Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, nach Kopenhagen zu fahren – zum Beispiel, weil man dort den wahrscheinlich besten Kaffee Nordeuropas trinken kann. Serviert wird er, überzogen von einer dicken, dampfenden, haselnussbraunen Crema-Schicht, im Restaurant Mother. Das Mother liegt im up and coming Meatpacking District und komprimiert auf seiner lichtdurchfluteten Gastronomiefläche all das, was ich während meines kurzen Aufenthaltes an der dänischen Hauptstadt so zu schätzen gelernt habe: nordisches Understatement, authentische Avantgarde und schlichtweg gute Laune. Dabei ist Kopenhagen aber viel zu schlau dafür, sich einzubilden, es seit mit seinem frischen, positiven Flair allen anderen up and coming Klein-Metropolen um mindestens drei Nasenlängen voraus. Kopenhagen ist nicht abgehoben cool, sondern schon cool auf die Welt gekommen.
Spaziert man durch eine der von herrschaftlichen, bunt angestrichenen Fassaden gesäumten Straßen, taucht an der nächsten Ausfahrt unter Garantie eine große blonde Dänin im drapierten Cape und in schwarzen Plateausandalen auf. Ähnlich schöne, ungezwungen gut gekleidete Gestalten lassen sich aber auch in jeder gewöhnlichen Fußgängerzone erspähen – ein Paradies für jeden Streetstyle-Jäger. Gemütliche rote Klinkerbauten grenzen an von kühlem Licht durchflutete Kunstgalerien, die Gassen tragen Namen wie Gammel Strand, im Restaurant Fortunen isst man gemeinschaftlich von allen Tellern. Pikant heißt der Verleih für Erotikfilme, mitten im „dirty district“ gelegen (so nennt unser Fahrer Niels das Kopenhagener Soho-Pendant), während nebenan, in der modern verglasten Bagerdygtigt, eine Fuhre frisch gebackener, knuspriger Zimtschnecken einen unwiderstehlichen Duft verströmt. Ein paar Türen weiter lockt die Interieur-Boutique DANSK mit einer Auswahl herrlichster skandinavischer Einrichtungsobjekte, wie zum Beispiel dem „Adnet Mirror“ von Gubi, bei dessen Anblick meine Atmung aussetzt.
In dieser Stadt, die gänzlich unverkopft ganz einfach aus dem Bauch heraus zu pulsieren scheint, in der die Leute aussehen, als hätten sie am Morgen mit intuitivem Gespür für tolle Outfits blind in den Schrank gegriffen, und in der traditionelle dänische Gemütlichkeit mit progressivem Charme und Sinn für moderne Finesse und Stil ganz unkompliziert miteinander verschmelzen, sind künstlerisch und kommerziell zugleich ambitionierte Modelabels wie Stine Goya, Henrik Vibskov und Wood Wood genau am richtigen Platz. Inspiration lässt sich in Kopenhagen an jeder Straßenecke finden, denn Zugezogene aus aller Welt, unzählige fernöstliche Geschäfte und Restaurants und eine angenehme Offenheit gegenüber Touristen sorgen für ein herrlich buntes Straßenbild, das manchmal gar einer Mini-Version von New York oder London nahe zu kommen scheint, bloß ohne den Stressfaktor; und auch mit der Pünktlichkeit nimmt es Kopenhagen nicht so genau, die Schauen beginnen allesamt prinzipiell mit mindestens 30 Minuten Verspätung. Wen stört das schon, wenn doch das Défilé letztlich für ganz besondere Modemomente sorgt? Die kreative Energie der Stadt schlägt sich in den ganz grandios gelungenen Kollektionen verschiedenster Designer nieder, von Anne Sofie Madsen mit ihren futuristischen Horrorfilm-Looks, bis Peter Jensen, der dank seiner grafisch-ironischen Kreationen im Stil der quirligen 60er Jahre am Freitagmittag für einen fulminanten Abschluss meines Kopenhagen-Ausflugs sorgt und bei uns deutschen Pressevertretern fast ein wenig Wehmut aufkommen lässt – diese Stadt ist modisch und stilistisch Berlin eben doch eine kleine Nasenlänge voraus.
Das aber merkt man nicht nur an der kreativen Stimmung, die Kopenhagen vor lauter Energie vibrieren lässt, sondern auch ganz einfach an der ehrlichen Gastfreundlichkeit, die, zumindest relativ betrachtet, in deutschen Restaurants ja mitunter noch zu wünschen übrig lässt: am späten Nachmittag des Abreisetages, kurz vor der Fahrt zum Flughafen, schaue ich noch auf einen kleinen Snack im Mother vorbei. Wie immer lässt mich mein Timing im Stich, ich muss mir den restlichen Salat als doggybag einpacken lassen, der Koch improvisiert und serviert mir meinen Rucola liebevoll in Alufolie und einen Pizzakarton verpackt, nach doggybags hat in dieser entspannten Stadt anscheinend noch keiner gefragt. Als ich nach Plastikbesteck frage, reicht er mir eine silberne Gabel, zwinkert lustig und sagt: „Take this one, I’m sure you’ll be back soon.“ Damit hat er nicht unrecht – Kopenhagen, ich komme wieder!