Leider reich

RICH KIDS OF HAMBURG-OTHMARSCHEN

Neulich ging ich, wie man das im Sommer so macht, mit Kumpeline Mirabelle ein Eis essen, eine ganz normale Tätigkeit, die sich im Nachhinein jedoch als außerordentlich inspirierend und vor allem aufschlussreich entpuppte. Von der Hitze ermattet waren Mira, meine Pistazieneiskugel und ich gerade unter einen Sonnenschirm vor dem Eissalon geflohen, als ein etwa zehnjähriges, langbeiniges Mädchen heran geradelt kam, Humbert Humbert aus Lolita wäre auf der Stelle in Ohnmacht gefallen. Das Fräulein trug Minirock, seidenes Flattertop und Leder-Sandalen, außerdem baumelte eine extravagante, üppig mit silbern-schimmernden Pailletten bestickte Strohhandtasche am braunen Handgelenk. Das Outfit war, muss man zugeben, nicht gerade von schlechten Eltern.

Mit der besten Freundin im Schlepptau und einer überdimensionalen rosafarbenen Eisportion ließ man sich unterm angrenzenden Sonnenschirm nieder und begann in hemmungsloser Lautstärke von den Erlebnissen der vergangenen Sommerferien zu erzählen. Da gab es einige spannende Details zu berichten. Man sei zunächst in den Hamptons, dann in Miami und anschließend in Florenz gewesen, wo man ein paar echte Schnäppchen abgestaubt habe, unter anderem ein Portemonnaie von Missoni, nichts Großes, nur ein paar Kleinigkeiten. Nein, die Handtasche sei nicht neu, nur aus einem Laden irgendwo in Miami, es müsse aber auch schnellstmöglich eine aktuellere her, mit diesem Schrottmodell könne man sich ja unmöglich noch sehen lassen. Man sei mit Mama in Florenz außerdem auch bei Bottega Veneta gewesen, und habe dort Bikinis angeschaut, aber der Papa wäre schnell gelangweilt gewesen, er sei dann rüber zu Zegna, Anzüge shoppen.

Mirabelle und ich hatten längst unsere eigene Konversation abgebrochen, viel zu interessant ging es schließlich bei den Damen am Nebentisch zu. Verwöhnte Mini-Ungeheuer finde ich persönlich jedenfalls immer ganz sensationell, besonders dann, wenn sie den Mund aufmachen und ihr staunendes Umfeld mit Sensationen aus ihrem geldsorgenfreien Luxus-Kosmos versorgen.
Ob denn die beste Freundin auch schöne Ferien genossen habe, erkundigte man sich zwischendurch genüsslich eislöffend, nur um die schüchterne Antwort zu erhalten, ja, auf Usedom sei es ganz nett gewesen, aber weniger shoppinglastig.

Sogleich setzte Lolita ihren Redeschwall fort und erzählte nun von einer Einladung zu einem Event ins Hamburger Restaurant Rivergrill, der sie am kommenden Wochenende mit ihrem Vater beizuwohnen gedachte. Der Dresscode laute gemäß der Einladungskarte „Casual Chic“, sie hätte da natürlich einige Optionen, ob die Freundin wohl Lust hätte, ihr bei der finalen Entscheidung zu assistieren? Ja? Cool.
Das Eis wurde aufgeschleckt, weitere kindliche Unwichtigkeiten ausgetauscht, und man machte sich wieder auf den Weg. Mirabelle und ich saßen versteinert unterm Sonnenschirm und genossen still unsere Erinnerungen an eine Kindheit als Sprösslinge normal-betuchter Bildungsbürger, die im Alter von 10 Jahren viel zu sehr mit Legosteinen und den Wilden Hühnern beschäftigt gewesen waren, um den Unterschied zwischen Missoni und Moschino ausmachen zu können.

Ich habe diese Story nicht erfunden, die Szenerie hat sich so und nicht anders ereignet, und Foto-Blogs wie „Rich kids of Instagram“ sind ein weiterer Beweis dafür, dass Geld und Manieren gar nicht selten ein Paradoxon darstellen. Selbst will ich mich gar nicht als Anti-Konsumentin bezeichnen, auch ich kaufe gerne ein und bevorzuge schöne Hotels mit Swimming-Pool, nur gehe ich damit erstens nicht ungeniert auf offener Straße hausieren und bin zweitens als Kind langsam und vorsichtig an die kleinen Luxus-Erlebnisse des Lebens herangeführt worden. Auch Mode ist ein Luxus, und in letzter Zeit habe ich mich immer häufiger gefragt, wie viel davon tatsächlich eine Wohltat ist. Geld allein macht nicht glücklich, sagen die Leute, und ich wage zu behaupten, dass unbegrenzte Liquidität durchaus ein wahrer Fluch bedeuten kann. Finde ich die herrlichen Kleider von Yves Saint Laurent und Balenciaga und Prada nicht auch deshalb so herrlich, weil sie für mich so schrecklich unerreichbar ist? Ist nicht diese Exklusivität, diese Unerreichbarkeit letztlich das, worin die Schönheit der Mode besteht? Mode ist, wie Kunst, Malerei, Fotografie, etwas, das uns zum Träumen bringen und damit auch beim Betrachter die Kreativität fördern soll. Wiegt das nicht unendlich viel mehr als ein unendliches Taschengeld? Ich bedauere das Mädchen mit der Paillettenhandtasche um die schönen Träume von unerreichbaren Dingen und die eigene Kreativität, die ihr durch ihre ach-so-großzügigen Eltern gänzlich gestohlen worden sind. Häufig ist nicht zu wenig, sondern zu viel Geld die Quelle der Stillosigkeit. Wie sagte Coco Chanel doch einst so schön: „Mode kann man kaufen, Stil muss man haben.“

Alle Bilder über Rich Kids Of Instagram.
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