Nie wieder Wurst

DAS BUCH "GEMÜSE" WILL FLEISCHFRESSER UND VEGANER VERSÖHNEN.

Kürzlich erreichte mich die Einladung eines Freundes zu einer veganen Dinnerparty. Noch während ich bereits fieberhaft überlegte, wie ich Fleischklößchen und Käsewürfel in Tupperware möglichst unauffällig in meiner Abendclutch würde mitführen können, klärte mich der Gastgeber auf, es handele sich um einen Scherz, er selbst sei leidenschaftlicher Fleischfresser und ich müsse mir keine Sorgen machen, an besagtem Abend ausschließlich von Tofu und Tomatenscheiben ernährt zu Bett gehen zu müssen.

Wenigstens ein Verbündeter. Eine Einladung zu einem rein pflanzlichen Abendessen hätte ich mich allerdings keinesfalls gewundert. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders mag die tägliche Speckschwarte noch zum guten Ton gezählt haben. Heute aber definiert sich der feine Lebensstil durch die neumodernen Grundnahrungsmittel Quinoa-Samen, Räuchertofu und Mandelmus. Sojamilch ist fast schon wieder passé, Menschen mit moralischem Gaumen trinken heute Reismilch, wobei ich bis heute nicht verstanden habe, wie man ein Reisfeld melken soll. Aber das ist egal, originell klingt es auf jeden Fall. Würstchen fürs Volk, Agavendicksaft für Adel und Klerus. Wer etwas auf sich hält, verzichtet für kiloweise Bio-Gemüse und lauter kulinarische Neuerscheinungen, die sich kaum buchstabieren lassen, gerne auf die zwielichtige Hacklasagne oder den fragwürdigen Naturjoghurt. Ich traue mich mittlerweile kaum noch, öffentlich den Wunsch zu äußern, mal wieder ein richtig gutes Steak essen gehen zu wollen. Empörung von allen Seiten! Und wenn ich freundlich darauf hinweise, dass ich natürlich ebenfalls gegen Massenviehhaltung und Nutztiersklaverei bin, ein ordentliches Stück Fleisch oder Käse gelegentlich aber sicherlich nicht schaden kann, dann bekomme ich zu hören, der menschliche Körper sei auf derartige Nahrungsmittel gar nicht ausgelegt, auch Kohlenhydrate seien übrigens neumodischer Schnickschnack, der Steinzeitmensch habe sich jedenfalls ausschließlich von Beeren und Nüssen ernährt.

Dazu fällt mir vor allem eines ein: der Steinzeitmensch wurde nur 30 Jahre alt.

Um die Debatte zwischen sturen Fleischfressern und aufgebrachten Veganern jedoch nicht noch weiter anzuheizen, ist nun zum Zwecke der Besänftigung beider Seiten vor einiger Zeit ein neues Buch im DuMont Verlag erschienen. Es trägt den schlichten Titel „Gemüse“, und bereits auf dem Cover geht es gleich richtig gut los: da tanzt eine korpulente blonde Dame in einem Tutu aus Porreestangen.
Was zwischen den Buchdeckeln folgt, ist ein herrliches Ratatouille gesammelter Kurztexte, Illustrationen, Gedichte und Anekdoten. In der ersten Szene des Vorwortes macht der Leser Bekanntschaft mit drei Frauen, die Anfang Januar in der Sauna sitzen und zusammen 300 Kilo wiegen.

„Nie wieder Wurst.“ Stöhnte die Erste. „Nie wieder Wein.“ Seufzte die Zweite. „Nie wieder Wild.“ Ächzte die Dritte. 

Im Klartext heißt das: hier werden zeitgemäße Themen behandelt. So widmen sich auch die folgenden 143 Seiten munter begeisterten Lobpreisungen der trendigen Nahrungsmittelgattung Gemüse, wobei nie so wirklich klar ist, ob die drei verantwortlichen Autoren Wiglaf Droste, Nikolaus Heidelbach und Vincent Klink, die zuvor schon vier Bände unter den Titeln „Wurst“, „Wein“, „Wild“ und „Weihnachten“ publizierten, den vegetarischen Lebensstil wirklich ernst nehmen oder eigentlich nur ein bisschen auf die Schippe nehmen wollen. Im Kapitel „Nie wieder Fleischtomaten!“ wird zum Beispiel folgende Geschichte erzählt:

In einem Dortmunder Lokal trug sich Folgendes zu: Eine Kundin fragte den Wirt: „Ist Ihre Tomatensuppe vegetarisch?“ Die Frage klingt dümmer, als sie ist; es gibt, wie es alles gibt, Tomatensuppe auf Fleischbrühenbasis. Der Wirt, ein Mann mit Humor, gab zur Antwort:“Leider nicht. Da sind Fleischtomaten drin.“ Worauf die Kundin bedauernd sagte: „Dann kann ich sie nicht essen“, fortging und im Nirvana des Guten und Richtigen verschwand.

Eindeutige Werbung für fleischlose Speisen sind hingegen die vereinzelt zwischen den Seiten drapierten Rezepte für Gerichte wie „Gewürzkarotten in Yufka“ oder „Aubergine mit Tomatenmousse und Parmesan“. Wer Gemüse lieber erstmal nur anschauen will, anstatt es zu essen, der kann sich an den herrlichen Illustrationen laben, beispielsweise an Elvira, die den „Tanz mit der Salatgurke“ beherrscht, oder den nicht ganz jugendfreien Bebilderungen zu Vincent Klinks „Fünf wichtigsten Gemüseregeln“ – dort sehen wir Artischoke und Pastinake oder Chicorée auf Möhre in Paarungspositur. Vor dem Schlafengehen lese ich persönlich immer gerne eine der knackigen Gemüseanekdoten, zum Beispiel jene, in der es um einen kleinen Jungen geht, der sich weigert, schwimmen zu lernen und daraufhin als Bestrafung für dieses unmännliche Verhalten Gemüse essen soll:

„Was willst du heute zum Abendessen? Würstchen? Schnitzel??? – Du Mädchen! Du kriegst Brokkoli! – Grüne Bohnen! – Lauch! – Spinat! – Blumenkohl!(…)Erbsen! – Chicorée! – Rosenkohl!…“ 

Wunderbar. Das nenne ich Vegetarismus mit Augenzwinkern. Zum Abschluss beten wir noch im Namen der Süßkartoffel „Gemüse bin ich, geh zur Ruh“, dass ihre Spezies von der stetig wachsenden und heran marschierenden Sippe neu-entdeckter Veganer und Vegetarier nicht allzu schnell ausgelöscht werden möge:

Zwiebeln und Speck/ lass bitte weg/ Butter und Schmälzchen/ halt uns vom Hälschen. Sei bedankt von deinen Damen. Amen.

Information: Das Buch „Gemüse“ ist im DuMont-Verlag erschienen und beim gut sortierten Buchhändler des Vertrauens und hier für 24,99 Euro erhältlich.