Wannseefinesse

Vorderes Bild: VOGUE

Wenn die Luft plötzlich nach Löwenzahn und Erdbeeren duftet, kein Lärm kreischender Krankenwagensirenen mehr das liebliche Vogelgezwitscher übertönt und statt bedrohlich grauer Plattenbauten monochrom strahlende Jugendstilvillen die Grünflächen säumen, weiß der Berliner: er ist am Wannsee gelandet. Wie federleichte weiße Papierschiffchen segeln die Boote über das plätschernde Blau, hinter dicht begrünten Kastanien leuchtet es kornblumenfarben.

Der Wannsee ist ein Ort der hochnäsigen Idylle, herrlich weit weg erscheint da mit einem Mal der Großstadtdreck von Berlin downtown. In der Hitze werden Mitte und Marzahn nämlich noch hässlicher: dann entblößt plötzlich jeder freiherzig sein Arschgeweih, prunkvoll drapiert auf dem bleichen Hinterrückenspeck. Männer greifen zu Bermuda-Shorts mit großzügig applizierten Hosentaschen auf Kniekehlenhöhe, Frauen bevorzugen einen Stoffhauch aus Jeans, der leider irgendwo oberhalb der Pobacken in verfilzten Fransen verfliegt. Dazu knallbunte Sonnenbrillen aus Plastik, Flipflops aus Plastik, Bauchfreies aus, ja, aus Plastik. Dauerschwitzender Kunststoff verklebt den Sommer.
Entsprechend sehen auch die Bademoden der Neuzeit aus: bedruckt mit Pferden, Pandas und Pinguinen, geschnürt, geknotet, glitzernd, mit Zipp und Perlen und Nieten. So was mag natürlich in einigen Fällen ganz nett und originell anmuten. Gepaart mit fettiger, entblößter Haut können galoppierende Ponys auf der Brust aber auch schnell zum Eigentor werden.

Félix Vallotton: „Bad an einem Sommerabend“ (1892). ©Kunsthaus Zürich

Die klerikale Bademodengesellschaft inklusive Sonnenschirm und Borsalino ist heutzutage ja leider ausgestorben. Nur herrliche Malereien wie jene von Félix Vallotton, derzeit übrigens im Kunsthaus Zürich zu bewundern, zeugen noch von einer Zeit, in der dem warmen Sommerwetter nicht mit vulgärer Skrupellosigkeit bei der morgendlichen Kleiderwahl getrotzt wurde. In der Idylle eines gediegenen Badesees mag diese Finesse aber weiter existieren: dort möchte ich nicht gern im Topshop-Badeanzug und mit pinkfarbener Sonnenbrille vom Discounter auflaufen. Das klingt eigensinnig und vor allem schrecklich abgehoben, aber wäre es andererseits nicht eine Schande, einem solch zauberhaften Naturparadies mit kreischend buntem Plastik am Leib zu begegnen? Nein, für den Wannsee braucht es eine Bademodengarderobe à la Vallotton, in eleganten Unifarben, Schwarz, Weiß, Rot, Blau, Gestreift. (Findet sich in dieser Form, das hat eine ausgiebige Recherche ergeben, leider ausschließlich bei teuren Marken.) Dazu eine neue Sonnenbrille, (wenn wir schon beim Geldausgeben sind), hausgemachte Zitronenlimonade, und vielleicht noch einen geringelten Sonnenschirm. Glatt und glänzend wie ein blank geputzter Spiegel liegt der Wannsee im Sonnenlicht. Weiße Boote gleiten dahin. Erdbeerrot leuchtet der Badeanzug.