Wie hässlich sind eigentlich Turnschuhe? Nicht Freizeit-Sneaker, sondern richtige Sportfußbekleidung? Eigentlich ist diese Frage gar nicht mehr en vogue, wir haben sie schon vor etlichen Saisons diskutiert, als die Modepresse zur New York Fashion Week plötzlich in Nike Free’s auflief. Bis dato galten Sportschuhe zum Alltagskleid als Erkennungsmerkmal praktisch gekleideter amerikanischer Touristen und burschikoser Teenager. Heute sehen wir sie an den Füßen ausgemachter Stil-Experten – und nun auch bei der Haute-Couture-Show von Chanel.
Die Frage ist: darf man das?
Bei den Präsentationen der Prêt-à-Porter-Kollektionen mag man sich an Turnschuhe zum Cocktaildress ja gewöhnt haben. Schließlich kann hier quasi alles zum musthave erkoren werden, das sich nicht rechtzeitig vor Lagerfelds Stoffschere zu retten wusste. In dieser Welt gilt der Turnschuh bestimmt nicht mehr als hässlich – solange mit hässlich unpassend gemeint ist – sondern längst als modisch akzeptiert, cool, inspiriert von der Straße und damit vom echten Leben.
Aber Turnschuhe zur höchsten Schneiderkunst? Ist das erlaubt? Was sollte die Haute Couture mit dem echten Leben schon zu tun haben wollen? Haben hier nicht die Kunstfertigkeit und Raffinesse Vorrang, die hundert Arbeitsstunden, die in einer einzigen bestickten Rockfalte stecken, die tausend Lagen von Chiffon, die ungezählten Seidenblüten, appliziert auf handgefertigter französischer Spitze? Seit Karl Lagerfeld am vergangenen Dienstag die neue Haute-Couture-Kollektion für Chanel vorstellte, redet kaum einer von den aufwendigen Stickereien, den schillernden Pailletten, den perfekten Schnitten. Es sind die Turnschuhe, die in aller Munde sind, die für größtes Erstaunen gesorgt haben, weil die Haute Couture trotz aller Trendunabhängigkeit, die sie genießt, noch immer als Domäne des klassischen Luxus gilt, der großen Roben und kristallbesetzten High Heels, der Kleider, die verzaubern sollen. Die Frage ist auch: darf die Haute Couture überhaupt schockieren?
„Für einen Modedesigner ist der Blick zurück gefährlich“, hat Karl Lagerfeld einmal gesagt „vor allem wenn man glaubt, alles sei schon mal da gewesen. Die Gegenwart wird dann zweitrangig.“ Natürlich kann man darüber streiten, ob diese merkwürdigen Couture-Turnschuhe nicht auch gefährlich sind, nämlich gefährlich hässlich, selbst wenn Chanel drauf steht. Aber gerade weil in der heutigen Modewelt, die fast alles erlebt zu haben scheint, auch fast alles erlaubt ist, kann man als Designer tatsächlich nur noch dann nachhaltig überzeugen, wenn man sich von all dem distanziert, womit sich die breite Masse gerade so hübsch angefreundet hat. Der Blick zurück ist gefährlich, weil er der Todeskuss der Mode ist. Neue Kreationen müssen wirklich radikal neu sein, weil die Mode sonst überflüssig wird. Einzig Wandel und Fortschritt halten diese Welt, die ohnehin ständig um ihre Daseinsberechtigung kämpfen und sich den Vorwurf der Irrelevanz gefallen lassen muss, am Leben. Dieser Wandel muss nicht so verwegen futuristisch aussehen wie die verrückte Kreation eines Central-Saint-Martins-Absolventen. Karl Lagerfeld macht Chanel’s Haute Couture zukunftsfit, indem er sie mit Turnschuhen ausstattet, und das gelingt ihm deshalb so gut, weil diese Idee nicht nur innovativ ist, sondern dabei auch noch auf geniale Weise Sinn ergibt.
Denn zum ästhetischen Zukunftsgedanken kommt der Punkt, dass die anspruchsvolle Kundin, die viel Geld für besondere Mode auszugeben bereit ist, nicht älter wird, sondern jünger. Immer mehr Frauen verdienen heute ihr eigenes Geld, stehen auf eigenen Beinen, sind gleichzeitig gut informiert über das aktuelle Modegeschehen und belohnen sich gerne mit einem aufregenden neuen Kleidungsstück. Warum sollte man die Mode dieser Tendenz nicht anpassen? Es wäre geradezu dumm, weiterhin an den klassischen Pumps zum knielangen Tweed-Kostüm festzuhalten, wenn doch die Chanel-Kundin dieser und kommender Generationen nicht mehr 74, sondern vielleicht erst 35 Jahre alt sein wird. Die unbezahlbare Haute Couture ist dabei zwar nicht das Produkt, das am Ende tatsächlich gekauft wird, aber sie gibt der Marke ein neues, visionäres Gesicht und gewinnt dadurch auch neue Kundinnen im Prêt-à-Porter-Segment.
Genau deshalb hat Karl Lagerfeld also bonbonrosa Turnschuhe zu Blütenspitze-Kleidern mit akzentuierter Taille kombiniert, aus dem altbekannten Tweedblazer pastellfarbene Kurzjacken mit voluminösen Ärmeln gemacht, paillettenbestickte Radlerhosen, schillernde Federröcke, rosa Tops mit Schwimmerrücken und lässig fallende Glitzerroben entworfen, den Models stachelige Punk-Haarschöpfe frisieren lassen und ihnen Beinschoner und Bauchtasche verpasst. So können sie Couture tragen und dabei frohen Mutes der Modezukunft entgehen hüpfen.
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