Neulich habe ich mit meiner Mutter über die neue Gucci-Kollektion diskutiert, das war irgendwie ungewöhnlich, normalerweise gehen unsere Gespräche zu Modefragen nicht über die Debatte hinaus, wie viele Unterhemden ich im Winter unter meinen Pullover ziehen sollte (meine Mutter findet: mindestens 2, ich finde: gar keins).
Als treue Leserin dieses Blogs hat sich meine Mutter natürlich den Livestream der Mailänder Show im Februar angeschaut. Von der Kollektion würde sie am liebsten fast alles kaufen, erzählte sie mir hinterher strahlend. Ich dagegen finde die neuen Gucci-Kreationen zwar hübsch, aber reichlich uninspiriert. Den mondänen 60ies-Filmstar-Look hat Miuccia Prada schon vor sechs Saisons neu erfunden, die pastellfarbenen Mäntel sind schick, aber nicht umwerfend raffiniert, und insgesamt haftet der Kollektion irgendwie dieser fahle Beigeschmack der Kommerzialität an, ich könnte mir das Ganze jedenfalls toll im Ambiente eines St. Moritzer Grandhotels an Vorstandsvorsitzendengattinnen vorstellen.
Anders als in der aktuellen Sommerkollektion, für die sich Frida Giannini eine spannende Mischung aus asiatischen Kimono-Silhouetten, glitzernden Texturen und lässigen Sportswear-Elementen ausgedacht hat, scheint die kommende Wintersaison vor allem den vermögenden, aber konservativen Kundinnen gewidmet. Entsprechend fielen die Reaktionen der Presse eher neutral aus. Eine Faustregel der Modewelt, auf die man sich oft verlassen kann: was den professionellen Kritikern nicht gefällt, verkauft sich beim Volk höchstwahrscheinlich wie warme Semmeln. Man denke nur an Firmen wie Philipp Plein, die mit nietenbeschlagenen Handtaschen und Lederjacken allsaisonal eine wirklich gruselige Laufstegpräsenz hinlegen! Und dabei einen Laden nach dem anderen eröffnen!
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Links: Gucci Sommer 2014, rechts: Gucci Winter 2014 |
Was von den Journalisten hingegen als visionärer Geniestreich gefeiert wird, kann sich in vielen Fällen auf eher bescheidene Verkaufszahlen einstellen. Einige der größten Designer unserer Zeit hat das schon mal den Arbeitsplatz gekostet: Nicolas Ghesquière musste Ende 2012 seinen Posten bei Balenciaga räumen – wegen Streitereien mit dem Management. Der träumerische Futurismus, mit dem er das Fachpublikum in Staunen versetzte, verkaufte sich in den Läden nur mäßig gut. Da fragt man sich doch: wer hat eigentlich wirklich Recht bei der Beurteilung von Mode? Die Kritiker? Oder die Käufer? Eine 19-jährige Modebloggerin – oder ihre 50-jährige Mutter, die als potentielle Kundin teurer Luxusmarken viel eher in frage kommt, Mode aber vor allem als hübsche Kleidung betrachtet, und nicht als Kulturgut, das in jeder Saison gefälligst mit bahnbrechenden Innovationen aufzuwarten hat?
Welchen Wert hat kritischer, reflektierter Modejournalismus überhaupt noch, wenn Presse- und Käufermeinung letztlich kaum einen gemeinsamen Nenner finden, bzw. in vielen Fällen sogar extrem auseinander gehen? So klug und fachkundig Cathy Horyn (ehemals New York Times), Alfons Kaiser (FAZ), Suzy Menkes (New York Times) und Tim Blanks (style.com) über die herrlichen Kollektionen von Mary Katrantzou, J.W.Anderson, Haider Ackermann und Iris van Herpen berichten mögen – letztlich geht es auch in dieser Industrie darum, ein Produkt zu verkaufen und damit Geld zu verdienen. Der Kunde bleibt König, Mode ist kein Kunstobjekt, sondern eine von den Launen der Kaufkraft abhängige Verkaufsware. Die Presse kann die Meinung der Modekundschaft formen, sie kann das Image einer Marke beeinflussen, indem sie begeistert oder vernichtend über deren Show berichtet – letztendlich interessiert sich die Durchschnittskonsumentin aber weniger für Alexander Wangs futuristischen Laufsteglook als für die praktischen Jeans und T-Shirts des selben Designers, die später tatsächlich in den Läden zu finden sein werden.
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Kleider ohne Kundschaft: Nicolas Ghesquière für Balenciaga, links Winter 2012, rechts Sommer 2012 |
Ein Beispiel, das der Modewelt in dieser Debatte besonders deutlich in Erinnerung geblieben sein wird, ist die erste Kollektion von Hedi Slimane für Saint Laurent. Nachdem die Verkaufszahlen des Unternehmens mit Stefano Pilati als Kreativchef zuletzt eher dürftig ausgefallen waren, setzte das Traditionshaus und Mitglied des Kering-Konzerns den italienischen Feingeist kurzerhand vor die Tür und engagierte statt dessen Slimane. Dessen Debütkollektion erntete von der Presse vor allem harsche Kritik, in den Läden sorgten die schwarzen Schlapphüte, seidenen Flatterblusen und Skinnyhosen jedoch für glänzende Umsätze. In einer Mango-Filiale wären sie allerdings auch nicht verkehrt gewesen, so der hämische Kommentar der Journalisten. Doch was Cathy Horyn befand, interessierte die Kundschaft offenbar herzlich wenig – denn der gefiel, was Slimane da an uninspirierten Glamour-Westernlooks entworfen hatte.
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Links: Yves Saint Laurent by Stefano Pilati, Winter 2012, rechts: Saint Laurent by Hedi Slimane, Sommer 2013 |
In einem ausführlichen Artikel unter der Überschrift „Show Business“ hat die britische Vogue kürzlich den Sinn von Modenschauen generell in frage gestellt. Wer brauche diesen Zirkus überhaupt noch, wenn die Unternehmen ohnehin den entscheidenden Umsatz mit Handtaschen, Parfums sowie den meist kommerzieller orientierten Resortkollektionen machten? Wenn viele der auf dem Laufsteg gezeigten Stücke sowieso nur show pieces seien, und das, was es letztendlich in die Läden schaffe, bloß der tragbare Abklatsch der ursprünglichen Kollektionsidee? „These collections – and the clothes they present, of which around 20 per cent won’t ever be made – are a small fry in terms of what the brands are producing and selling“, schreibt die Vogue. „The real money-spinners, for designers and retailers, are the pre-collections, presented without fanfare in January and June. These clothes, which are less showy, more wearable, better-priced, and hang around in stores for longer, account for up to 80 per cent of a designer’s business and up to 70 per cent of a store’s annual buy.“
Für das millionenschwere Modehaus Louis Vuitton präsentierte Nicolas Ghesquière ein gutes Jahr nach seinem Abgang bei Balenciaga nun Anfang März in Paris seine erste Kollektion. Auch bei Louis Vuitton generieren vor allem Accessoires die noblen Umsätze, während die Prêt-à-Porter-Kreationen eher für ein ausgewähltes Publikum gedacht zu sein scheinen. Das wird sich mit Ghesquière als Chefdesigner wohl kaum ändern. „Das Debüt von Nicolas Ghesquière bei Louis Vuitton begeistert die Fachwelt“, schrieb Alfons Kaiser in der FAZ, „und wird die Massen überzeugen müssen.“ Die abtrakt gemusterten Ledermäntel, skulpturalen Silhouetten und Miniröcke zu Zippjacken sind nicht im klassischen Sinne schön, aber unbestreitbar interessant, außergewöhnlich kombiniert, raffiniert.
Finden die Journalisten. Jene kleine Gruppe unserer Bevölkerung, die sich tagtäglich mit Mode und Modekultur auseinander setzt und deshalb ganz automatisch klassische, tragbare Stücke langweilig finden muss. Mit extravaganten, vermeintlich unvorteilhaften Schnitten, Material- und Farbkombinationen, die auf den ersten Blick mehr gewagt als elegant wirken, kurzum mit Entwürfen, die ein alternatives Ideal von Schönheit und Modischsein etablieren wollen, kann man die anspruchsvolle Presse für sich gewinnen. Aber die Käufer? Meine Mutter fand Ghesquières Kreationen häßlich. Hat sie Recht? Oder Tim Blanks? Welchen Wert hat in höchsten Tönen als innovativ und visionär gelobte Mode, wenn sie am Ende keiner kauft?
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Was Frauen wollen? Nicolas Ghesquière für Louis Vuitton, Herbst 2014 |
Oder ist die Presse den Käufern bloß stets ein paar Schritte voraus? Viele Ideen von Designern wie Dries van Noten, Raf Simons und Phoebe Philo, deren Potential die Journalisten bereits vor Jahren erkannten, überzeugen heute endlich auch das Massenpublikum. Vielleicht können sich Kritiker und Kundschaft doch einig werden – nur eben zeitversetzt? In jedem Fall ist der reflektierte Journalismus eine feste Größe in der Modewelt, der, selbst wenn er sich lieber für Kunst als für Kommerz begeistert, doch zumindest mit voller Kraft die Aufmerksamkeit auf Ideen und Visionen richtet, deren Wert die Käufer eines Tages schon noch erkennen werden. Manchmal muss man die Leute auch zu ihrem Glück zwingen – vielleicht, wenn ich lange genug und überzeugend argumentiere, warum Nicolas Ghesquières Kollektion für Louis Vuitton wirklich wunderschön ist, wird meine Mutter es mir eines Tages doch noch glauben.