New York’s betörende Coolness

Von links: Thakoon, 3.1. Phillip Lim, Theyskens Theory, Karen Walker, Alexander Wang. Bilder via style.com/GoRunway

Um herauszufinden, wie die moderne Frau von heute tatsächlich aussehen möchte, muss man nach New York schauen – die Kreationen der dort ansässigen Designer lassen kaum weitere Fragen offen, Fragen danach, was die Frauen unserer Zeit und Generation wirklich tragen wollen. Woran liegt das? Wie schafft New York das? Auf den Laufstegen von Alexander Wang und Theyskens Theory sehen wir ausdrucksvolle, starke Silhouetten mit maskulinem Einschlag, die Frauen jedoch keineswegs wie unnahbare Mannsweiber erscheinen lassen. Es ist der raffinierte Mix aus purer, etwas nachlässiger Strenge und messerscharfer Coolness, der die Mode dieser Stadt so einzigartig und die Frauen, die hier leben und diesen signifikanten Stil prägen, so beneidenswert macht.

Schwarz ist weiterhin die Lieblingscouleur der New Yorkerinnen, das haben auch die Modeschöpfer des Big Apple erkannt. Erstaunlich ist, wie ihnen nach unzähligen Kollektionen mit vornehmlich schwarzen Outfits immer noch neue Einfälle kommen, die dem wohl farblosesten aller Farbtöne zu Effekt und Innovation verhelfen. Um gleich bei Alexander Wang zu bleiben: dort gibt es kokonförmige Jacken mit Keulenärmeln und Zipp-Verschluss, Wollkapuzen und Röcke mit abstrakter Waffeloptiktextur zu sehen, allesamt in tiefstem Schwarz und dabei fern jeglicher Ödnis oder Tristesse. Was passiert, wenn man Schwarz und Weiß mischt, weiß jedes Kind: Grau kommt heraus, im Falle Wangs ein kräftiges Steingrau, das in Form gerade geschnittener langer Mäntel mit Hüftbund und voluminösem U-Boot-Ausschnitt oder als militärisch strenges Hemdblusenkleid daherkommt. Obendrauf als i-Tüpfelchen die herrlichen Wollstrumpf-Mules und dreiteilig gefächerten Aktentaschen, und spätestens hier wird klar, was Mr. Wangs Kreationen tatsächlich so brillant macht: sie sind originell, ohne dass man ihnen diesen Stempel offensiv ansehen würde, innovativ, ohne laut Exzentrik zu schreien. Die Floskel „Weniger ist mehr“ passt hier allerdings nicht so ganz, Alexander Wang versteht sich einfach darauf, Kleider zu entwerfen, die keiner grellen Farbigkeit oder wilder Prints bedürfen, um nach sehr viel „Mehr“ auszusehen. Genau darin liegt das Geheimnis des New Yorker Stils: den Frauen in dieser Stadt gelingt eine betörende und zugleich beeindruckend lässige Art des Gutaussehens bei gleichzeitigem Verzicht auf jenen Kanarienvogel-Look bestimmter Mode-Ikonen, der zwar sicherlich ikonisch, aber nicht zwangsläufig modisch und modern ausfallen muss.

Ebenso viel Begeisterung lösen die Kreationen von Theyskens Theory aus: dort kehrt der hohe schwarze Lederstiefel zurück auf den Laufsteg, glänzend kombiniert zu raspelkurzen Skaterröcken, kantigen Blazern oder schlichten, (natürlich) schwarzen Etuikleidern. Auch die Frisuren dürfen wir uns hier merken: der Mittelscheitel bleibt, allerdings in akkurat glatt gegelter Form; in derartigem Aufzug entscheidet die New Yorker Firmenchefin unter Garantie jede Verhandlungsrunde für sich. Überhaupt sehen wir hier einen durchaus geschäftstauglichen Look, der mit dem biederdeutschen Hosenanzug wenig gemein hat. Gute Vorschläge für professionelle und zugleich rattenscharfe Business-Outfits waren ohnehin längst überfällig.

Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch die Entwürfe von Phillip Lim, der den hohen Lederstiefel ebenfalls wieder salonfähig macht, allerdings in besonders gladiatorenhaft kämpferischer Ausführung, nämlich als Hybrid aus Sandalette und weitem Overknee-Schaft. Die ledernen Umhänge-Taschen, die den Models ganz zeitgemäß vorne auf Bauchnabelhöhe baumeln, sind gerade so formatiert, dass ein iPad hinein passt, und machen sich in dieser kantigen und zugleich jugendlichen Lässigkeit ganz wunderbar zum grauen Zweireiher-Smoking, voluminös geschnittenen olivgrünen Bikerjacken mit Stepptextur, lachsfarbenen Ledermänteln und dem besten Outfit überhaupt: der Nadelstreifenweste zum Top mit ledernem Rollkragen. Wir lernen: eine stilvollere Möglichkeit, auf dem Motorrad ins Büro zu brausen, wird uns so schnell wohl kein Modeschöpfer mehr präsentieren.

Wem das alles viel zu streng und cool und lässig und männlich ist, der wird vielleicht besser bei The Row fündig, dem Label der wunderbaren Olsen-Zwillinge, die bereits seit einigen Saisons beweisen, dass ihr unverwüstlicher It-Girl-Status beim Kreieren wirklich beachtenswerter Kollektionen durchaus kein Hindernis darstellen muss. Zu schiefergrünen Gehröcken, knöchelkurzen schwarzen Hosen mit Bügelfalte und Smokingblazern wirken weichere Details wie die flatternden Volants am Halsausschnitt oder aber die offenen Mules mit Organzablüten dezent feminin und verspielt.

Auch die first ladies unter den Businessdamen der Ostküste werden in dieser Saison wieder bestens versorgt, und zwar von Thakoon, dessen aktuelle Designs jene selbstsichere Eleganz versprühen, die selbst der schüchternsten Duckmaus eine funkelnde Ausstrahlung verleihen möchte: üppige, überkreuz gegürtete Pelzkragen, wahlweise leopardengemustert oder in Kornblumenblau, schwarze Kleider mit Pusteblumenprint und vertikalen Einsätzen aus transparentem, blütenbedrucktem Netzstoff sowie silbern und gold glitzernde Lederstiefeletten schaffen einen exzellenten Look moderner Weiblichkeit, in dem sicherlich auch Thakoons prominenteste Stammkundin Michelle Obama wieder eine gute Figur machen wird.

Und dann wäre da ja noch die Farbe Rot! Kaum ein Designer, der die ausdrucksstarke Couleur nicht in seine Kollektionspalette aufgenommen hätte – bei Derek Lam überzeugt der ochsenblutrote Schnürbootie mit spitzer Kappe, Marc Jacobs zeigt für seine Zweitlinie feurig leuchtende 7/8-Marlenehosen und hutschachtelförmige Henkeltaschen, das weniger bekannte Label Zero+Maria Cornejo präsentiert einen kugeligen Kokonmantel mit schillernder, bordeauxfarbener Lurextextur, und sogar Oscar de la Renta, dessen Kreationen ich für gewöhnlich ziemlich scheußlich finde, überzeugt mit lampenschirmförmigen Hütchen in knalligem Karminrot.

Hat man schließlich einen gründlichen Überblick über die in New York gezeigten Kollektionen und die darin erkennbaren, labelübergreifenden Trend-Erscheinungen erlangt, so wird durchaus klar, dass in dieser Stadt keine Mode von überirdischer Fantasie und Extravaganz entsteht. Dafür muss man nach Mailand und Paris fahren, zu Prada und Dior, hier werden Kleider von surrealer Schönheit entworfen, der überschwängliche Exzess, den Mode bisweilen auszulösen vermag, in seiner vollen Bandbreite zelebriert und dem Luxus geheiligt. New York aber punktet mit seiner Tragbarkeit, die sich durch eine ständige Neudefinierung des Begriffs der Coolness auszeichnet. Und so wollen wir, die Frauen von heute, mal ganz ehrlich gesagt, doch am Ende alle aussehen: einfach cool.