Warum ich vorhabe, mich in Jessica Pearson zu verwandeln

ZEIT FÜR EINEN NEUEN LOOK!

Seit ein paar Wochen habe ich Rückenschmerzen. Keiner weiß, warum, es gibt nur Vermutungen. „Du solltest den Stress in deinem Leben reduzieren“, sagte der Physiotherapeut nun neulich zu mir. Weil mich diese Rückenschmerzen mittlerweile in den Wahnsinn treiben, bin ich offen für fast jeden Rat. Ich nahm ihn also beim Wort und beschloss, den Stress in meinem Leben loszuwerden, in dem ich mehr fern sah, und zwar „Suits“. Die Serie, für alle, die sie nicht kennen, spielt in einem New Yorker Anwaltsbüro, und die Protagonisten zerfleischen sich ständig gegenseitig und balancieren immer nur ganz knapp vorm gesellschaftlichen und finanziellen Abgrund. Es gibt nichts Entspannenderes, als eine Folge „Suits“ zu schauen. Für 40 Minuten vergisst man die eigenen Probleme und schaut anderen genüsslich dabei zu, wie sie ihre bekämpfen.

Weil ich das mit dem Stressabbau sehr ernst nehme, habe ich in den letzten Wochen sehr viel „Suits“ geschaut, vielleicht schon ungesund viel, jedenfalls denke ich neuerdings in jeder freien Minute über den brillanten Betrüger Mike Ross nach, über die Rivalität zwischen Harvey Specter und Louis Litt, über Rachel Zane, die Freundin von Mike Ross, die von Meghan Markle gespielt wird, die wiederum am Samstag heiratet. „Suits“ hat mich so sehr eingenommen, dass ich mich jetzt sogar, total untypisch für mich, für Meghan Markles und Prinz Harrys Hochzeit interessiere.

Für nichts brenne ich allerdings so sehr wie für Jessica Pearson, die Chefin der Kanzlei, Halterin des Pokerface-Weltrekords und wahrscheinlich bestangezogenste Seriendarstellerin seit Carrie Bradshaw.

Ich bin so besessen von Jessica Pearson, dass ich mir ihre besten Sprüche aufschreibe („I love people who challenge me“, „I’ll slap the taste out of your mouth“), vor dem Spiegel ihr einschüchterndes Triumphlächeln übe und ernsthaft überlege, wieder mit dem Haareföhnen anzufangen. Ach, es ist herrlich, mal wieder richtig Fan zu sein. Vor allem aber hat mich Jessica Pearson aus einer ernsthaften Stilkrise befreit. In den letzten Wochen fühlte ich mich modetechnisch so uninspiriert wie schon lange nicht mehr. Ich wusste nicht, was ich anziehen sollte, weil mich alles in meinem Schrank langweilte: die knittrigen Baumwollblusen mit Puffärmeln, die flachen Pantoletten, die Strohkörbchen, Walle-walle-Kleider, weiten Männerhemden, dieser ganze leinene Feministen-Look, den ich im letzten Sommer so emsig gepflegt hatte, kam mir jetzt plötzlich so unangezogen vor. Ich konnte ihn nicht mehr sehen. Allerdings wusste ich auch nicht, was ich noch sehen konnte.

Dann trat Jessica Pearson in mein Leben und mit ihr ein Look, der mir total neu und verwegen vorkam, weil ich ihn noch nie ausprobiert hatte: Business-Chic! Drapierte Shift-Kleider! Steingrau, schwarz, Nadelstreifen, Perlenkette! Einfarbige High Heels! Aber auch: Rüschenkragen, Schößchen, Broschen, Schlitzröcke! Und immer wieder Blazer, Blazer, Blazer, immer perfekt tailliert, mit kantigen Schultern, in denen diese Anwältin aussieht wie Superwoman. Ein Look, der nie zerknittert und nie verschwitzt aussieht, in dem man stets so wirkt, als habe man einen Chauffeur und einen persönlichen Assistenten, der einem die Handtasche hinterher trägt – genau das konnte ich jetzt gerade gut gebrauchen.

Auf den ersten Blick könnte man natürlich sagen, dass Jessica Pearsons Garderobe – das in mühsamer, frühmorgendlicher Arbeit in Form geföhnte Haar, das perfekte Make-Up, die hohen Schuhe, die eng anliegenden Röcke – geradezu frauenfeindlich ist. Hatten wir dieses unbequeme Dress-to-impress nicht gerade erst endlich  hinter uns gelassen? Warum jetzt wieder damit anfangen?

Ich sage Euch, warum: Vor ein paar Monaten hatte ich ein unangenehmes Gespräch mit drei Männern, die alle gegen mich waren. In dieser Situation hätte ich statt meines weiten, altrosa Cordblazers – super trendy zu der Zeit – gerne ein rasantes Jessica-Pearson-Outfit angehabt. Und zwar nicht, um irgendwen zu beeindrucken, sondern um mich selbst besser zu fühlen, um zumindest äußerlich nicht zu verraten, wie ich es mir innerlich ging, um hinterher nicht in Turnschuhen aus dem Raum latschen zu müssen, sondern auf hohen Absätzen davon marschieren zu können. Der Jessica-Pearson-Look ist ein textiles Pokerface. Er verkleidet die Frau nicht, er behängt sie nicht mit Firlefanz, er zitiert nicht die Neunziger und erlaubt sich keine platten Witze. Dafür verleiht er Haltung, äußerlich wie innerlich. Er ist Doping zum Anziehen, ein Look zum Stressabbauen: Wenn man so aussieht wie Jessica Pearson, hat man mindestens eine Sorge weniger. Souverän aussehen tut man darin nämlich immer. Und das ist im No-Filter-Zeitalter, in dem auf Instagram die meisten Likes bekommt, wer sich am meisten entblößt, doch mal eine schöne Abwechslung.

Ich habe vor, mich in den nächsten Wochen in Jessica Pearson zu verwandeln. Dazu habe ich ihre Outfits gründlich analysiert und daraus eine idiotensichere Anleitung für den Jessica-Pearson-Look abgeleitet. Damit ich nicht aus Versehen noch ein Wallewallekleid kaufe. Sowas trägt die Pearson nicht!

Blazer mit Ass im Ärmel

 


Oben hui, unten streng


 


Sadomaso ganz seriös

 


Perlen ohne Staub

 


Ein Kleid für alle Fälle

 


Schön unberechenbar

 


Comeback des Pashmina-Tuchs