Wer hat eigentlich die weibliche Kurzhaarfrisur erfunden? In der Fernsehserie „Downton Abbey“ tragen die englischen Ladies allesamt noch streng aufgesteckte Langhaarmähnen. „Downton Abbey“ spielt zu Anfang des 20. Jahrhunderts, also in einer Zeit, in der die adlige Damenwelt nicht hätte erklären können, was „Wochenenden“ und „Jobs“ sind und es als unschicklich galt, in irgendeiner Weise zu arbeiten. Nach dem ersten Weltkrieg war, so habe ich gehört, allerdings nichts mehr wie vorher: viele Frauen standen plötzlich gezwungenermaßen im Arbeitsleben, und generell genoss die Gesellschaft nach einer langen Phase des Mangels und Elends wieder ein frisches, dynamisches Befinden, das eine bestimmte Gruppe von Frauen zu Beginn der Goldenen 20er Jahre dazu angestachelt haben muss, sich das Haupthaar zu raspelkurzen Bubikopffrisuren schneiden zu lassen. Damit wurde der Kurzhaarschnitt erstmals salonfähig, und bis heute steht er unter anderem als Symbol für ein gewandeltes Image der weiblichen Geschlechterrolle. Ein frische, androgyne Jugendlichkeit machte sich breit, wie auch der mehrfach preisgekrönte Stummfilm „The Artist“ (2012) beweist: dort sehen wir die argentinische Schauspielerin Bérénice Bejo als Peppy Miller mit herrlich kokettem Lachen und flotten kurzen Löckchen, wahlweise auch geglättet und in Wasserwellen gelegt, durch die schwarz-weiße Szenerie tanzen. Dabei strahlt die Dame einen selbstbewussten und subtil reizvollen Charme aus, und ich habe meine Zweifel, ob ihr dies auch mit glatter Langhaarmähne gelungen wäre. Denn bis heute stehen lange Haare in vielen Kulturen für eine unverhohlene weibliche Erotik, was aber wohl der Grund dafür sein muss, dass kaum eine der mir bekannten Frauen jemals auf die Idee käme, ihre Haar auf weniger als mindestens pferdeschwanztaugliche Länge zu kürzen.
Zumindest teilweise ist dieser übergreifende Wunsch nach glattglänzender Rapunzelmähne wie aus der Schwarzkopf-Werbung natürlich durchaus nachvollziehbar. Wer mit üppigem eidotterblondem und seidenschimmerndem Haupthaar gesegnet ist, dem mag eine Langhaarfrisur in der Tat am besten stehen. Und natürlich sind mehr als schulterlange Haare besonders praktisch zu handhaben, lassen sich an den berüchtigten Bad-Hair-Days einfach zu eleganten Knoten im Nacken oder Knödeln am Oberkopf schlingen und bei Bedarf erotischer Verführungskraft im passenden Moment ganz lässig aufschütteln, während die Kurzhaarfrisur hingegen im schlechten Ruf steht, immerzu geföhnt werden zu müssen und dabei angeblich noch nicht mal viel Spielraum für verschiedene Styling-Optionen lässt.
Jedenfalls habe ich besagte Vorschläge von Chanel und Wang, kaum dass ich vom Friseurbesuch nach Hause kam, gleich einmal ausprobiert, nebst einiger anderer Experimente, die dank meiner neuesten Kaufsünde, einer sau-teuren, mattschimmernden Modelliercreme von Aveda Men, für erstaunlich positive Ergebnisse sorgten. Mit dieser Frisur wird mir niemals langweilig. Viel mehr kann ich täglich in eine andere Rolle schlüpfen, heute lustiges Chanelmodel spielen, morgen die eiserne Alexander-Wang-Lady mit streng geteilter Haarmitte, übermorgen die verruchte Rockerbraut, die frech unter den zerzausten Strähnen hervorlinst, und am nächsten Tag dann wieder das kokette 20er-Jahre-Fräulein mit glattem Seidenschimmer und perfekter Hinterkopfföhnung. Mehr Styling-Freiheit geht nicht, womit wir wieder, wie schön, beim Ursprung der Kurzhaarfrisur angekommen wären – nämlich, der Damenwelt einen neuen, selbstbewusst-charmanten Anstrich zu verpassen. In diesem Sinne: schnipp-schnapp, Haare ab!