NYFW: Von Teppichtops und Wolkenjacken

NEW YORKER DESIGNER ERFINDEN DIE ELEGANZ ZUM ÜBERWERFEN NEU 
Endlich wieder Fashion Week. Kreisch! Letzte Woche läutete New York mit viel Schneesturm und gleichsam ordentlich zerzausten Kreationen den Modemonat ein: Wolldecken als Cape, knallblaue Morgenröcke als Wintermäntel, Abendkleider aus gewebtem Teppich und flauschige Fellbomberjacken mit Wolkendruck – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Also habe ich mich erstmal hingesetzt und meine Lieblingskreationen gezeichnet, das macht Spaß und wirkt beruhigend bei all der Reizüberflutung. Außerdem habe ich jetzt Semesterferien und bin daher natürlich furchtbar unterbeschäftigt – von den lausigen Hausarbeiten, die unbedingt geschrieben werden wollen, einmal abgesehen. Ein Glück ist Fashion Week! Auf die Modewelt ist Verlass, dort wird es einem nie langweilig.
Zurück nach New York. Dort scheint sich in den gezeigten Kollektionen vor allem eines klar herauszukristallisieren: Mode anziehen ist von gestern, heute gibt’s die Eleganz zum Überwerfen. Lässigkeit als Trend mag ja abgedroschen klingen, aber wenn man sich zum Beispiel die Kreationen des nepalesisch-stämmigen Designers Prabal Gurung anschaut, dann sieht man, wie viel Interpretationsspielraum die modische Nonchalance doch noch zu bieten hat: seine drapierten Miniröcke sehen aus wie aus einem einzigen langen Stück flatternder Seide umgeknotet, dazu gibt es weite Patchworkpullover in Waffeloptik und mit sportlichen Schnürungen. Ein Highlight ist das wie eine riesige Wolldecke über die Schulter geworfene Cape in flammendem Rot, das subtil an die traditionelle Kluft nepalesischer Mönche erinnert. Damit wäre dann außerdem endlich mal eine stilsichere Lösung für das alljährlich wiederkehrende Winterjackenproblem gefunden.
Auch Phillip Lim hat asiatische Wurzeln, wir sehen, New York lebt nach wie vor von seinen Einwandern. Ein wichtiges Thema ist und bleibt bei ihm die weit geschnittene Herrenhose, dazu kombiniert Lim luftige Tops und Pullover mit fluffigem Rüschenbewuchs, maskuline Lederjacken oder Cabanblazer mit großem Karo-Druck. Den Blaumann gibt’s neuerdings auch als Kleid mit Farbblöcken in Olivgrün und Pastell-Zitrone, und zur brombeerfarbenen Hose passt das gegürtete Kurztop aus fliederlila Teddyfell und hautfarbenem Leder. Klingt verwirrend? Keineswegs: Phillip Lim’s Kleider sind stets so perfekt auf den Punkt gegart wie ein argentinisches Rinderfilet. Schnörkellosigkeit kann so aufregend sein!
Weitaus aufwendiger wirken dagegen die Entwürfe von Joseph Altuzarra. Die Mutter Chinesin, der Vater Franzose, aufgezogen in Paris, ausgewandert nach New York: bei solch einer Biographie kann ja nichts mehr schief gehen. Seit 2008 beweist Altuzarra Saison für Saison ein besonderes Gespür für die richtige Balance zwischen klassischer Betörung und mutiger Avantgarde: für den Winter 2015 hat er sein Markenzeichen, den scharf geschlitzten Bleistiftrock, aus grob gewebten Wollfäden neu aufgelegt. Das raue Teppichmaterial gibt es auch als elegantes Oberteil, damit wir beim abendlichen Ausgehen im Winter bestimmt nicht mehr frieren müssen. Altuzarra macht Mode für Vollblutfrauen: Jacken werden bei ihm in der Taille gegürtet, Mäntel in irisierende Blautöne getaucht, die Ausschnitte sind tief, die Rocklängen dafür überknielang. Dieser Mann weiß eben, was wir wollen: elegante Outerwear, so gemütlich wie ein Morgenrock; Abendkleider, die mehr können als bloß schwarz und langweilig sein; und fransige Halskrausen als spannende Alternative zum Winterschal.

Altuzarra ist ganz klar eines der wichtigsten New Yorker Jungtalente, die man unbedingt im Auge behalten sollte – aber wie steht es mit der Madrider Marke Delpozo, die erst im letzten September mit ihrer hochgelobten Sommerkollektion auf dem Laufsteg debütierte, laut Facebookseite allerdings schon 1974 gegründet wurde? Haben wir es hier mit einem Newcomer zu tun? Oder mit einem Spätzünder? Die aktuelle Kollektion überzeugt jedenfalls vor allem dank einer sehr ausgereiften Handschrift, die klassisch-elegante Silhouetten gekonnt mit abstrakten Mustern und exzentrischen Farbkombinationen vereint. Ein paar Stichwörter gefällig? Voluminöse Karo-Wollmäntel zu knallpinkfarbenen Palazzohosen, knöchellange A-Linien-Kleider in Pudertönen, aufwendige Mohairgewebe, exotische Minarett-Prints auf Schößchenjacken, Schnürpumps zu 7/8-Hosen. Mit Delpozo beweist New York, dass es zwischen all den coolen, androgynen Entwürfen auch die Kunst der perfekt geschneiderten, märchenhaften Eleganz beherrscht, die trotzdem immer erfrischend jugendlich wirkt.

Auch die Marke Zimmermann gehört auf der New Yorker Modewoche zu den jüngeren Gesichtern: erst zum zweiten Mal zeigen die Australier im Big Apple. Wie man sich im sonnenverwöhnten Sydney den nordamerikanischen Winter vorstellt? Nun, so kalt wie in diesem Februar darf es im nächsten Jahr jedenfalls nicht werden, sofern wir da Zimmermann’s neueste Kreationen tragen wollen: das poolblaue Top mit raffiniert drapiertem Lolita-Dekolleté wäre jedenfalls eher was für frühlingshafte Temperaturen. Immerhin ist der dazu passende Tellerrock mit grauen Wolken bedruckt, und dann wären da noch eine Reihe ganz hervorragender, luftig geschnittener Mäntel, aus türkisfarbenem Mohair, mit feuerrotem Blumendruck oder Hahnentrittmuster. Nicky Zimmermann beherrscht die Kunst des lässigen Charmes: ihre Kreationen wirken leichtfüßig und verwegen zugleich, mädchenhaft und dabei immer auch ein bisschen gefährlich. Maskuline Biker-Schnitte werden zu barock bedruckten Midi-Röcken kombiniert, gelackte Herrenschuhe zum gerüschten Spitzenkleid und betörende Halsschleifen zum stahlblauen Hosenanzug – und es funktioniert.

Aber was zum Teufel ist eigentlich bei Marc Jacobs los? Neuerdings darf sich der amerikanische Vorzeigedesigner ja mit voller Kraft auf die Eigenmarke konzentrieren, sein Amt bei Louis Vuitton hat er im letzten Jahr schließlich aufgegeben. Irgendwie scheint ihm die neu erlangte Freiheit zu Kopf gestiegen zu sein: seine neue Winterkollektion wirkt stellenweise ein bisschen sehr gewollt. Es geht los mit beige- und camelfarbenen Hausanzügen, grob gestrickten Schlaghosen und durchsichtigen Feinripphemdchen, dann werden die Silhouetten bauschiger, Bomberjacken tragen großzügige Fellapplikationen, zu weißen Bermudahosen, Rippstrümpfen und Rollkragenpullovern gibt es  klimpernde Paillettentops. Die flauschigen Fliegerjacken sehen aus wie Zuckerwatte, tatsächlich sollen sie wohl mit der Dekoration des Schauplatzes korrespondieren: über dem Laufsteg hängen dicke Wolken, inspiriert von surrealen Magritte-Gemälden. Die blassen Models sehen aus wie das anorektische Klientel einer luxuriösen Gesundheitsklinik. Aber wir wollen ja nicht zu garstig werden: Marc Jacobs‘ neue Kollektion mag zwar erstmal verwirrend anmuten. Zugleich hebt sie sich in ihrer wohl durchdachten Konzeptualität wie immer deutlich von der Konkurrenz ab. Marc Jacobs tut, was er als großes Vorbild tun muss: neue Ideale erdenken, alte über Bord werfen. So bleibt er zwischen all den lustigen Newcomern jedenfalls ganz sicher im Gespräch.

Von diesem Arbeitsethos könnten sich Lazaro Hernandez und Jack McCollough zumindest in dieser Saison ruhig ein kleine Scheibe abschneiden. Für Proenza Schouler haben sie mal wieder das entworfen, was sie am besten können: Blazer mit runden Keulenärmeln, geologisch inspirierte Schlierenprints, Lederpatchwork, voluminöse Bikerjacken. Die schmalen Tunnelröcke zum flachen Riemenschuh sind natürlich ultraschick, und auch die Farbkombinationen wie gewohnt sehr überzeugend: Ochsenblutrot passt zu Schwarz und Nude, Blau zu Minzgrün, Blassorange zu Blutrot. Holzmaserung und Giraffenschecken sorgen für die richtige Prise Exotik, und doch wird man bei dieser Kollektion den Verdacht nicht los, vieles davon in ähnlicher Form schon mal gesehen zu haben. Auch wenn er nur sich selbst kopiert, ist der Blick zurück für den Modedesigner gefährlich – gerade im Big Apple, wo allsaisonal neue Talente für frische Ideen und Impulse sorgen. Ob New York gar London den Status als Avantgarde-Metropole irgendwann streitig machen wird? Dazu schauen wir als nächstes direkt in die englische Hauptstadt. Dort ist ja jetzt auch Fashion Week. Wie gesagt: in der Modewelt wird es einem nie langweilig.