„Mode reift mit der Zeit“ – Interview mit Bobby Kolade

©William Minke für Bobby Kolade


Bobby Kolade ist im Sudan geboren, in Uganda aufgewachsen
und im Alter von 18 Jahren nach Berlin gekommen. Trotz sowohl nigerianischer
als auch deutscher Wurzeln würde man den talentierten Jungdesigner und
Absolventen der renommierten Kunsthochschule Weißensee wohl kaum als „typisch
deutsch“ bezeichnen. Mit genau diesem Klischee, vor allem aber der in
internationalen Kreisen weit verbreiteten Überzeugung, die Deutschen müssten ständig
alles unter Kontrolle haben, hat sich Bobby Kolade in seiner Debütkollektion
„Things fall apart“ auseinander gesetzt. Die Presse ist begeistert, Herr Kolade
zeigt sich lieber bescheiden. Ein Gespräch mit dem  derzeit wohl interessantesten und sympathischsten Import der Berliner Modewelt.

Bobby, Du bist 2005 aus Uganda nach Deutschland gekommen.
Warum?

Nun ja, was macht man wohl als junger Mensch? Ich habe in
Uganda auf der Internationalen Schule die A-Levels absolviert, und meine
Musiklehrerin, die in Berlin studiert hat, meinte, dass diese Stadt wohl gut zu
mir passen würde.
Was gefällt Dir an Berlin?
In den letzten sieben Jahren, in denen ich hier in und
außerhalb von Berlin gewohnt habe, hat sich die Stadt einerseits sehr
entwickelt, und trotzdem gibt es immer noch viel Platz und Raum für neue Ideen,
neue Künstler, neue Architektur. Das macht das Leben hier sehr spannend. Wenn
man Berlin mit Paris vergleicht, dann fällt auf, dass dort vieles schon sehr
etabliert ist, obwohl wir doch eigentlich in ständigem Wandel leben. Ich habe
keine Ahnung, wie Berlin in den kommenden zehn oder auch nur fünf Jahren
aussehen wird und finde es toll, wenn ich Teil der steten Veränderung dieser
Stadt sein darf.
Warum machst Du Mode?
Ich denke, dass man in der Mode die besten Möglichkeiten
hat, mit dem Faktor Zeit zu spielen. Dieser Aspekt fasziniert mich ungemein,
Zeit ist eines der wenigen Elemente im Leben, das wir Menschen, die ja so gerne
den Überblick behalten, nicht beeinflussen können. Die Zeit vergeht
unaufhaltsam, aber in der Mode versucht man damit zu spielen, schaut in die
Vergangenheit oder Zukunft, kleidet sich je nach Saison, ob Sommer oder Winter,
in jedem Jahr wieder anders. Das macht für mich die Faszination der Mode aus:
was ich jetzt für gut halte, werde ich in absehbarer Zeit vielleicht furchtbar
finden, und umgekehrt ebenso. Wieso trägt man heute wieder Sachen, die vor zehn
Jahren en vogue waren, während Trends,
die vor zwei Jahren aktuell waren, das jetzt nicht mehr oder noch nicht wieder
sind?
Zeit ist auch ein Luxusgut.
Genau. Wir leben gerade in der Modeindustrie in einer Welt,
in der die Bedeutung von Luxus total inflationär gebraucht wird. Fast jedes
Modelabel kann sich heutzutage eine Luxusmarke nennen, dabei finde ich, dass
der größte Luxus, den man haben kann, Zeit ist. Produkte, die Zeit brauchen,
Produkte, die es seit langer Zeit gibt, und Menschen, die die Zeit haben, auf
Produkte zu warten, die eben Zeit brauchen, und nicht immer alles gleich haben
müssen.
Deine Debütkollektion trägt den Titel „Things fall apart“.
Warum?
Die Idee für „Things fall apart“ kam mir schon in Paris, wo
ich nach dem Studium zwei Jahre gelebt und Praktika bei Maison Martin Margiela
und Balanciaga gemacht habe. Dort ist mir aufgefallen, dass die Franzosen von
den Deutschen, also auch von mir, das typische Bild der  perfekt Organisierten vor Augen haben,
die ständig alles unter Kontrolle haben müssen. Ich habe mich gefragt, was wohl
passiert, wenn man dieses Denkbild infrage stellt, zumal ich damit in Bezug auf
mich selbst überhaupt nichts anfangen konnte.
Wie hast Du diesen Gedanken konkret in die Kollektion
übersetzt?
In der Kollektion finden sich viele lose Elemente,
herabhängende Manschetten, geschlitzte Ärmel, lockere Gürtel. Es gibt keine
offensichtliche, „kontrollierte“ Struktur, die Silhouetten ergeben sich
zufällig und spontan.
Wie arbeitet es sich als Modedesigner in Deutschland?
Ich sehe Deutschland noch nicht als Modenation, ich sehe Berlin
auch noch nicht als Modestadt, weil es hier zwar talentierte Modemacher und Modeinteressierte
gibt, die Einstellung der Leute Mode gegenüber aber nicht wirkliche
Begeisterung ausdrückt.
Illustration: ©Uli Knörzer
Hast Du dafür eine Erklärung?
In Deutschland geben die Leute lieber Geld für Autos aus,
bauen sich ein Haus – aber einen hochwertigen Mantel kauft man sich eher nicht,
und wenn doch, dann meist nur von einer sehr etablierten Marke. Natürlich
produzieren die bekannten Modehäuser tolle Kleider, aber ich habe den Eindruck,
dass weniger bekannten Labels offenbar sehr wenig oder gar kein Vertrauen
entgegen gebracht wird, dass sie es nicht auch ebenso gut machen
können.Vielleicht glaubt man aber auch, dass das, was an Mode aus Deutschland
kommt, nicht so gut sei kann wie die Kreationen aus Paris und Mailand.
Deine Entwürfe muten allerdings sehr originell und damit
stellenweise auch sehr künstlerisch an. Das wohl beeindruckendste Stück Deiner Kollektion ist ein aus der Rinde des ostafrikanischen Feigenbaums gefertigter
Mantel. Siehst Du dich selbst eher als Künstler oder als Designer?
Viele Leute meinen, dass die Mode keine Kunst sein kann,
weil sie so kommerziell ist – aber das finde ich insofern verwirrend, als dass
die anderen Künste, Bildende oder Darstellende Kunst, ja genauso so
kommerziell, wenn nicht noch kommerzieller orientiert sind. Dafür gibt es
Galerien, Auktionshäuser und Sammler, Theater und Film. Vielleicht ist die
Bezeichnung Kunst für Mode deshalb so schwierig, weil wir alle sehr nah an diesem
Phänomen dran sind, jeder zieht sich jeden Tag etwas an, wir alle konsumieren
Mode, selbst wer behauptet, daran kein Interesse zu haben, entscheidet sich
trotzdem nicht ohne Grund für das karierte anstatt für das gestreifte Hemd. In
meiner Kollektion gibt es auf jeden Fall stellenweise künstlerische Details,
zum Beispiel in Form der lllustration von Uli Knörzer oder eben der Verwendung
der Baumrinde, andererseits aber auch simplere und schlichtere Stücke. Ich
finde es generell aber sehr schwierig, zwischen Mode und Kunst eine klare
Grenze zu ziehen.
©William Minke für Bobby Kolade
Vielleicht sollte man lieber versuchen, zwischen Kleidung
und Mode zu unterscheiden? Was macht ein Kleidungsstück für Dich zu Mode?
Ich glaube, dass der Unterschied zwischen Bekleidung und
Mode im jeweiligen Entstehungsprozess liegt. Im klassischen Modeatelier gibt es
normalerweise eine vier- bis sechsmonatige Phase der Kreation einer Kollektion,
in der unendlich viel recherchiert, ausprobiert und wieder verworfen wird. Als
ich anfing, an dieser Kollektion zu arbeiten, hatte ich keine konkreten Ideen,
keine Silhouetten gezeichnet und überhaupt keinen festen Plan. Aus alten und
neuen Ideen, Fehlern und daraus entstehenden neuen Einfällen sind dann mit der
Zeit die endgültigen Entwürfe entstanden. Mode reift mit der Zeit.
Wie arbeitest Du? Drapierst Du an der Puppe oder
zeichnest Du?
Ich zeichne gar nicht gern, weil ich dabei das Gefühl habe,
in meiner kreativen Arbeit schon von vornherein sehr stark eingeschränkt zu
werden. Wenn etwas auf dem Papier ist, ist man von dieser Festlegung sehr
schnell „vorbelastet“ und durchweg beeinflusst.
Deshalb beginne ich primär mit der Suche nach
unterschiedlichsten Bildern, die mich inspirieren, aktuell waren das zum
Beispiel japanische Sumo-Ringer und Frauen in Uganda im traditionellen
Gomesi-Kleid. Ich blättere durch unzählige Bücher und Bildbände und versuche,
Ähnlichkeiten und Kontraste zwischen verschiedenen Kulturen und ethnischen
Gruppen zu erkennen. So kann ich ganz unbefangen und spontan an den
Entstehungsprozess der Kollektion herangehen.
Du stehst momentan ja noch am Anfang Deines Werdegangs
als Modeschöpfer. Fürchtest Du dich vor der kommerziellen Realität, die Dich in Deiner künstlerischen Freiheit
einschränken könnte?
Überhaupt nicht! Für mich ist der Arbeitsprozess in der Mode
erst dann vollendet, wenn ich eine Frau sehe, die meine Kreationen trägt – um
das zu erreichen, muss man die Mode kaufen können. Ich möchte gerne wissen, was
die Kundinnen von den Entwürfen halten, wie sie sich darin fühlen und sich
darin bewegen. Meiner Ansicht nach ist es vollkommen machbar, künstlerisch frei
und kommerziell zugleich zu arbeiten. Man muss bloß immer denken: an erster
Stelle steht die Frau, die Trägerin.
©William Minke für Bobby Kolade
Gibt es einen Designer, der für Dich ein Vorbild ist?
Mein Held war schon immer Cristobal Balenciaga. Was er für
seine Zeit geschaffen hat, ist einfach fantastisch. Während alle anderen mit
dem Körper gearbeitet haben, hat er teilweise den Körper ignoriert, innovative
Formen entworfen und damit neue Räume um den Körper geschaffen. Dabei ist seine
Mode sehr klar und seine Vision eindeutig. Außerdem war er ein starker
Charakter, und ziemlich stur.
Braucht man in der Modewelt eine gesunde Sturheit?
Oh ja, auf jeden Fall. Ich glaube nicht, dass man verrückt
sein muss, aber man darf nicht zu kompromissbereit sein. Die Arbeit darf auch
nicht zu bequem werden. Die Herausforderungen, die Probleme, die Fehler machen
die Arbeit als Modedesigner für mich erst richtig interessant. Ich arbeite
gerne mit Fehlern. Wenn ich bei der Anprobe merke, dass etwas nicht stimmt,
dann wird das Kleid nicht gleich verworfen, sondern der Fehler als Inspiration
für eine interessante Veränderung gesehen. Natürlich nur, so lange es ein
schöner Fehler ist!
Siehst Du dich selbst als Avantgardist?
Nun ja, es ist immer schwierig, das von sich selbst zu
behaupten. Auf jeden Fall bin ich besessen von der Idee von etwas gänzlich
Neuem.
Welche Frau hast Du beim Entwerfen vor Augen? Wer ist
die „imaginäre Berlinerin“, die Du von Uli Knörzer hast zeichnen lassen und
anschließend auf ein Kleid gedruckt hast?
Die Illustration zeigt nicht explizit die Frau, für die ich
ausschließlich entwerfe – wenn das so wäre, hätte ich einen sehr kleinen
Kundenkreis. Die Idee dahinter ist, dass diese imaginäre Frau eine lässige
Eleganz ausstrahlen soll, ein bestimmtes Gefühl, das meine Kreationen der
Trägerin verleihen sollen. Die Zeichnung ist quasi eine fast plakative
Darstellung dieser Imagination von der Einstellung und Attitüde der Trägerin.
Lustigerweise haben viele Leute, denen ich die Illustration gezeigt habe, dabei an
eine bestimmte Frau gedacht, die sie selbst kennen und gesagt: „Ist das
nicht…?“
 ©William Minke für Bobby Kolade
Würdest Du mit dem Attribut der „lässigen Eleganz“ auch
Deine Handschrift als Designer beschreiben?
Eigentlich warte ich noch darauf, dass ein Journalist meine
Handschrift richtig definiert, ich weiß nämlich selbst nicht so genau, was mein
persönlicher „Stil“ eigentlich genau ist! Deshalb war es für mich auch
sehr wichtig, zurück nach Berlin zu kommen und mein eigenes Label zu gründen.
Nachdem ich zwei Jahre in Paris für andere Modeschöpfer gearbeitet hatte,
wusste ich gar nicht mehr genau, wer denn eigentlich ich selbst bin. Beim Entwerfen habe ich immer Angst davor,
dass der rote Faden, diese gewisse Kohärenz, fehlt und deshalb bin ich jedes
Mal unglaublich erleichtert, wenn am Ende des Entwurfsprozesses doch erkennbar
ist, dass hinter den Kreationen eine bestimmte Person steht.
Und was ist das Ziel dieser bestimmten Person?
Ich würde sagen: Eleganz gepaart mit einer gewissen
Zwanglosigkeit. Fein, aber nicht forciert, nicht steif, sondern lässig. Deshalb
trugen die Models bei der Show meiner Debütkollektion Fußballschuhe zu den
Kleidern. In Berlin laufen schließlich auch die wenigsten Frauen gerne in hohen
Schuhen herum, Fußballschuhe aber klingen ähnlich wie High Heels.
Was hältst Du vom Stil der Berliner Frauen?
Ich finde erstaunlich, wie viele Berlinerinnen, obwohl sie
eben zum Beispiel gar keine hohen Schuhe tragen, dabei dennoch sehr elegant
aussehen können. Wenn man es schafft, Sportschuhe zu tragen, ohne dabei
auszusehen, als käme man gerade aus dem Fitnessstudio, zeugt das sicherlich von
einem besonderen Gespür für Raffinesse. Auch das zu zeigen war
ein Ziel der Kollektion. Überhaupt sind die Frauen, die mir täglich begegnen,
für mich die größte Inspiration. Der einzige Vorteil am Winter ist, dass man
anstatt Fahrrad viel U-Bahn fährt und dort die ganze Zeit Leute beobachten
kann. Auch die, die sich überhaupt nicht stilvoll kleiden, können eine
spannende Inspiration sein.
©William Minke für Bobby Kolade
Kann man den Stil der Stadt Berlin generell beschreiben?
Bisher finde ich es noch schwierig, eine genaue Definition
zu finden. Ich glaube nicht, dass man derzeit genau sagen kann, was die
Berliner Mode ist, dazu fehlt all dem, was in dieser Stadt entworfen und
gezeigt wird, noch ein gewisser Konsens. Dieser Aspekt gibt mir wiederum eine
enorme Freiheit, da ich mich so nicht in etwas schon Etabliertes einfügen muss.
Verrätst Du schon etwas über Deine nächste Kollektion?
So viel kann ich sagen: die wird ganz anders!
©William Minke für Bobby Kolade
©William Minke für Bobby Kolade
©William Minke für Bobby Kolade
©William Minke für Bobby Kolade

©William Minke für Bobby Kolade
©William Minke für Bobby Kolade