Dornröschen in Potsdam

AUF ZUM SCHLOSS IN BALLKLEID UND JEANS


Paris ist gar nicht so weit weg von Berlin. Eigentlich muss man bloß am Berliner Hauptbahnhof in die Regionalbahn steigen und nach Potsdam fahren: dort steht das schönste barocke Residenzschloss Brandenburgs. Schloss Sanssouci wird gelegentlich auch preußisches Versailles genannt. Lauschige Alleen durchkreuzen die großzügige Parkanlage. Zitronengelb leuchten die Schlossmauern, dunkelrosa die Fassaden des Neuen Palais. Dichter Efeu fällt wie ein Vorhang von den Terrassen unterhalb der Orangerie, die in der nachmittäglichen Novembersonne ihrem Namen alle Ehre macht. Vor dem Chinesischen Haus spiegeln sich knorrige Baumstämme im Ententeich, darüber hängt ein Hauch von Nebel, ein verwunschener Anblick. Berlin-Mitte könnte nicht weiter weg sein.

Auch die Potsdamer selbst sind anders als die Hauptstädter. Als ich am Bahnhof Sanssouci die Straße überquere, rammt mich eine junge Frau mitsamt Kinderwagen, mit viel Schwung rollen zwei Wagenräder über meinen Fuß. „Blöde Kuh!“ schnauzt sie mich an, herrlich, die könnte fast aus Paris sein. Vielleicht ist sie auch einfach neidisch auf die wunderbaren Kleider, die ich ins verwunschene Potsdam mitgeschleppt habe.* Solch märchenhafte Stücke wie das bestickte Oberteil von Achtland oder die wallende Robe von Odeeh haben schließlich einen noblen Schauplatz verdient. Von der Begegnung Berliner Couture und preußischer Architektur haben noch dazu gleich beide Komponenten ihren Vorteil. Das königliche Textil darf endlich in jener Szenerie auftreten, für das es wahrscheinlich erdacht wurde.  Und die herrschaftlichen Schlossmauern bekommen mal etwas anderes als Potsdamer Funktionsjacken zu sehen.

Zugleich passt auch die Jeans an diesen fürstlichen Ort: die ist so eng wie ein Korsett, nur viel bequemer. Der Stoff modelliert Schenkel und Po in eine dauerhaft würdevolle Haltung. Deshalb verträgt sich die Arbeiterhose sogar mit drapierter Robe und besticktem Leibchen. Und für die weiblichen Sanssouci-Bewohnerinnen, deren Gestalten durch die wulstigen Kleider des Ancien Régime sicherlich nicht auf das Vorteilhafteste betont wurden, wäre so eine Hose bestimmt auch was gewesen.
Heute trägt sie die moderne Großstadtprinzessin.

Alle Bilder: Sandra Semburg 

*Roséfarbenes Kleid: Odeeh. Jeans: Levi’s. Besticktes Top: Achtland. High Heels: Charlotte Olympia. Schwarzer Mantel: COS. Schwarze Loafer: Office.