Ich habe eine Zahnpasta geschenkt bekommen, die im Handel 8 Euro kostet und nach scharf gewürztem Autoreifen schmeckt. Die Paste ist bonbonrosa, nach Gebrauch macht sich ein pelziges Gefühl im Mundraum breit, am liebsten möchte man sich die Zähne dann gleich noch mal putzen. Der für eine Zahnpasta ungewöhnlich hohe Preis lässt sich offenbar nicht auf die hochwertige, medizinisch geprüfte Herstellung, sondern viel mehr auf das Produktdesign zurückführen: denn die Tube ist so schick, dass ich mir von nun an keine Blumen mehr ins Badezimmer stellen muss. Meine neue Zahnpasta ist Dekoration genug: efeugrüne Jugendstil-Ornamente ranken auf der weiß-glänzenden Aluminiumhülle, orangefarben leuchtet der Schriftzug Euthymol, darunter, in barock gewundenen Lettern: A Scientific Dental Preparation.
Euthymol ist keine Neuerfindung, sondern ein Kult-Produkt aus dem Hause Johnson & Johnson. Kaufen kann man es in feinen Boutiquen und Concept-Stores, zum Beispiel bei Wood Wood oder Torquato. Damit ist klar: Euthymol ist die Zahnpflege des Modevolks, in erster Linie natürlich deshalb, weil Modemenschen optisch ansprechende Dinge schätzen, Objekte mit Retro-Charakter, Schmückendes in allen Lebenslagen. Und schrubbt sich das Zahnfleisch schließlich nicht weitaus ambitionierter mit pinkfarbener Paste aus ornamentierter Tube? Diese Modeerscheinung passt in eine ganze Reihe von Produkten der Kosmetikbranche, die toll aussehen, an Qualität aber zu wünschen übrig lassen. Die hübschesten Nagellackfläschchen gibt es schließlich auch bei Chanel, rund 30 Euro kostet die farbige Tinktur, die gefühlt 24 Stunden zum Trocknen und ebenso lange wieder zum Abblättern braucht. Qualitätssiegel? Mangelhaft.
Besonders nobel erscheint auch, wer seinen Badewannenrand mit Haarpflege von Revlon oder Kérastase schmückt, damit kann man sich bei der täglichen Haarwäsche wie ein Hollywood-Star fühlen. Dass beide Marken sowie lauter andere Firmen wie Aveda und Paul Mitchell mit ihren feschen Tiegeln bei diversen medizinischen Tests jedoch jämmerlich durchfielen und teils extrem reizende Substanzen enthalten, ist ja Nebensache, solange die Optik stimmt. Dagegen sind die Shampoos vom Öko-Test-Sieger SebaMed in ihren sachlichen weißen Flaschen ja fast schon eine Schande für die Innenarchitektur des Badezimmers. Dafür macht SebaMed die Haare schön.
Ich behaupte kühn: Während man in der Modewelt davon ausgehen kann, dass man in eleganten und hochwertigen Kleidern meist auch selbst elegant und hochwertig aussieht, wird dieser Zusammenhang in der Beauty-Industrie anti-proportional: dort sollte man sich von besonders gut aussehenden Tuben möglichst fern halten. Je teurer das Produkt und je schöner die Verpackung, desto hässlicher wird man selbst. Das bedeutet allerdings nicht, dass meine neue rosafarbene Euthymol Zahnpasta, die mir vermutlich die Zähne verätzt, ihren Platz im Badezimmer räumen muss. Zu Dekorationszwecken darf sie gerne bleiben.