Berühmte Moderedakteurinnen scheint die Angewohnheit zu einen, ihre ikonische Attitüde gerne über ihren Haarschopf zu vermitteln. Wenn das Markenzeichen der frostigen Anna Wintour der geschmeidig wie ein Theatervorhang geföhnte Bob ist, dann steht Carine Roitfeld für die Zottelfrisur im Heroin-Chic. Möglicherweise manifestiert sich darin auch ihr unangefochtener Ruhm: Mademoiselle C gilt bis heute als eine der gefragtesten Stylistinnen der Modewelt. Ihre Ideen, ihr Look, ihre Bilder, die Art, wie sie Mode vermittelt, all das ist auch nach über 40 Jahren im Business richtungsweisend für die Branche und Millionen Anhänger geblieben. Zugleich blicken ihre stets tiefschwarz umrandeten Augen auf derart gutmütige Art zwischen den braunen Strähnen hervor, als wolle sie uns wie eine sorgende Mutter sagen: ich will nur das Beste für dich.
Worin besteht der Zauber der Carine Roitfeld? Auf diese Frage weiß der Dokumentarfilm „Mademoiselle C“ von Fabien Constant, der seit Kurzem in französischen und amerikanischen Kinos zu sehen ist, vor allem diese Antwort: es ist der Respekt, mit dem die französische Stylistin egal wem begegnet, ob es sich nun um einen x-beliebigen amerikanischen Blogger handelt oder um Karl Lagerfeld in Person.
Es ist die Bescheidenheit, die deutlich durchklingt, wenn Carine mit brüchiger Stimme fragt, wann die Leute, die ja immer nach Neuem gieren, genug von ihr, von CR haben werden.
Und es ist das Unerwartete, der Überraschungseffekt, der aus allem, was Mademoiselle C anfasst, sei es ein nächtliches Couture-Shooting oder die Cover-Produktion zwischen Lämmern und Eseln auf dem Bauernhof, einen bahnbrechenden Look, ein ikonisches Bild, kurzum: etwas Verblüffendes und zugleich Bleibendes schafft. Respekt, Bescheidenheit, Überraschung: diese drei sind seltene Güter in der Modewelt geworden. Offenbar sind sie aber notwendiger als man glaubt, wenn man eine Position wie Carine Roitfeld erreichen möchte. Über ihr Privatleben weiß man wenig, keine Skandale, mit ihrem Partner Christian Restoin ist sie seit über 30 Jahren liiert. „Ich stecke meine Fantasie in meine Arbeit, nicht in Eskapaden“, sagt Mademoiselle C.




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Die erste Ausgabe von „CR Fashion Book“ |
Aber es sind nicht Limousinen und Hubschraubern, mit denen man dorthin kommt, wo die Roitfeld heute ist. Sondern eine Leidenschaft und Liebe für Mode, die über Kleidung hinaus gehen. „Fashion beyond clothes“ lautet deshalb auch das Motto des Magazins CR Fashion Book, das Carine Roitfeld nun seit 2012 herausbringt. Den Job als Chefredakteurin der französischen VOGUE hat sie indes an den Nagel gehängt.„Je suis une rebelle. Je ne fais pas de photos, je raconte des histoires“, damit beschreibt Carine selbst ihre Arbeitsphilosophie, mit der bei Condé Nast anscheinend nicht viel anzufangen war. In Paris hat sie die Krone abgelegt, in New York tut sie mit dem eigenen Magazin heute wieder das, was sie am besten kann: Models in gläsernen Särgen drapieren. Models mit weißen Federn bewerfen. Models in Haute Couture über Zäune klettern, in einer Kirche in Ohnmacht fallen oder in Feld und Wiesen mit Eseln und Küken schmusen lassen. Kurzum: Geschichten erzählen, die uns überraschen, schockieren, inspirieren, zum Träumen anregen – und deshalb nichts zu tun haben mit jener gestriegelten, austauschbaren Katalogästhetik, die sich heutzutage unter dem Deckmantel des Minimalismus viel zu oft in Magazinen aller Art wieder findet. Denn warum sollten wir die Mode noch brauchen, wenn sie kein Begehren mehr weckt? Genau das zeigt „Mademoiselle C“ und deckt damit die magische Fähigkeit der Carine Roitfeld auf: in Bildern eine Wucht von Schönheit, Weiblichkeit, Emotion, Erotik und augenzwinkernder Coolness zu entfalten, die die Mode mehr als eine flüchtige Momentaufnahme aus Stoff und Faden erscheinen lässt.


