, marschierte meine Mutter am nächsten Tag mit der Tüte zurück in den Laden, um sich zu beschweren. „Bio“ hieß hier nicht so und war eine Dekadenz, die man sich nur gelegentlich gönnte.

Heute ist der Einkauf im Biomarkt eine Frage des guten Stils und Verantwortungsbewusstseins – koste es, was es wolle. Wer kein Vermögen für sein Abendbrot ausgibt, ist ein umweltverachtendes Arschloch und kriegt erstmal drei Youtube-Links zu Schlachthofenthüllungsfilmen auf die Facebookwand gepostet. Ist ja auch gut so. Ich will auch kein Kotelett von traurigen Schweinen essen. Komisch ist bloß, dass wir uns mit dem Einkauf im Biomarkt vorgaukeln, etwas Gutes für die Umwelt zu tun, obwohl wir damit am Ende doch nur unser eigenes Streben nach dem nächsthöheren gesellschaftlichen Rang befriedigen, jenem Level, in dem man sich eben nicht mehr über Hausarbeiten, sondern über Ferienhäuser auf Capri unterhält. Bio ist Status, und in Berlin, der Stadt der zugezogenen Emporkömmlinge, leben alle über ihre Verhältnisse. An beides erinnert der an jeder Straßenecke lauernde Biomarkt.

Header-Illustration: Gretchen Roehrs