Es könnte ein Windstoß kommen

SECHS GRÜNDE, GUTE UNTERWÄSCHE ZU TRAGEN

Im Jahr 2006 kam es am Londoner Flughafen Heathrow zu tagelangem Durcheinander, nachdem im Handgepäck mehrerer Passagiere flüssiger Sprengstoff entdeckt worden war. Meine Schwester und ich waren zufälligerweise zur falschen Zeit am falschen Ort, nämlich in Heathrow, und unser Flugzeug wollte aus Angst vor weiteren Terroraktionen nicht fliegen. Also mussten wir den ganzen Tag am Flughafen herumhängen und schließlich einen neuen Flug für den kommenden Morgen buchen. Zwischendurch bestaunten wir das Chaos, vor allem an den Sicherheitskontrollen ging es heiß her, die Leute durften kaum etwas anbehalten. Bevor wir am nächsten Morgen wieder zum Flughafen fuhren, sagte meine Schwester beim Ankleiden im Hotelzimmer: „Clairette, wir sollten heute unsere schönsten Unterhosen tragen. Wahrscheinlich müssen wir an der Sicherheitskontrolle alles ausziehen!“

Ich gehorchte und stieg in meinen schönsten Schlüpfer. Natürlich mussten wir uns bei der Ankunft am Londoner Flughafen nicht bis auf die Unterwäsche entkleiden – angesichts der Notlage schien der Gedanke allerdings gar nicht so abwegig! Für die Sicherheit ihrer Passagiere gehen die Fluggesellschaften bestimmt schon mal über Unterhosen. An jenem Tag, als ich mit schlotternden Knien in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle stand und auf meinen Striptease-Einsatz vor den Beamten wartete, beschloss ich, nie wieder in hässlicher Unterwäsche auf die Straße zu gehen. Man weiß nie, in welche Situationen einen das Leben bringen mag. Es gibt unzählige gute Gründe, auf elegante Unterbekleidung zu achten, den ersten davon haben wir schon, und außerdem fallen mir spontan noch mindestens fünf weitere ein, die auch das dämliche Argument schlagen werden, auf ordentliche Unterhosen müsse man keinen Wert legen, weil sie ja sowieso bis auf Ausnahmen kein Mitbürger je zu Gesicht bekomme.

Außer der nicht ganz utopischen Eventualität, sich eines Tages bei besonders strengen Security Checks doch vor den Augen lauter anderer Passagiere bis auf die Haut  entkleiden zu müssen, lohnt sich die Wahl feiner Unterhosen in unterschiedlichsten Lebenslagen: Es könnte ein Windstoß kommen! Da steht man gerade in einem flatternden Kleid auf der Friedrichstraße herum, von der Spree weht ein Lüftchen herauf und schon sieht jedermann, was ich drunter trage. Blöd, wenn es dann ausgerechnet der geblümte Schlüpfer von 1998 ist.

Oder man fährt in die Berge, es ist sonnig und warm, und plötzlich taucht da ein blau glitzerndes Seegewässer hinter der nächsten Wegbiegung auf, glasklar, spiegelglatt, unwiderstehlich erfrischend. Unglücklicherweise hat man gerade jetzt keinen Badeanzug im Handgepäck dabei. Für Menschen in guter Unterwäsche kein Problem: so ein rosa-rot gestreifter BH kann ja mit ein bisschen Fantasie auch als Bikini durchgehen. Einfach eine Sonnenbrille dazu aufsetzen, selbstbewusst gucken und schnell ins Wasser hüpfen!

Weiterhin lässt sich ein nobles Unterwäsche-Ensemble auch ganz hervorragend als Hausanzug zweckentfremden. Unterwäsche als Home-Office-Uniform hat einen positiven Nebeneffekt auf die persönliche Fitnessmotivation: Jedes Mal, wenn man halbnackt am Schlafzimmerspiegel vorbeikommt, macht man bestimmt ganz freiwillig schnell ein paar Sit-Ups und Liegestütz. Aber was sollen denn die Nachbarn denken? Mir egal, wenn sie unbedingt in meine Wohnung spähen wollen, sollen sie doch. Ich trage ja schöne Unterhosen.

Meine Freundinnen beklagen sich ständig, sie hätten viel zu wenig Stauraum für ihre Tonnen von Kleidern und Klamotten. Bei chronisch überquellenden Schubladen empfiehlt Clairette, Unterwäsche zu kaufen, die so schön ist, dass man sie sich in Notsituationen auch als Kunstwerk an die Wand hängen kann. Bei skeptischen Fragen behauptet man einfach, es handele sich um die Kreation einer jungen, feministischen und sehr talentierten lateinamerikanischen Konzeptkünstlerin (am besten eine Werkbeschreibung daneben hängen: Maria Evora Fernandez: BH über Schlüpfer, Spitze auf Satin, 15×30 cm, 2012).

Zum Abschluss noch mal ein ernst gemeintes Argument: gute Unterwäsche zu tragen ist schlicht eine Frage der richtigen Haltung. Wenn man sich obendrüber schick macht, warum dann nicht auch untendrunter? Eine zerschlissene Unterhose zum Seidenkleid zu tragen ist in etwa so konsequent wie ein argentinisches Rinderfilet zu braten und es anschließend auf Papptellern zu servieren. Gute Unterwäsche ist die Basiszutat für ein würdevolles Auftreten – das fängt schon morgens beim Anziehen an. Erinnert sich noch einer an die Auftaktszene aus „Der Teufel trägt Prada“? Da steigen die schönen Moderedakteurinnen in ihre Seidenstrings und Raubkatzen-BHs, und oben drüber kann es dann logischerweise mit perfekt geschnittenen Bleistiftröcken, Pumps und Wildledermänteln auch nur wunderbar weitergehen. Unsere burschikose Filmheldin Andrea bevorzugt ihrerseits ein zeltförmiges Jerseyhöschen, und was kommt da oben drauf? Ein brauner Cordblazer. War ja klar.

Unterwäsche von Passionata