Der Minimalismus ist tot

ES LEBE DER MINIMALISMUS!

CLAIRE-BY-MARLEN-MUELLER-2852Die Ära des Minimalismus endete mit einem rosa Mantel. Im Februar 2012 verabschiedete sich Raf Simons von Jil Sander, um als Kreativdirektor bei Christian Dior anzutreten. In der Mode begann damit eine neue Zeitrechnung. Raf Simons, der Meister des Minimalismus, verließ Jil Sander, die Wiege des Minimalismus – und erklärte mit seiner letzten Kollektion den Minimalismus für tot. Der erste Look: ein rosa Mantel. Dazu gab es feminine Bustierkleider und metallisch glänzende Röcke, die Models liefen zwischen großen Vitrinen voll bunter Blumen, am Ende gab es Standing Ovations und Raf Simons weinte ein bisschen. An die Stelle der kühlen Schlichtheit waren Romantik und große Gefühle getreten.

Wir dachten immer, der Minimalismus sei unsterblich, weil er ja ach-so-zeitlos war, weil man einen schicken schwarzen Mantel alle Jahre wieder aus dem Schrank ziehen konnte und es doch nichts Erfüllenderes gab als ein Hemd, das zu jeder Hauswand passte. Aber gerade darin lag der Fehler. Mode will nicht zeitlos sein. Mode will in einen Schockzustand zwischen Entsetzen und Begehren versetzen. Minimalismus wollte nie schockieren, und so war sein Potenzial sehr bald ausgeschöpft. Wie hatten wir uns in einem schwarzen COS-Sackkleid jemals so ausgefallen vorkommen können?

Nun ist es aber so, dass in der Mode nichts einfach mal eben verschwindet. Die Mode ist ein sich immer wieder erneuernder Zyklus. Und so trat an die Stelle des alten Minimalismus bald etwas Neues. Während Jil Sander langsam verblasste, erfand Raf Simons bei Christian Dior Kleider, die fantasievoll und real zugleich waren. Er entwarf zum Beispiel ein dunkelblaues Etuikleid, das sich mit weißen Schnürbändern wie ein Mieder an die Körperform anpassen ließ, und verzierte es am Beinschlitz mit Kristallornamenten. Der Schnitt des Kleides war architektonisch streng, die Details aber waren von geradezu barocker Extravaganz. Und so wurde die neue Schlichtheit geboren: immer noch auf das Wesentliche reduziert, dieses Wesentliche dafür aber so überraschend wie ein Schimpanse im Kleiderschrank.

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Der alte Minimalismus war geschmackvoll und harmonisch. Der neue Minimalismus verzichtet immer noch auf überflüssige Schnörkel – aber immer ist da eine Irritation, eine Besonderheit, die das Auge herausfordert. Schlichte Männerhemden kann man jetzt verkehrt herum tragen und sie damit interessant machen. Bei Vetements gibt es geschrumpfte graue Karoblazer und überbreite blaue Hemden zu sehen. Rosie Assoulin wird für ihre opulent drapierten Tops und Roben aus meist einfarbigen, schlichten Stoffen gefeiert. J.W. Anderson zeigt Mäntel mit überbreiten Gürteln und Röcke mit waagerecht abstehenden Volants. Und der Berliner Modedesigner William Fan macht Oberteile, die am Rückenauschnitt mit Quastensaum verziert sind, und weite Hosenbeine, die mit Schleifen zusammengerafft werden. Der neue Minimalismus ist schön, er ist weiblich und locker, nicht mehr sachlich und streng. Ich weiß das, denn ich habe ihn anprobiert – das Ergebnis sehen wir unten. Der neue Minimalismus langweilt nicht und er überfordert nicht, er lässt einen nie so aussehen, als hätte man sich zu viele Gedanken über sein Äußeres gemacht. Das war schon bei Raf Simons‘ letztem Mantelentwurf für Jil Sander so: der war zwar quietschrosa, hatte aber nicht mal Knöpfe.

Fotos von Marlen Mueller
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1. Look: Hemd mit Puffärmeln von J.W. Anderson, Rock von Tara Jarmon, Ohrringe von Versace, Sneaker von Converse 

2. Look: Rückwärtig geknotetes Hemd von Mads Nørgaard, Seidenshorts von Sonia by Sonia Rykiel

3. Look: Oberteil und Hose von William Fan, Schlappen von Miista