Ich bin bereit für das neue CELINE

KAUM ZU GLAUBEN, WAS?

Ungefähr zwei Stunden, nachdem das letzte Model über den Laufsteg von Celine gelaufen war, traf ich bei meiner Tante am Stadtrand von Paris ein. „Wie war’s?“ fragte sie mich. „Schrecklich“, sagte ich. „Willst du mal ein Foto sehen? Die reinste Horrowshow!“ Meine Tante ist eine coole Pariserin, die gerne smokey eyes trägt und ihre eigene Kommunikationsagentur betreibt. Ihr Interesse an Mode beschränkt sich auf das, was sie am eigenen Körper trägt. Ich zeigte ihr die Bilder vom Laufsteg, noch immer schockiert von dem, was Hedi Slimane uns da gerade in seiner ersten Show für das Haus geboten hatte: winzige Minikleider, Bolero-Blazer, Lederbomberjacken mit Nieten, Biker-Boots. Die Models waren mager und sahen aus wie Groupies kurz vor dem Zusammenbruch. Was für ein Frauenbild – noch dazu ein Jahr nach #metoo!

„Sieht jetzt in meinen Augen gar nicht so schlecht aus“, sagte meine Tante, während sie mit zusammengekniffenen Augen auf die Bilder auf meinem Handy schaute. „Aber ich habe natürlich keine Ahnung“, setzte sie hinterher, als sie mein empörtes Gesicht sah.

Das neue Celine war eine Beleidigung, die man nur persönlich nehmen konnte, darin waren meine Kollegen und ich uns einig, als wir früher am Abend den schwarzen Kasten verließen, in dem die Show stattgefunden hatte. „Er hat uns den Mittelfinger gezeigt“, sagte jemand über Hedi Slimane. „Warum haben sie ihm nicht einfach sein eigenes Label gegeben?“, ein anderer über LVMH, den Konzern, bei dem Slimane angestellt ist. „Was wird jetzt aus COS, die wissen ja gar nicht mehr, wo sie abkupfern sollen“, witzelte eine dritte. Am treffendsten fand ich den Kommentar von Jo Ellison, die die Show in der Financial Times indirekt mit der Wahl Donald Trumps verglich.

Es fühlte sich an, als sei die Mode unsanft in ein neues Zeitalter geschubst worden. Nach vielen bunten Saisons der Identitätsmode, in denen Labels wie Maryam Nassir Zadeh und Eckhaus Latta intellektuelle Kleider an Frauen verschiedener Generationen, Körperformen und Hautfarben zeigten, in denen der Trend starb und der persönliche Stil groß wurde, nach all diesen fortschrittlichen Jahren, in denen Phoebe Philo eine so prägende Kraft war, jetzt das! Was für eine Enttäuschung.

Aber manchmal hilft es ja, die Dinge sacken zu lassen. Die Show liegt nun einen Monat zurück. Und, Achtung: Ich habe meine Meinung geändert.

Links: Celine S/S 2019. Rechts: Céline F/W 2017

Der schärfste Vorwurf gegen Hedi Slimane lautet, dass er mit seiner Kollektion für Celine die Bedürfnisse moderner Frauen ignoriert. „A brand that was once thoroughly identified with a peerless instinct for what women want in fashion all of a sudden looked like a gust of toxic masculinity“, schrieb Tim Blanks auf Business of Fashion. „Why it matters when designers ignore what women want“, stand über der Showkritik auf Man Repeller. Diese Urteile implizieren, dass alle Frauen wollen, was Phoebe Philo entwarf. Und dass alle Frauen das auch wollen sollten. Schließlich war das alte Céline, mit seinem accent aigu, den Gummistiefeln, zeltweiten Hosen, kastigen Mänteln, Hemdkleidern, hochgeschlossenen Pumps und schwarzen Lederbeuteln, doch der Look der Feministinnen, der starken, arbeitenden, überlegenen Frauen. Und die sein zu wollen ist Pflicht!

Aber was, wenn gar nicht alle Frauen Hemdkleider und Gummistiefel tragen wollen, und zwar deshalb, weil sie sich darin gar nicht so stark und überlegen fühlen, wie es sich die Slimane-Kritiker und Philo-Fans vorstellen? Was, wenn es auch Frauen wie meine Pariser Tante gibt, die in ihrer Familie die Hauptverdienerin ist, während ihr Mann jeden Tag kocht, und die ihr Geld eher für ein Paillettenkleid als für einen riesigen Wollpullover ausgeben würde?

Links: Céline S/S 2017. Rechts: Celine S/S 2019

Vor ein paar Jahren habe ich den britischen Designer J.W. Anderson für das ZEITmagazin interviewt. Wir sprachen über seine Heimat, ein Dorf in Nordirland. Was die Leute dort so anhatten, wollte ich von ihm wissen. „Keine aktuelle Mode. Aber das störte mich nicht, im Gegenteil“, sagte Anderson. „In der Welt, in der ich heute arbeite, sind alle so berauscht von Mode, dass sie schnell den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. Dagegen habe ich beobachtet, dass sich die normalen Leute, die bei den großen Ketten einkaufen, vor allem für Abendkleidung interessieren – es besteht offenbar eine breite Zustimmung für Kleidung, mit der man Eindruck schinden kann.“

In diesen Tagen, da die Modewelt Phoebe Philo nachtrauert und ihren Nachfolger verdammt, werde ich das Gefühl nicht los, dass diese Modeelite gar keine Vorstellung davon hat, wie sich sehr viele Frauen heute wirklich anziehen wollen. Und damit meine ich nicht nur jene Frauen, die sich in Moskau und Dubai bereitwillig in alte Rollenbilder pressen lassen. Ich meine auch die gebildeten, emanzipierten Frauen in den westlichen Großstädten, Frauen wie meine Tante und sogar mich selbst, die ich mich von früh bis spät mit dem allerneuesten Shit der Modewelt beschäftige, am Ende des Tages aber auch nach einer Jeans suche, die einfach einen guten Hintern macht.

Links: Céline Pre-Fall 2018. Rechts: Celine S/S 2019

Objektiv betrachtet fand ich das, was Phoebe Philo für Céline entworfen hat, immer toll. Aber anziehen, das wird mir jetzt klar, wollte ich es nie. Kurz vor Slimanes Show ging ich, angesteckt von der allgemeinen Céline-Wehmut, sogar noch in die Pariser Boutique auf der Avenue Montaigne, wo die großen Hits der Philo-Ära hingen. Ich spielte ein Spiel: Wenn ich alles Geld der Welt hätte, was würde ich mir hier heute kaufen? Ich fand nichts. Alles sah schick aus und fühlte sich vornehm an, aber kein einziges Teil wäre mir das viele Geld wert gewesen. Ein Wollpullover für über 1000 Euro? Wenn ich diese Summe parat hätte, würde ich mir davon eher ein Cocktailkleid kaufen.

Ich bin wie die Frauen, von denen J.W. Anderson damals gesprochen hat. Die Sachen, für die ich am meisten und am liebsten Geld ausgebe, sind Kleider zum Ausgehen: rückenfreie Tops, Schlauchkleider mit Schlitz, Blazer mit Taillengürtel, High Heels, Tüllröcke – you name it, ich habe es im Schrank. Ein Großteil meiner Garderobe ist frivol, feminin und dezent sexy, gemacht für die wenigen Stunden der Woche, in denen sich das Leben nicht wie eine endlose To-Do-Liste anfühlt, sondern glamourös und ein bisschen unvernünftig. Manchmal trage ich diese Stücke auch im Alltag, mit Leggins drunter oder einem Pullover drüber.

Links: Céline S/S 2018. Rechts: Celine S/S 2019

Phoebe Philos Céline war von der Ideologie geprägt, dass „moderne Frauen“, also solche, die gleichzeitig Karriere machen, einen Haushalt schmeißen und eine Familie gründen, realistische Mode brauchen: Kleider, in denen sie durch den Supermarkt rennen und mit ihren Kindern im Sandkasten sitzen können. Aber ganz ehrlich: Wer setzt sich in einem Kaschmirpullover, der so viel gekostet hat wie eine Monatsmiete, in einen Sandkasten? Wer rennt bei Regen in weiten, beigefarbenen Hosen zum Bus? Dieses Céline war vielleicht für jene modernen Frauen gemacht, die sich Uber und eine Nanny leisten können. Aber nicht für Frauen wie mich. Und man wollte ja auch nicht auf die Céline-Kopien von COS oder & Other Stories ausweichen. Es musste schon das Original sein, alles andere sah gleich ein bisschen bäuerlich aus. In dieser Hinsicht war Phoebe Philos Céline also total unrealistisch. In Hedi Slimanes Celine kann man immerhin in eine Bar oder auf eine Party gehen, also an Orte, die für einen Moment Zuflucht vor der Realität des Alltags bieten.

Nur um das klar zu stellen: Vieles in der neuen Celine-Kollektion fand ich schwach. Die Motorradstiefel sahen sogar an den dünnen Beinen der Models doof aus. Die Taschen wirkten großmütterlich. Die Röcke waren kurz genug, um sich darin permanent entblößt zu fühlen. Und auf den ersten Blick war es haargenau das gleiche Zeug, das Slimane immer gemacht hat. Aber: Die Kleider werden für den Verkauf länger als für den Laufsteg gemacht. Die Anzüge, mit den an der Hüfte drapierten Hosen, sehen perfekt geschneidert aus. Sehr schick fand ich schon während der Show den Overall aus Leder. Einige Clutches sind mit den Comics des Künstlers Christian Marclay bedruckt oder bestickt. Viele Teile würde ich sofort anziehen. Es kommt ja auch darauf an, wie man sie trägt: zu den Minikleidern würde ich eine Anzughose kombinieren, den Lederanzug mit einem Rollkragenpulli drunter tragen.

Links: Celine by Hedi Slimane. Rechts: Céline by Phoebe Philo

Es gibt Designer, die kreativere, fortschrittlichere, poetischere Kleider entwerfen als Hedi Slimane. Aber so sehr ich diese klugen Geister für ihre Arbeit bewundere, so oft frage ich mich doch, ob sie ihre Arbeit wirklich gut machen, wenn sich am Ende nur eine sehr kleine Gruppe von Frauen darin wiederfindet. Wer den übrigen Frauen einfach vorwirft, sie wohnten hinter dem Mond und hätten wohl den Aufstand gegen das Patriarchat verschlafen, macht es sich zu leicht. Obendrein ist auch der Vorwurf anzuzweifeln, Hedi Slimane wolle mit seinen Minikleidern und schmalen Silhouetten Frauen zu Objekten von Männerfantasien degradieren, seine Mode sei also antifeministisch. Ist feministische Kleidung nicht für jede Frau etwas anderes? Der einen verleiht ein riesiges Sackkleid ein Gefühl von Stärke, der anderen ein glitzernder Minifummel. Am Ende sieht man stark und selbstbewusst aus, wenn man etwas trägt, das zu einem passt.

Vor ein paar Tagen fuhr ich in London an einer Céline-Boutique vorbei. CÉLINE, so stand es noch in gelben Lettern über dem Eingang, drinnen sah ich die riesigen Zimmerpflanzen, die steinernen Podeste, die moosgrünen Teppiche. Wie diese Boutique sehen heute Wohnungen in jeder zweiten Homestory aus. Ich fand diesen Stil immer sehr elegant und geschmackvoll. Aber jetzt, tausendmal gesehen, kam er mir altbacken vor – und gefällig. Hedi Slimanes erste Kollektion für Celine hat vielen nicht gefallen. Und das ist gut so. Nur wer bereit ist, nicht zu gefallen, kann eine Diskussion anstoßen und Veränderung bringen.

Header: links Céline Pre-Fall 2018, rechts Celine S/S 2019. Alle Bilder via Celine und Vogue Runway