Lässigkeit, sorgsam drapiert

VON DER KUNST DES SCHNELLEN ÜBERWURFS

Das Modevolk ist eine merkwürdige Gemeinde. In gerade jener Branche, in der Anziehen und Anziehung das Tagesgeschäft darstellen, scheint das Angezogensein zum Fauxpas verkommen zu sein. „Heute fühle ich mich so angezogen“, beklagte sich letzten Winter der immer gut gekleidete Kollege Fabian Hart, als ich ihn bei Minusgraden im zugeknöpften Parka traf. In der Modewelt gilt heute als schick, was nur schnell übergeworfen, mal eben unter den Arm geklemmt, von der Schulter gerutscht oder keck um die Hüfte geknotet wurde. Gerade mit letzterem Styling-Kniff hat die Kunst des Layerings in dieser Saison einen neuen Höhepunkt erreicht: von New York bis Paris binden sich Modemenschen neuerdings gern Lederjacke, Karohemd oder Sweatshirt um die Körpermitte. Mich persönlich erinnert dieser Look immer an Wanderausflüge mit der Schulklasse, als man morgens in voller Montur von Mama losgeschickt wurde, spätestens nach der dritten Wegbiegung schon unter der viel zu warmen Regenjacke zu transpirieren begann und den textilen Ballast zum Zweck der Körperbelüftung um die Hüfte schlingen musste.

Derart praktische Motive sind bei den stilsicheren Streetstyle-Ikonen und ihren perfekt geschichteten Outfits allerdings kaum zu vermuten. Vielmehr scheint sich hinter dieser Trenderscheinung der Versuch zu verbergen, möglichst viel Garderobeninhalt in einem Outfit zu kombinieren. Das hat man eben davon, wenn man gerne einkauft – man kommt kaum noch dazu, alle Lieblingsstücke auch regelmäßig anzuziehen. Der Lagenlook schafft da Abhilfe. Wenn ich heute zum Beispiel unbedingt meinen neuen Fransenrock mit Jeanshemd anziehen möchte, der neue Kenzopullover aber auch noch nie ausgeführt wurde, dann wird der einfach noch schnell um die Hüfte geknotet, natürlich mit dem Tigerkopf nach außen, obendrum kann man noch einen Mantel überwerfen, aber bloß nicht die Ärmel benutzen! Als echter fashion victim mache ich das natürlich auch nicht anders, weshalb mich meine siebenjährige Cousine neulich bestürzt nach dem Verbleib meiner Arme fragte, die unter den leer baumelnden Jackenärmeln kaum auszumachen waren.

Spaß beiseite: das wahre Ziel des lässigen Layerings sind natürlich seine charmante Nonchalance, die Raffinesse der Zufälligkeit, die Vermeidung von Förmlichkeit und steifem Auftreten. Perfekte Farb- und Formharmonie ist hingegen verpönt, weil sie verraten könnte, dass das morgendliche Ankleiden länger als fünf Minuten gedauert hat. Zugleich muss Mode, sofern sie auffallen will, heute wie ein komplex komponiertes Kunstwerk aussehen – die Leute haben sich schließlich an alles gewöhnt. Aber worin besteht eigentlich die wahre Bekleidungskunst? Im wahnwitzigen Übereinandertürmen von immer mehr Kleidungsstücken, im ach-so-lässigen, angeblich-mal-eben-aus-dem-Schrank-gefischten Lagenlook, der dann am Ende aber doch irgendwie zur unnatürlichen Draperie verkommt?

Oder sind es die feminine, perfekt geschneiderte Eleganz einer Giovanna Battaglia, der zurückhaltende, meist in Schwarz gehaltene Chic einer Emmanuelle Alt, die abgeklärte Hemd-und-Hose-Androgynität einer Saskia de Brouw, in deren Outfits die Quintessenz des guten Stils zu finden ist? Und was ist überhaupt schwieriger – in zehn verschiedenen Einzelstücken gut auszusehen oder bloß in drei?

Aufregend, spannend und inspirierend ist ein von Stilikonen wie Natasha Goldenberg und Leandra Medine geschichteter Lagenlook natürlich allemal. Aber wie viel Lässigkeit und Authentizität kann solch eine sorgfältige Draperie wohl noch versprühen?