Die jungen Wilden von Kopenhagen

3 DESIGNERNAMEN, DIE MAN SICH JETZT HINTER DIE OHREN SCHREIBEN SOLLTE
© Copenhagen Fashion Week

Auf dem Laufsteg glänzt eine große dunkelrote Blutpfütze. Hat man so etwas schon gesehen? Wie eine gaffende Meute hat sich die Kopenhagener Journalistenschar in der Show-Location von Wali Mohammed Barrech um die weiße Betonfläche versammelt, auf der in wenigen Minuten die neuen Kreationen des pakistanisch-kroatischen Jungdesigners präsentiert werden. Wo bleibt die Putzkolonne, einer muss doch die Blutpfütze beseitigen. Was war da los? Gemetzel während der Generalprobe? Kollektive Menstruationsblutung der Models? Ach nein, kann nicht sein. Wali Mohammed Barrech macht Unisex-Mode, präsentiert von Männern, wobei man da nie ganz sicher sein kann, denn Herr Barrech legt wert auf eine Komplettvermummung seiner Mannequins. Es wird Zeit, dass die Show beginnt: so angeheizt ist die Stimmung im kritischen Modepublikum schließlich selten. 
Letzte Woche war mal wieder Fashion Week in Kopenhagen, und wer immer noch glaubt, dass in Dänemark vor allem pastellfarbene Sackkleider genäht werden, der hat sich aber tüchtig geschnitten. Seit einigen Saisons darf sich die dänische Hauptstadt zu Recht Modemetropole nennen, denn was hier auf den Laufstegen gezeigt wird, kann in Sachen Innovation und Fortschrittlichkeit bisweilen durchaus mit New Yorker und Londoner Kreationen mithalten. Berlin und Stockholm haben die Dänen jedenfalls längst abgehängt, und das ist vor allem einer neuen Generationen junger Modeschöpfer zu verdanken, die mit einer sehr eigensinnigen, mutigen und oft auch rauen Ästhetik das Bild der Kopenhagener Mode gänzlich neu justieren. 
Dabei gibt es vor allem drei Namen, die man sich spätestens in dieser Saison schleunigst hinter die Ohren schreiben sollte: Anne Sofie Madsen, Freya Dalsjø und eben Wali Mohammed Barrech. Letzterer krönte in der vergangenen Woche die Fashion Week mit einer Show, die mit allen bisherigen Maßstäben brach: nicht nur die Blutpfütze auf dem Laufsteg, hinter der natürlich eine sorgfältig konzipierte Botschaft steckte, sorgte für Gesprächsstoff. Auch wurden alle Gäste dazu aufgefordert, ihre Mobiltelefone auf Flugmodus zu schalten, was für die immer gut vernetzte Modewelt natürlich einer Revolution gleich kommt. Die Signalfreiheit war notwendig, um die Flugbahn der blinkenden Modelldrohne nicht zu stören, die zum dramatischen Auftakt der Show über den Laufsteg surrte. Dazu marschierten die Models, als seien sie auf einem Feldzug am Hindukusch im Einsatz. 
„In dieser Kollektion geht es um ‚collateral damage'“, erzählte mir der Absolvent der Antwerpener Modeschule vor der Show im Interview. „Ich will mit meiner Mode auf die vielen Missstände auf der Welt hinweisen, darauf, wie wir uns heute viele Informationen schön reden und Fakten auslassen, nur um die Realität erträglicher erscheinen zu lassen.“ Wali Mohammed Barrech ist ein Mann mit Visionen, so viel steht fest. Unter dem Kollektionstitel „Ice Breaker“ hat er Elemente aus der Skimode – Daunenparka, schwere Schneestiefel, Gesichtsmasken – mit hautengen schwarzen Hosen, kantig geschnittenen Röcken und kubistischen Taschen aus Leder und Plexiglas kombiniert. Ein blutroter Wollanorak ist großzügig mit Fellbesätzen ausgestattet – allerdings wird Barrech mit diesem Stück nicht in Produktion gehen. Denn eigentlich ist er gegen Pelz.
Klingt widersprüchlich? Nicht so für Wali Mohammed Barrech, den Kopenhager Visionär: „Ich habe Pelz verwendet, obwohl ich gegen Pelz bin, weil es total grundlos und rücksichtslos verwendet wird. Es ist mir wichtig, diese Gewalt, die heute überall auf der Welt präsent ist, mit meiner Mode zu symbolisieren und dadurch einen Dialog anzuregen. Deshalb auch das Blut in der Show. Ich möchte den Betrachter meiner Mode mit der Realität konfrontieren, und damit, dass auch die Art, wie wir uns kleiden, Teil dieser problematischen Realität ist.“ >>

Während Barrech die Welt retten will, bestellt Anne Sofie Madsen das Modepublikum in eine tiefgekühlte Kaufhausgarage. Denn auch hier gilt: Mode ist kein Ponyhof! Deshalb gibt es bei Madsen keine mädchenhaften Kleider zu sehen, sondern Looks für echte Frauen: Motorradhelme mit Alien-Visor, schwere Lederpanzer mit Cut-Outs und Pelz-Ärmeln, voluminös wie eine Baseball-Rüstung geschnittene Kurzkleider mit klimpernden Metall-Details und aufwendigen Schnürungen, gerippte weiße Jeans und transparente Kettenhemden. Man könnte diese Mode abscheulich finden, dabei geht Anne Sofie Madsen mit ihren Entwürfen aber so konsequent und konzeptuell gegen jegliche konventionellen Vorstellungen von Schönheit vor, dass ihre Kreationen selbst jene faszinieren, die mit düsterer Biker- und Punk-Bekleidung für gewöhnlich gar nichts anfangen können. Und wie sagt Kollege Wali Mohammed Barrech doch so treffend: „Als Modedesigner hat man die Verpflichtung, neue Ideale zu schaffen, anstatt alte immer wieder aufleben zu lassen.“ >>

Von großartigen Veränderungen redet Freya Dalsjø indes nicht gern, denn sie ist nicht gerade gesprächig. Stattdessen hat man bei der kleinen blonden Designerin in weiten Pluderhosen manchmal das Gefühl, dass sie mit ihren Gedanken gerade in ganz anderen Sphären schwebt. Dort kommen ihr wohl auch die Einfälle zu den wunderschönen Mänteln und Kleidern, die Dalsjø allsaisonal über den Laufsteg schickt. Bereits seit der Präsentation ihrer hochgelobten Sommerkollektion gilt die Nachwuchsdesignerin, deren Entwürfe sich durch architektonische Linien und ungewöhnliche Materialkombinationen auszeichnen, als eines der vielversprechendsten Talente Kopenhagens. Für den Winter 2014 hat sie Kurzmäntel in Egg-Shape-Silhouette mit raffiniert von der Schulter abwärts wucherndem Pelzbesatz und kubistischen Lederapplikationen entworfen, cremefarbene Midi-Kleider mit Rollkragen und olivgrünen Blockstreifen versehen und zweifarbige 7/8-Hosen zu kantig geschnittenen Westen kombiniert. Die Fellpampuschen erinnern an Céline, ganz eigen sind allerdings die High Heels mit fellummantelten, eckigen Absätzen. Freya Dalsjø beherrscht eben die Kunst des tragbaren Fortschritts. Übrigens teilt sie sich mit Wali Mohammed Barrech ein Atelier, und dass sich die beiden Visionäre bei ihrer Arbeit sicherlich hervorragend gegenseitig inspirieren, kann man sich vorstellen. So viel steht fest: wir werden noch viel hören von den jungen Wilden aus Kopenhagen.