10 x Rio de Janeiro

MEHR GLAMOUR ALS GEFAHR

75020021In diesen Tagen ist es schwer, einen Reiseführer für Rio de Janeiro zu schreiben. Brasilien geht es schlecht, die Zika-Epidemie ist längst nicht eingedämmt, und das letzte, was das Land gerade gebrauchen kann, sind die Olympischen Spiele. Im ZEITmagazin erscheint in dieser Woche eine große Fotoreportage über Rio, die zwar die Farben der Stadt einfängt, vor allem aber ein Porträt des Elends ist. Der daneben stehende Text des ZEIT-Korrespondenten Thomas Fischermann ist alles andere als heiter. Dagegen einen Reiseführer über die besten Attraktionen, Restaurants und Badeanzuglabels der Stadt zu schreiben, erscheint irgendwie unpassend.

Ich tue es trotzdem. Denn was hat Rio davon, überall als gefährlich, abgründig und kaputt dargestellt zu werden? Noch nie bekam ich so viele Warnungen mit auf den Weg wie vor der Reise nach Brasilien: bloß nicht mit Handtasche rumlaufen! Bloß nie das Handy rausholen! Auf keinen Fall nach Santa Teresa gehen – zu gefährlich! Wir kamen paranoid in einer entspannten Stadt an. Einer Stadt mit hohen Zäunen und Wachmännern vor den Türen zwar, vor allem aber einer Stadt von großartiger Atmosphäre. Dabei kann man Rio nicht vorwerfen, eine glänzende Fassade mit nichts dahinter zu sein. Die Spannungen zwischen den Milieus, die Armut, der Reichtum, all das ist immer und überall nebeneinander sichtbar. Weil man die Augen hier nicht vor den Abgründen verschließen kann, muss man es auch nicht vor den Schönheiten.750200281. Das Touristenprogramm macht in keiner Stadt so viel Spaß wie in Rio. Während man sich den Besuch des Eiffelturms in Paris echt sparen kann (sieht aus der Ferne viel schöner aus, als wenn man drunter steht), ist der Ausblick vom Zuckerhut noch aufregender als sein Anblick. Also unbedingt mit Japanern, Amerikanern und Chinesen rauffahren! Wenn man sich oben weit genug von der Gondelstation entfernt, lassen einen die Menschenmassen in Ruhe. Durch regenwaldartige Vegetation führt ein Spazierweg mit herrlichen Aussichten. Auch am Fuß der Jesusstatue auf dem Corcovado herrscht von früh bis spät große Betriebsamkeit – aus guten Gründen (siehe Foto). Was man dafür von der Liste der Attraktionen streichen kann: die Confeiteria Colombo, die überall erwähnt wird. Ist zwar ein imposantes Gebäude, dafür aber ziemlich überlaufen und kulinarisch kein Erlebnis.750100102. An die sensationellen Saftläden gewöhnt man sich schnell – und entwickelt bald einen Rhythmus: alle zwei Stunden muss ein frischer Saft her. Honigmelone, Wassermelone, Himbeere, Kiwi, Birne, Papaya, Mango, Ananas, Banane, Maracuja – um sich bei Bibi Sucos einmal durch die Karte zu trinken, reicht ein Urlaub kaum aus. Dazu eins der köstlichen Pão de Queijo (Käsebällchen) probieren.{Av. Ataulfo de Paiva, 591/Leblon} 750100043Ein Erlebnis ist in fremden Ländern ja immer der Besuch im Supermarkt. Was ein Joghurtregal alles über eine Nation aussagt! In Ipanema kann man an die Inspektion der 24-Stunden-Filiale von Zona Sul an der Rua Tereza Aragão einen Abstecher auf den benachbarten Farmer’s Market anschließen, der jeden Sonntag stattfindet. Die Händler sind sehr spendabel und lassen einen gern ein Stückchen Litschi oder Mango probieren.141617484. Das Instituto Moreira Salles hat perforierte weiße Mauern, Glaswände und einen geschwungenen Swimming Pool vor blauem Kachelmosaik. Es wurde 1951 gebaut und beherbergt heute Fotografie- und Designausstellungen. Schöner als alle ausgestellte Kunst ist aber die Vorstellung, man wäre hier Hausherrin und wandele gerade durch seine Gemächer. Ein Traumhaus! Wir waren bei Dauerregen da und es war trotzdem schön (damit bestand Rio de Janeiro für uns auch den Schlechtwetter-Test) {Rua Marquês de São Vicente 476/Gavéa}Sushi Leblon, Rio de Janeiro, Brazil5. Ich hätte ja nie gedacht, dass man in Brasilien so gut essen kann – jedenfalls, so lange man sich von brasilianischem Essen fernhält. Die Landesküche ist eher schlicht und deftig. Brasilianisches Sushi ist hingegen eine Offenbarung – probieren kann man es bei Sushi Leblon, jaja, ich weiß, steht in jedem Reiseführer. Ist aber wirklich einen Besuch wert. Man sitzt an einer kurvigen Bar auf goldenen Vitra-Stühlen und schaut den Köchen beim Zaubern zu. Ein Gedicht sind die Jakobsmuscheln mit Papaya-Guacamole. Und das Thunfischtatar mit Eigelb und Kaviar. Sparen kann man immer noch nach dem Urlaub! {Rua Dias Ferreira, 256/Leblon)

Zazá ist ein tropisch dekoriertes Bistro, die Veranda ist blau und mit bunten Kissen dekoriert, drinnen baumeln goldene Laternen von der Decke. Die Küche ist fernöstlich inspiriert, zu empfehlen ist das Curry mit Huhn, Aprikosen und Cashewnüssen. {Rua Joana Angélica, 40/Ipanema}

Im ¡Venga! sitzt man unter Schinkenkeulen auf Barhockern und bestellt, wie sich das in einer Tapasbar gehört, natürlich viel zu viel zu essen („Sind ja nur Häppchen“). Die Gazpacho ist sehr gut, der Oktopussalat auch, der Jamon, der Salat aus Mangold und Ziegenkäse… Hinterher statt Dessert den Drink aus Maracujasaft, Wodka, Orangenmarmelade und Kakaopulver probieren. {Rua Garcia d’Avila, 147 B/Ipanema}

Klassisch isst und trinkt man in der Bar Jobi, einer Institution in Rio: zum Beispiel eine Platte zarte Picanha (Schwanzstück vom Rind) mit einem Salat aus Palmherzen. Dazu ein kaltes Original (Brasilien hat mich zum Bier bekehrt). {Av. Ataulfo de Paiva, 1166 B/Leblon}Freunde-von-Freunden-Ana-Strumpf-060-copy-930x6206. In Brasilien sieht der Mid-Century-Stil irgendwie cooler aus als in den Berliner Besserbürgerwohnungen. Vielleicht liegt es an den schön gemusterten Böden, auf denen die Kommoden stehen, oder daran, dass hier generell alles ein bisschen so aussieht, als sei es in den Fünfzigern stecken geblieben. Auf der Rua do Lavradio in Lapa reihen sich Möbelläden mit erlesenen Bauhausschätzen aneinander. es27. Das Hotel Mama Ruisa in Santa Teresa hatte die New York Times empfohlen, also haben wir uns in der letzten Nacht dort eingebucht. Dass der Besitzer schwul und Franzose ist, erkennt man sofort: ich war noch nie in einem so herrlich eingerichteten Haus. Der Mix aus Kolonialzeitarchitektur, 50er-Jahre-Möbeln und französischen Porzellanskulpturen funktioniert perfekt. Leider ist der Service zwar nett, aber unprofessionell. Bei der Wahl des Restaurants sind sie gerne behilflich und schicken einen per Taxi, das komischerweise viermal so viel wie gewöhnlich kostet, ins teuerste Lokal der Gegend. Wie ein Spiegelei aussieht, weiß man hier auch nicht. Wäre mir alles egal gewesen, wenn die Nacht nicht 200 € plus 15 € für das Frühstück gekostet hätte. Kann man sich also sparen und das Geld dafür in mehr Sushi investieren. In Ipanema wohnten wir in dieser Airbnb-Wohnung, die eher funktional als fancy eingerichtet ist, dafür aber in einer schönen Straße 100 Meter vom Strand entfernt liegt. Dieses Loft in Leblon war leider schon ausgebucht.750100378. Was die Brasilianer frühstücken, haben wir nie erfahren; gemessen daran, was sie zu Abend essen, verpasst man aber wohl nichts Besonderes. Das Café La Bicyclette liegt im Jardim Botânico und serviert klassisch französisches Frühstück: hausgebackene Brioche, Baguettes und Croissants. Hinterher kann man noch durch den wunderschönen Park spazieren. {Rua Pacheco Leão, 320 – D/Jardim Botânico}banner_site_3_lenny_niemeyer9. In Rio ist es schwer, einen Bikini zu finden, in dem man auch an europäischen Stränden baden gehen kann, ohne verhaftet zu werden. Als ich in einer Boutique nach einem „normalen“ Bikini fragte, also einem, dessen Unterhose die Pobacken vollständig bedeckt, kam ich mir vor wie eine Großmutter, die in einem Dessous-Geschäft nach Stützstrümpfen sucht. Schließlich kaufte ich einen Badeanzug, und zwar bei Lenny Niemeyer, der Badeanzugkönigin von Rio. Ihre Entwürfe sind fast zu schön zum Schwimmen. Tolle Kaftane und Hüte macht sie auch. {Rua Garcia d’Avila, 149/Ipanema}543232_351724641546917_59947954_n10. So eine brave Touristin war ich noch nie: nach Zuckerhut, Corcovado und Copacabana waren wir natürlich auch noch in einer Samba-Bar. Ins Carioca da Gema gehen mehr Einheimische als Touristen. Jeden Abend tritt eine Live-Band auf. Das Publikum ist ein sympathischer Mix aus Jungen und Alten, guten Tänzern und Samba-Idioten (hier, ich!). Macht aber nix: wer nicht tanzen kann, wird allein vom Zuschauen genug unterhalten. {Av. Mem de Sá, 79/Centro}75040038

Bilder: Nr. 4 via; Nr. 5 via Cool Cities; Nr. 6 via Freunde von Freunden; Nr. 7 via Mama Ruisa; Nr. 9 via Lenny Niemeyer; Nr. 10 via Bar Carioca da Gema