Ob sich die Welt der Trends und Moden schon vor Beginn des 21. Jahrhunderts auch auf den Bereich der Kulinarik bezog, kann ich nicht beurteilen, mich selbst gibt es ja erst seit den Neunziger Jahren. Gerüchten zufolge sollen im antiken Rom Gerichte wie gefüllte Wacholderdrossel und Hasenschulter sehr en vogue gewesen sein, während in den 60er und 70er Jahren bodenständigere Hausmannskost zum Trendfood erhoben wurde, zum Beispiel Mettigel, Käsewürfel oder Kalter Hund.
Heutzutage aber scheint die Relevanz kulinarischer Moden ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben. Wir definieren unsere Attraktivität nicht mehr bloß darüber, wie wir uns kleiden und schminken, sondern auch, indem wir uns möglichst stilsicher ernähren. Nicht einmal mehr in der intimen Atmosphäre der abendlichen Brotzeit am Küchentisch können wir uns den Klauen der Modewelt entziehen. Am Ende essen wir ja doch kein klassisches Butterbrot, sondern ein paar Sushirollen vom Asiaten nebenan, wo sich wiederum die Jungs von der Werbeagentur gegenüber täglich zum Lunch verabreden.
Apropos Sushi: obwohl noch immer an ungezählten Straßenecken jeder größeren Stadt Deutschlands (und mittlerweile wohl auch in den Provinzen) ein Sushi-Circle oder etwas Vergleichbares zu finden ist und eine anständige Mode-PR-Veranstaltung natürlich nicht ohne mehrere Platten Maki und Nigiri stattfinden darf, hat die Modewelt inzwischen längst andere niedliche Häppchen als zum Verzehr stylisch genug befunden: so dürfen beispielsweise Cupcakes nach wie vor auf Blogger-Events und glamourösen Empfängen auf keinen Fall fehlen, und bieten, ganz nebenbei, für all die anwesenden bloggenden Fotokünstler selbstredend auch immer ein tolles Motiv. Sogar in der britischen VOGUE las ich irgendwann mal einen dreiseitigen Artikel über die berühmtesten Cupcake-Bäckerinnen Londons, allesamt schlanke, langbeinige Schönheiten in pinkfarbenen Chloé-Röcken und mit makellos glatten Gesichtsoberflächen. Würde mich ja auch wundern, wenn irgendeiner diese mit kleinen Buttercreme-Türmchen versehenen Kuchen tatsächlich essen würde.
Fakt ist: die britische VOGUE kann man getrost als eine der verlässlichsten Quellen für neue Modetrends aus der kulinarischen Welt bezeichnen. Kürzlich las ich da nun in der aktuellen Dezember-Ausgabe einen hochinteressanten Bericht über den rasant steigenden modischen Wert von Popcorn. Allerorts würden derzeit Gourmet-Popcorn-Firmen aus dem Boden schießen, und zwar in diversen glamourösen Geschmacksrichtungen, wie etwa „French Goat Cheese and Malabar Black Pepper“, „Caramel Macchiato and Scotch Whiskey“ oder „Lime and Poppyseed“.
Wie dieser lustige, angeblich wahnsinnig gesunde Kino-Snack zum Trendfood avancieren konnte, erklärt die Autorin des besagten Berichtes, Charlotte Sinclair, ganz simpel folgendermaßen:
„Once you pop, you can’t stop.“
Ah ja. Logisch. Es ist also wie in der Welt der Kleidermoden: hat man einmal damit angefangen, Schuhe zu kaufen, kann man nie wieder damit aufhören.
Besteht darin also das allgemein gültige Geheimnis modisch-kulinarischer Trends? Wird eine Speise dann zum food of the moment, wenn sie ausreichend Suchtpotenzial vorzuweisen hat? Zu belegen wäre diese Behauptung allemal: Sushi, Frühlingsrollen, Cupcakes und Macarons sind allesamt kleine Häppchen von großer Geschmacksintensität, entweder asiatisch würzig oder zuckersüß. Dabei lassen sie sich, weil es ja nur „Snacks“ sind, leicht zwischen Mittag- und Abendessen verzehren, ohne für ein „belastendes Völlegefühl“ zu sorgen – gerade bei Mode-Events ein wichtiges Argument, schließlich darf sich der Bauch in Anwesenheit der feindlichen Blogger-Konkurrenz niemals unter dem Acne-Kleid hervor wölben.
Jedenfalls würde diese These erklären, warum weder Entenbraten noch Käsespätzle jemals Trendfood sein durften: was modisch und essbar zugleich sein will, muss eben der schlanken Linie einigermaßen förderlich sein.
Die Liste bisheriger Kulinarik-Trends aber macht deutlich: beim modischen Essen muss es ganz offensichtlich primär um die Optik gehen. Egal ob man rohen Fisch oder klebrige Buttercreme nun schmackhaft findet oder nicht, Sushi und Cupcakes sehen eben immer gut aus, grafisch schwarz-weiß oder schön bunt in Rosa und Gelb mit Liebesperlen obendrauf. Chic!
Auch Popcorn hat scheinbar etwas Visuell-Verführerisches an sich, vielleicht weil es in hübschen Papiertüten serviert wird und außerdem das in der Modewelt so beliebte Prinzip der Wechselwirkung von Sein und Schein bedient – kleines Maiskorn, große Wirkung. Und wenn so ein popped corn auch noch mit mit drizzled dark chocolate oder italian pesto topping daherkommt, dann kennt die Modewelt mit ihren mitunter eben auch kulinarischen Vorlieben kein Halten mehr. In diesem Sinne: bon appetit.