Um herauszufinden, wie es mit dem deutschen Modeverständnis im Jahr 2013 tatsächlich aussieht, lohnt sich eine Musterung der Gäste der Bayreuther Festspiele, die am vergangenen Donnerstag eröffnet wurden. Pünktlich zur Ouvertüre des Fliegenden Holländers fanden sich da wieder einmal Adel und Klerus der deutschen High Society ein, die Bayreuther Festspiele sind schließlich eine Art Oscarverleihung der Bundesrepublik und mit namhaften Persönlichkeiten aus Politik und Kulturwesen das gesellschaftliche Großereignis des Jahres. Politiker repräsentieren ihr Land, und dementsprechend auch dessen Kleidungsstil, das wissen wir aus Frankreich oder den USA, wo ehemalige Yves-Saint-Laurent-Musen auch mal First Lady sein dürfen oder die Frau des Präsidenten gerne Outfits von aufstrebenden Talenten wie Thakoon und Jason Wu auswählt.
Hierzulande, das hat die Eröffnungszeremonie der Festspiele auch in diesem Jahr wieder gezeigt, wird es allerdings wohl noch eine Weile dauern, bis Frau Merkel in Achtland auf dem roten Teppich aufläuft. Derzeit entscheidet sich die Bundeskanzlerin lieber für den demokratisch blauen Seidentaft-Zweiteiler aus knöchellangem Rock und Blazer. Ich verstehe schon, dass eine Staatsoberhäuptin möglicherweise an Seriösität einbüßt, falls sie im geblümten Jumpsuit im Bundestag erscheint. Aber bei einem Red-Carpet-Event wird man sich ja wohl mal herausputzen dürfen. Wie der Akt des Herausputzens allerdings in Deutschland definiert wird, das zeigt sich nicht auf der Berliner Modewoche, auf der Bread & Butter, in der wachsenden Jungdesignerszene der Republik oder in den hauptstädtischen Hipster-Vierteln, sondern bei eben jenen Anlässen, die dem Otto-Normalverbraucher von der Nordsee bis zum Schwarzwald Gelegenheit zur feinen Garderobe bieten: auf Abitur-Bällen, an Theaterabenden, bei den Bayreuther Festspielen. Das sind die Orte, an denen man lernt, wie die Deutschen mit Mode umgehen: nämlich gar nicht.
Gegen Wiebke Röslers Abendkleid beispielsweise wirkt Frau Merkels Outfit fast noch wie Couture von Dior: die Gattin des Vizekanzlers hat sich in einen Albtraum aus schillernd bestickter Spitze in schmutzigem Elefantengrau geworfen, mit Neckholder-Träger (die Deutschen lieben Neckholder!) und Wasserfall-Ausschnitt. Das mittelalterliche Beutelchen, das dazu als Handtasche fungiert, wollen wir lieber nicht weiter beschreiben. Fest steht: in diesem Aufzug sticht Frau Rösler in Sachen Geschmacklosigkeit jede Ballkönigin eines provinziellen Abiturballs aus.
Aber auch ein Spitzenkleid mit Neckholder lässt sich noch toppen: Republiksmutti Kristina Schröder ist für ihre merkwürdigen Einfälle bekannt – und von einer Frau, die findet, es sei politisch korrekter, von „das Gott“ zu sprechen, kann man offenbar auch in Modefragen nur Sinnfreies erwarten. Zum roten Schlauchkleid in Knitter-Optik gibt’s goldenes Schuhwerk, womit Frau Schröder anscheinend schon mal für das Weihnachtsgeschäft werben möchte.
Annette Kubicki, Ehegattin von FDP-Politiker Wolfang Kubicki, hat sich in diesem Jahr offenkundig von Desigual einkleiden lassen und sich in ein psychedelisch schillerndes Scheusal von Abendkleid geworfen, es ist eine richtige Fratzenrobe, die einem da mit pseudo-künstlerischen Tupfen in Pink, Orange, Moosgrün und LED-Blau ins Gesicht beißt. Gloria von Thurn und Taxis hätte ihr schwarzes Empirekleid mit Seidenschleife, Schimmerstrumpfhose und weißen Handschuhen wenigstens mal bügeln können, und liebe Frau Theiss, beim nächsten Mal kommen Sie doch lieber gleich im vertrauten Box-Trikot, denn alles, aber auch wirklich alles muss besser aussehen als diese pfirsichfarbene Chiffonrobe mit Glitzerbordüre und Beinschlitz.
So also kleidet sich Deutschland.
Natürlich mag das jetzt nach dramatischer Überinterpretation klingen, gerade auch deshalb, weil Veranstaltungen wie die Bambi-Verleihung oder der Deutsche Filmpreis schließlich ebenso beweisen, dass in unserem Land durchaus auch ein Interesse an wirklich elegantem und innovativem Modedesign bestehen kann. Das allerdings sind eben auch nicht die Events, auf denen sich der deutsche Durchschnitt präsentiert, sondern bloß eine Handvoll Kreativer, Künstler und Schauspieler. Mag sein, dass Luca Gadjus und Bibiana Beglau Prada tragen und Leandro Cano lieben. Aber wer da draußen, in den unendlichen Weiten und Tiefen der deutschen Provinz und Provinzstädte weiß überhaupt, wer Luca und Bibiana eigentlich sind? Angela Merkel und Kristina Schröder mögen da doch um einiges bekannter sein – und dementsprechend repräsentieren und prägen sie das Modeverständnis der Deutschen, mit blauem Seidentaft, Knitter-Optik und roten Schlauchkleidern.