Letzten Sonntag habe ich mir endlich mal den Film Mermaids angeschaut, ein wirklich inspirierendes Erlebnis. Ich weiß jetzt, wie man Marshmallow Kebab macht und als was ich mich zur nächsten Kostümparty verkleiden werde. Cher sieht als freigeistige, super-stylische Mrs. Flax im Meerjungfrauenoutfit jedenfalls hervorragend aus. Noch besser gefällt mir allerdings ihr Alltagslook, insbesondere die Sixties-originale, jederzeit perfekt geföhnte schwarze Haarmähne. Eine Schande, dass diese Frisur aus der Mode gekommen ist.
Wenn man sich heutzutage die Haartracht modebewusster Frauen anschaut, dann scheint hier vor allem auf einen möglichst zerzausten Look wert gelegt zu werden. Allein am Haarscheitel lässt sich diese Entwicklung deutlich belegen: den trägt frau jetzt nämlich mittig. Das sieht so richtig schön zufällig aus, gar nicht gekämmt oder ordentlich zur Seite gebürstet, sondern ordentlich unordentlich, gerade so, wie all die modischen Damen in ihren schnell übergeworfenen Lagenlooks zurzeit aussehen wollen. Toupierte Föhnfrisuren sind schließlich was für Hausfrauen mit zu viel Freizeit! Die Kunst besteht heute darin, so auszusehen, als hätte man sich in drei Minuten hergerichtet und dabei ganz beiläufig ein umwerfendes Erscheinungsbild kreiert.
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Links: Prada A/W 2013. Rechts: Daria Werbowy by Patrick Demarchelier, VOGUE UK 09/13. |
Das Problem liegt vor allem darin, dass zerzaust nicht gleich zerzaust ist. So ein modischer Zottellook will gelernt sein, mit teuren Pflegeprodukten perfekt in Form gewuschelt und anschließend gut fixiert werden, damit aus dem Flatterschopf an der Frischluft kein borstiger Struwelpeter wird. Auch das passende Outfit ist wohl zu bedenken, schließlich verträgt sich die Zausfrisur nicht so toll mit alten Sweatshirts oder Filzjacken aus dem Eine-Welt-Laden. Man muss schon was Modernes dazu kombinieren, um nicht missverstanden zu werden. Bei Pariser und Mailänder Moderedakteurinnen ist aktuell der noble Rollkragenpullover sehr beliebt, weil sich die ungekämmte Haarmähne gut im Halsausschnitt verstauen lässt. Dieser Look ist die Königsdisziplin des ungestylten Stylischseins, man sieht damit so aus, als hätte man nicht mal Zeit gehabt, ordentlich in sein Strickoberteil zu schlüpfen. Genau diese Attitüde gilt heute als elegant.Wie so oft in der Mode handelt es sich allerdings auch bei diesem Trend um eine ganz schlaue optische Täuschung. Was wir sehen: die emanzipierte Frau mit angeborenem Sinn für Coolness. Was wir nicht sehen: die Frau im Badezimmer bei der Arbeit am lässig zerzausten Zufallslook, verzweifelt mit Formwachs und Stylingschaum hantierend. Bei der Annahme, die Frisurenmode sei ja noch nie so alltagsfreundlich gewesen wie heute, handelt es sich um einen gewaltigen Trugschluss.
Allerdings sollte der Kopf beim Rollkragenmanöver möglichst unbewegt bleiben, damit die Haare auch schön da bleiben, wo sie hingehören. Gerade für kurzhaarige Menschen wie mich erfordert die Kombination Zottelfrisur-Rolli deshalb besondere Bewegungsdisziplin und Körperspannung, sonst verrutscht die Lässigkeit.
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© Tommy Ton |
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Links: Prada A/W 2013. Rechts: 3.1. Phillip Lim S/S 2014 |
Was lernen wir daraus? So beiläufig, wie die heutige Haarmode tut, ist sie eigentlich gar nicht. Tatsächlich erfordert sie harte Arbeit, genau wie Mrs. Flax‘ geföhnte Sixties-Frisur in Mermaids. Bloß hält letztere nach vollendetem Kraftakt bestimmt besser als der sorgsam drapierte Zaushaarschopf, bei dem man nach jedem Windstoß den Mittelscheitel nachziehen, für den perfekten Schwitzeffekt immer für ausreichend Feuchtigkeit sorgen und im Rollkragenpullover starrhalsig bleiben muss.
Und einen Mangel an Lässigkeit kann man der Mrs. Flax auch nicht vorwerfen. Die Frau ist ja mindestens so cool wie Carine Roitfeld, Leandra Medine und Cara Delevingne zusammen – immerhin hat sie den Marshmallow Kebab erfunden!