Kleider machen Filme

ANALYSE DER OSCAR-ANWÄRTER IN DER KATEGORIE "BESTES KOSTÜMDESIGN"

Laut Interview Magazin soll Amy Adams ja nichts von den skandalösen Ausmaßen ihres Dekolletés im Film „American Hustle“ gewusst haben. Sie habe das erst hinterher bei der Premiere realisiert, behauptete die Schauspielerin im Interview. Aber natürlich, Amy. Im Gangsterdrama von David O. Russell spielt sie die Komplizin eines Trickbetrügers im New York der späten 70er, und wer diese Ära glaubhaft darstellen will, der muss natürlich auch bei den Kostümen ordentlich auftragen.

Selbst als heterosexuelle Frau fällt es einem im Kino allerdings nicht leicht, der Handlung zu folgen, wenn Sydney Prosser/Lady Greensly im bauchnabeltief ausgeschnittenen Lederkleid über die Leinwand läuft. Kaum zu glauben, dass der Schauspielerin ihr mörderscharfes Aussehen selbst gar nicht bewusst gewesen sein soll. Wenn Michael Wilkinson, dem zuständigen Kostümdesigner, eines hervorragend gelungen ist, dann das: er hat seinen herrlich verwegenen 70ies-Looks – glitzernden Kleidern, grandiosen Dekolletés (vorne und hinten), Schlaghosen, Pelzstolen, schauderhaft gemusterten Krawatten und dramatischen Frisuren – dank authentischer Originalität einen wichtigen Stellenwert in der Gesamtinszenierung von „American Hustle“ eingeräumt. Die Kleider leisten ihren unübersehbaren Beitrag zum gesamten Stimmungsbild des Films, der für 10 Oscars nominiert ist, unter anderem auch in der Kategorie Bestes Kostümdesign.

Heute Abend werden im Kodak Theatre die Acadamy Awards verliehen. Schon vor drei Wochen stand ich in den Oscar-Startlöchern, wollte alle meine Freundinnen zur sonntagnächtlichen Fernsitzung einberufen, bis die Zeitung verriet, in diesem Jahr sei die Preisverleihung wegen der Olympischen Winterspiele verschoben worden. Jetzt fallen die Oscars mit der Pariser Modewoche zusammen – daran hat Hollywood wohl nicht gedacht! Da ich heute Abend aber gemeinerweise sowieso nicht zum Défilé von Givenchy eingeladen bin, kann ich mich trotz Pariser Ablenkung auf die Oscarverleihung konzentrieren – und da wir gerade in so modeanalytischer Stimmung sind, werfen wir doch gleich mal einen Blick auf die fünf Nominierten in der Kategorie Bestes Kostümdesign. „American Hustle“ ist also schon mal im Rennen, wozu neben Bradley Coopers Lockenwicklern und Amy Adams‘ Brustansatz ganz sicher auch Jennifer Lawrences aufwendig aufgetürmte Haarmähne beigetragen hat. Die beiden Frauen sind im Film größte Feindinnen, sie kämpfen um den selben Mann und begegnen sich in einer großartigen Szene im Restaurantbadezimmer, Jennifer Lawrence in einem engen weißen Kleid mit gerafftem Ausschnitt und besagtem Vogelnest auf dem Kopf, dagegen schaut Amy Adams mit gelocktem Schopf und freizügigem Glitzerdress aus wie eine Kreuzung aus Sonia Rykiel und Whitney Houston. Was wäre diese Szene ohne solch grandios gewählte Kostümierung?

„The Great Gatsby“, ebenfalls nominiert, läuft längst nicht mehr in den Kinos, die Kleider von Prada werden dafür sicher als legendär in die Filmgeschichte eingehen. Wer würde Leonardo di Caprio als Gatsby im puderrosa Nadelstreifenanzug vergessen? Oder Daisys fantastisches Kopftuch? Oder die flirrenden Minikleider der Flappergirls? Allerdings könnte man der Kostümfrau Catherine Martin vorwerfen, teilweise ein bisschen zu tief in die Klischeekiste der Goldenen Zwanziger gegriffen zu haben – ob die Leute damals wirklich so perfekt und glatt gestriegelt aussahen? Sitzen Anzug und Gelfrisur beim Gatsby nicht doch ein bisschen zu angegossen? Dafür ist „The Great Gatsby“ aber eben ein klassischer Kostümfilm – ohne die bombastischen Kleider wäre der Streifen angesichts stellenweise doch etwas zäher Handlung wohl eher lauwarm.

Wir sehen: Kleider machen Leute, und Kleider machen Filme. Kaum ein Medium verdeutlicht besser, welche Ausdruckskraft Mode doch haben kann. Im Film dient sie der Charakterisierung der Figuren, vermittelt Informationen über deren Persönlichkeit und Attitüde. Vor allem aber ist sie ein deutlicher Indikator für die Zeit, in der der Film spielt. Gutes Kostümdesign liefert immer auch einen spannenden Einblick in unterschiedlichste Kapitel der Mode- und Kulturgeschichte. In „12 Years a Slave“ entführt uns Patricia Norris mit den luxuriös bestickten Hauben, Empirekleidern, Fliegen, offen getragenen Herrenwesten, sandfarbenen, durchgeschwitzten Hemden und Strohhüten in den amerikanischen Südwesten des 19. Jahrhunderts. Die Kostüme signalisieren hier auch den schockierenden Wandel, den der Protagonist Solomun Northup (Chiwetel Ejiofer) durchläuft: vom gut situierten New Yorker Geigenspieler in blütenweißem Hemd und gemusterter Weste zum gefolterten Sklaven in Leinenkluft ist es auch modisch betrachtet ein weiter Weg.

Interessant ist, dass tatsächlich alle fünf in der Kategorie Bestes Kostümdesign nominierten Filme in einer vergangenen Ära spielen. Offenbar sind Filmkleider der Gegenwart nicht ausreichend komplex und zu einfach zu inszenieren, als dass sie für die Jury der Academy Awards interessant sein könnten. Auch „The Invisible Woman“ spielt in einer anderen Epoche, nämlich im 19. Jahrhundert, hier geht es um die geheime Affäre zwischen dem Schriftsteller Charles Dickens und der jungen Schauspielerin Nelly Ternan. Im konservativen England der 1850er Jahre ein Skandal. Die herrlichen Spitzenroben, schmalen Korsetts, bedruckten Hauben, Frackjacken, weißen Manschetten und Musselinkrawatten, ausgewählt von Michael O’Connor, stehen dabei symbolisch für die Zwänge und strengen Etiketten einer Zeit, in der die Mode noch ein deutlicher Indikator für gesellschaftliche Hierarchien war – ähnlich wie auch in „12 Years a Slave“.

Der Film „The Grandmaster“ beginnt dagegen in den späten 1930er Jahren. Regisseur Wong Kar-Wai hat das Leben des Kampfsport-Lehrers und Bruce Lee-Mentors Ip Man verfilmt und nimmt den Zuschauer mit auf eine eindrucksvoll inszenierte Reise in das damals noch japanisch besetzte China. Ich habe den Film noch nicht gesehen, doch bereits der Trailer wirkt verlockend: William Chang Suk Pik hat mit elegant schillernden Tang-Anzügen und strenger Kampfkleidung eine düster-elegante Stimmung heraufbeschworen, die dem Film jene traumhafte Authentizität verleiht, nach der wir uns im Kino doch so sehr sehnen. Für zwei Stunden wollen wir eintauchen in andere Welten, Zeiten und Gesellschaften, und dazu leistet großartiges Kostümdesign seinen entscheidenden Beitrag. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wer heute Abend den Oscar mit nach Hause nehmen darf. Ich schwanke zwischen „American Hustle“ und „The Grandmaster“. Anderweitige Prognosen sind gerne willkommen!