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©Todd Selby |
Nur einmal teilte ich mir beim Strandurlaub ein Fleckchen Sand mit zwei nicht-lesenden Touristinnen, die den ganzen Tag in der Sonne brieten, ohne auch nur ein einziges Buch, nicht einmal ein Klatschmagazin in die Hand zu nehmen, während ich höchstambitioniert Thomas Mann’s Buddenbrooks verschlang. Leute, die im Sommer nicht lesen, verstehe ich nicht. Was soll man in der Hitze denn sonst den ganzen Tag anstellen?
Möglicherweise war den beiden Damen nach wenigen Tagen Badeurlaub aber auch einfach schon der Literaturproviant ausgegangen – gleich nach dem Dauerregen eines meiner größten Feriengrauen. Damit meinen geschätzten BlogleserInnen kein ähnliches Schicksal widerfährt, folgt hier nun also anlässlich des Beginns der Feriensaison Clairette’s exklusiver Literaturguide für den Sommer 2013 – inklusive thematisch passender Outfits, versteht sich, schließlich ist das hier ein Modeblog. Haben wir uns nicht schließlich alle schon mal gefragt, wie die Figuren unserer Lieblingsbücher wohl angezogen wären, würden sie uns plötzlich mal in der außerliterarischen Realität begegnen? Und in welchem Look wir ihnen entsprechend gegenübertreten wollen würden? Karl Lagerfeld ist übrigens auch eine echte Leseratte.
Wie in feine Tinte tauchten die Körper in dieses Becken, es war immer eine kleine Überraschung, sie unter Wasser dann in heller Nacktheit aufleuchten zu sehen. Rosemarie Hopsten trug einen schwarzen einteiligen Badeanzug mit kleinem Beinansatz, der ihre kräftige, an eine Maillol-Skulptur erinnernde Figur mit deutlicher Taille und den geschwungenen Hüften prächtig herausstellte; sie tauchte und warf beim Auftauchen das nasse Haar mit einem Schwung aus der Stirn; als sie auf der Aluminiumleiter aus dem Becken stieg vor den Augen ihrer in Liegestühlen ruhenden und plaudernden Gäste, schimmerte der triefende Stoff wie ein Robbenfell, die Wassertropfen umsprühten sie blinkend, es war ein triumphaler Aufstieg aus feuchten Tiefen.
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Schmuck: Kenneth Jay Lane, Badeanzug: Mara Hoffman, Sonnenbrille: Prada, Hut: Eugenia Kim, Rock: Marni |
In diesem psychotherapeutischen Historienroman machen wir Bekanntschaft mit einer ganzen Reihe illustrer Persönlichkeiten des späten 19. Jahrhunderts: Sigmund Freud, Lou Andreas Salomé, Dr. Josef Breuer, Friedrich Nietzsche. Letzterer lässt sich dank der Überzeugungsarbeit der schönen und nervtötend selbstbewussten Frau Salomé zu einer gänzlich neuartigen Behandlungsmethode seines Migräne-Leidens überreden, für die heutzutage lauter ausgebrannte Großstädter ein kleines Vermögen bezahlen. Mit Breuer und Freud ist die Gesprächstherapie geboren, das sogenannte chimney-sweeping, bei dem sich der Patient im Dauermonolog von seinen seelischen Belastungen reinigen soll.
Bloß legt sich ein Herr Nietzsche nicht gerne zum zwanglosen Plaudern auf die Couch, weshalb der Versuch natürlich im Desaster enden muss, auch deshalb, weil sein Arzt Dr. Breuer eigentlich erstmal seinen eigenen Schornstein reinigen müsste. Wir sehen: das Burn-Out-Syndrom ist durchaus kein Phänomen der Gegenwart.
„Hoffnung? Hoffnung ist das übelste der Übel!“ Nietzsche erhob die Stimme. „In meinem Buche „Menschliches, Allzumenschliches“ behaupte ich folgendes: Als Pandora das Fass öffnete und die Übel, welche Zeus hineingelegt hatte, in die Welt der Menschen ausgeflogen waren, blieb, von allen unbemerkt, ein letztes Übel zurück – die Hoffnung. Seit dieser Zeit betrachten die Menschen das Fass und seinen Inhalt, die Hoffnung, irrigerweise als Schatz, als größtes Glücksgut. Dabei haben wir vergessen, dass Zeus den Menschen wünschte, sie möchten sich weiterhin quälen lassen. Die Hoffnung ist das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“
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Bluse: Veronique Branquinho, Hose: Acne, Brille: Illesteva, Schuhe: Lanvin |
Ein normaler Mann, dem man ein Gruppenbild von Schulmädchen oder Pfadfinderinnen mit der Aufforderung zeigt, er solle die Reizvollste aussuchen, wird nicht unbedingt das Nymphchen unter ihnen wählen. Man muss ein Künstler sein, und ein Wahnsinniger obendrein, ein Spielball unendlicher Melancholie, dem ein Bläschen heißen Gifts in den Lenden kocht und eine Flamme schärfster Wollust unablässig in der elastischen Wirbelsäule lodert, um an unbeschreibbaren Anzeichen – der leichtgeschwungenen Raubtierkontur eines Backenknochens, dem Flaum an den schlanken Gliedern und anderen Merkmalen, die aufzuzählen mir Verzweiflung, Scham und Tränen der Zärtlichkeit verbieten – sofort den tödlichen kleinen Dämon unter den normalen Kindern zu entdecken…
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Die angesagtesten Sonderverkäufe in New York sind so gefährlich wie Krisengebiete, dagegen wirkt der Gazastreifen wie ein Naherholungsgebiet. Ungelogen, ich habe mal gesehen, wie K.K. beinahe ihre eigene Cousine bei einem Sonderverkauf von TSE ermordet hätte, weil beide diesen wahnsinnig tollen weißen Kaschmir-Mantel haben wollten, von dem es nur einen einzigen gab. Kein Wunder also, dass Jolene Morgan bei solchen Anlässen all ihre „Shopping-Feldzüge“ minutiös vorausplant. Sie beraumte im Vorfeld des Chanel-Verkaufs eine „Strategie-Besprechung“ an, und zwar mit Lara Lowell, Julie und mir. Wir trafen uns zum Lunch im Restaurant des Four Seasons in der East Fifty-second Street. Manchmal mache ich mir Sorge um Jolenes Geisteszustand, ganz ehrlich. Das Four Seasons ist so ein Laden, wo Bürgermeister und Medienmogule sich zum Lunch treffen. Es war jedenfalls nicht der Laden, der einem als Location für einen Mode-Gipfel als Erstes in den Sinn kommt. Aber ich vermute, Jolene wollte ihre Lagebesprechung in Gegenwart anderer brillanter Strategen abhalten.
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Pullover: Pierre Balmain, Rock: Mother of Pearl, Schuhe: Aquazzura, Ohrringe: Anton Heunis, Clutch: Oscar de la Renta |
Die Sonnenbrille spritzte auseinander, der Hinterkopf des Mannes verwandelte sich in eine große zerquetschte Tomate. Der Getroffene sank in sich zusammen, sein Körper schlug auf dem Boden auf. Das Geräusch, das durch die heiße Luft auf Sokolow zuwaberte, erinnerte ihn an das Klatschen des Zeitungspakets, jener hundertfünfzig mit einem Strick verschnürten Exemplare des Ma’ariv, das von einem fahrenden Lastwagen auf den Bürgersteig vor seiner Millionärswohnung geworfen wurde und für den Laden im Erdgeschoss bestimmt war (…) Der Mann blieb jetzt dicht vor ihm stehen, auf der anderen Seite des Müllkarrens, und richtete seine Waffe auf Sokolows Kinderkopf. Sie sahen sich in die Augen, und Sokolow erkannte die nervöse Entschlossenheit des Mannes und den Schweiß auf seinen Schläfen und der Oberlippe, und er sagte: „Ja nitschewo nje widjel.“ Ich habe nichts gesehen.
Sonnenbrille: Illesteva, Kleid: &Other Stories, Hut: Stella McCartney, Top: Tibi, Ring: Mawi, Schuhe: Saint Laurent