Entdeckt bei Stil in Berlin: ANNTIAN

©Mary Scherpe

In einer Branche, die sehr treffend gerne auch als Haifischbecken bezeichnet wird, in der allsaisonal hunderte Labels um die Aufmerksamkeit und Anerkennung von Presse und Kundschaft buhlen und einzig Begabung leider nur selten zu Ruhm und Erfolg führt, erscheint es fast leichtsinnig, wenn ein junges Modehaus vollkommen unabhängig und ohne die fachmännische Unterstützung einer PR-Agentur in dieser absurden Welt der Oberflächen überleben will.
Doch andererseits kann manchmal auch gerade das subtil Mysteriöse, das einen Namen und seine Kreationen umgibt, den Grundstein zum Erfolg legen – denn besonders in der Modewelt von heute ist der Zauber der Exklusivität ein rares Gut geworden.

Am vergangenen Freitag entdeckte ich nun also in der Mulackstraße im Geschäft BAERCK, das bis Ende Oktober zugleich auch als Mary Scherpes „Stil in Berlin“-Pop-up-Store mit einer erlesenen Auswahl Berliner Schneiderkunst fungiert, das Label ANNTIAN, von dem ich bis dato noch rein gar nichts gehört hatte. Denn die verantwortlichen Designer Anne Hilken und Christian Kurt setzen bei ihrem Geschäftskonzept offenbar auf genau jene mysteriöse Exklusivität und zauberhafte Geheimniskrämerei, bei der groß angelegte PR-Aktionen nur hinderlich wären. ANNTIAN schlägt, so scheint mir, ganz bewusst keine zu großen Wellen. Denn diese Mode ist zu schön und vollkommen, als dass man sie dem gierigen Publikum allzu schnell und laut unter die Nase reiben wollte.

Ihren Stil beschreiben ANNTIAN selbst als reduziert und klar, jedoch komplex im Detail. Beim Durchforsten der Stil-in-Berlin Auswahl galt meine Bewunderung zunächst primär den großen Stars der Berliner Szene – Issever Bahri, Hien Le oder Michael Sontag. Vielleicht wäre mir die federleichte Seidenrobe mit digitalem Herbstlaub-Print aus der aktuellen Winterkollektion von ANNTIAN gar nicht erst aufgefallen, hätte es mir Mary, die sich als findige Verkäuferin ganz ausgezeichnet schlägt, nicht plötzlich unter die Nase gehalten. Ich schlüpfte hinein – und wollte nie wieder raus. Das Kleid fällt perfekt, mit raffiniert gerafftem V-Ausschnitt, fließend weiten und schmal zusammenlaufenden Ärmeln, und einer schmeichelnden Silhouette dank des in der Taille gebundenen Gürtels, der diesem Traum von einem Kleid jegliche sackartige Plumpheit nimmt. Ich bin augenblicklich verliebt – diese nonchalante Eleganz, die optimale Länge, der herrliche Print, diese Farben! Überhaupt dreht sich die gesamte „NOW AND THEN“-Kollektion um den Moment, in dem das Herbstlaub fällt, um den Augenblick, in dem wir uns entscheiden können, ob wir diesen farbenprächtigen Umstand ignorieren oder uns seinem Zauber öffnen möchten. Auf ihrer Webseite schreiben die Designer selbst:

Each of the Leaves different, a huge variety lying there on the ground, all beautiful, slightly wet, shining and sparkling as spotted from the sunshine, rich in colourtones, wine-red, autumn yellow, warm-brown, even pink, bright, intense, almost unreal. Their constitution fascinating geometric, technical. Smelling of oxygen, earth, trees, wet sand, and still fresh.

Diese Leidenschaft für meist unerkannte, feine Elemente unserer Umgebung und Umwelt, die wir täglich als bloße Selbstverständlichkeiten gar nicht mehr wahrnehmen, scheint ebenfalls ganz bewusst ein Baustein des ANNTIAN-Konzepts zu sein – gerade so wie das Label selbst lernen wir hier eine Modekunst kennen, die nicht laut nach Ruhm und Ehre schreit, sondern lieber als delikates, subtil geschliffenes Detail wahrgenommen werden möchte. Und diese Strategie funktioniert, zumindest bei mir, ganz hervorragend. Denn ich bin vollends entzückt.

Alle Bilder stammen aus dem Lookbook der A/W-Kollektion 2012/2013. Fotografin: Johanna Ruebel.