Madame Coquette ist eine saubere Person. Vielleicht ein bisschen zu sauber. Jedenfalls hat sie die Angewohnheit, bei jedem Wohnungsputz gleich alle Teppiche, Vorhänge, Bettdecken und Wandtapeten perfekt aufeinander abgestimmt umzugestalten. Das ist im Grunde effizient gedacht, denn weil selbst ihre Kleider und Accessoires immer optimal zur Zimmerdekoration passen, kann sie, wenn einmal die rot-blau-gestreifte Handtasche in der Reinigung ist, kurzerhand den ebenfalls rot-blau-gestreiften Müllbeutel als Täschchen zweckentfremden.
Madame Coquette zählt zu der wohl herrlichsten Comicserie, die je ein Kinderbuchillustrator hervorgebracht hat: der bonbonbunten Schar der Mr. Men und Little Miss, erfunden von Roger Hargreaves. Ich kannte die putzigen Gesellen als Kind nur mit französischen Namen, die Geschichten von Monsieur Malchance (Herr Unglück), Madame Bonheur (Frau Gute-Laune) und Monsieur Chatouille (Herr Kitzelig) waren Teil meiner frankophonen Erziehung. Charakteristisch für die Figuren sind das fast schon lächerlich breite Grinsen, der Verzicht auf Bekleidung und dafür eine besondere Affinität zu Accessoires aller Art. Madame Chance ist zum Beispiel immer mit blau-weiß-karierter Duschhaube unterwegs, während Monsieur Bizarre einen Blumentopf als Kopfbedeckung bevorzugt. Das Schönste an allen Geschichten aber ist: garantiert jedes Kind findet unter den unzähligen Charakteren eine Figur, mit der es sich selbst am besten identifizieren kann. Neben Madame Coquette war ich persönlich immer großer Fan von Madame Tête En L’air (zu Englisch Little Miss Scatterbrain). Frau Kopf-in-den-Wolken hat ein unbeschwertes Leben, als heitere Chaotin schert sie sich nicht um Fristen und To-Do-Listen. Ich wollte immer sein wie Madame Tête En L’air. Leider ist daraus nichts geworden. Stattdessen wurde ich erwachsen und lese jetzt Thomas Mann statt Monsieur Malchance.
In diesem Jahr erleben Mister Men und Litte Miss nun ihr überraschendes Revival: für eine Sonderserie haben sich die bunten Kameraden mit dem französischen Schuhlabel Twins for Peace zusammen getan, das, so viel ist sicher, ausschließlich für erwachsene Menschen entwirft. Da hüpfen Mister Tickle und Litte Miss Bossy nun also über weiße Leinenturnschuhe, Käppis und T-Shirts, sogar ein Sweatshirt gibt es, kreuz und quer übersät mit nahezu allen bekannten Charakteren. Im Pariser Conceptstore Colette ist die Spezialkollektion bereits so gut wie ausverkauft.
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Kinder ihre stilsicheren Eltern um deren lustig bedruckte Schuhe beneiden dürfen. Bilderbuchikonen als stylisches Statement lösen bereits seit einigen Saisons Modehypes größeren Ausmaßes aus. Im letzten Jahr kooperierte das dänische Herrenmodelabel Soulland mit dem Erfinder des Kinderbuch-Elefanten Babar – binnen kürzester Zeit waren die putzig bedruckten T-Shirts, Hemden und Shorts von New York bis Berlin ausverkauft, und die bis dato noch eher unbekannte Marke Soulland genoss plötzlich so etwas wie Weltruhm. 2011 druckte Jean-Charles de Castalbajac 101 Dalmatiner auf ein elegantes Ensemble aus Seidenbluse und Palazzohose. Im gleichen Jahr wurde Miss Piggy Markenbotschafterin für MAC Cosmetics. Und für seine Sommerkollektion 2013 entwarf Marc Jacobs hübsche Mini-Sweatshirts mit dem König aller Comicfiguren auf der Front: Mickey Mouse.
Kann man als erwachsener Mensch einen Pulli mit einer grinsenden Maus darauf anziehen? Sneaker mit einem bandagierten Mister Bump vorne drauf, Shorts mit einem Elefanten, der noch dazu selbst einen grasgrünen Anzug trägt? Und darf Mode überhaupt witzig sein, putzig und heiter? Manch einer mag sich in solch Bilderbuchkleidern albern vorkommen – tatsächlich ist ein T-Shirt, von dem die einstige Lieblings-Comic-Ikone heruntergrinst, aber viel mehr als nur ein Kleidungsstück: nämlich Kindheit zum Anziehen. Bilderbuchfiguren unterliegen keinen Trends, sie sind überhaupt nicht schick oder stylisch, erst Soulland adelte Babar zum Streetstyle-Star, und deshalb streift man sich mit solch einem Elefanten-Hemd oder Mister-Men-Schuh auch ein Stück kindlicher Unbeschwertheit über.
Das wiederum erklärt, warum nicht jeder Kinderbuchheld für die modische Wiedergeburt in Frage kommt: für Moschino hat Jeremy Scott jüngst einen überdimensionalen Sponge Bob auf ein Kleid gedruckt, was vor allem deshalb wirklich nicht mehr schön anzusehen ist, weil die potentielle Trägerin eines Moschinokleids heute gar nicht der Generation angehört, die sich noch in schwelgender Nostalgie an Sponge Bob erinnern könnte. Den gibt es nämlich erst seit 1998. Damals war die heutige Moschino-Kundin, wenn wir großzügig schätzen, allerdings schon mindestens 15 Jahre alt. Für sie ist Sponge Bob keine Ikone, sondern bloß ein gelber Schwamm mit Überbiss.
Außerdem ist Sponge Bob doch nun wirklich kein eleganter Zeitgenosse. Madame Tête En L’Air dagegen: ein Unikat ihrer Art! Babar: allein des erwähnten grünen Anzugs wegen ein Klassiker. Von Mickey Mouse‘ roten Hosen ganz zu schweigen. Weitere Helden der Kindheit, die definitiv eine Special Edition verdient hätten: Tim und Struppi, Biene Maja, Kermit der Frosch. Letzterer hat es ja jüngst schon auf das Cover des ZEIT-Magazins geschafft, da dürfte eine Kooperation mit Balenciaga doch langsam mal infrage kommen.
Als erwachsener Mensch kann das Leben gelegentlich schon nervenaufreibend genug sein. Warum also nicht mal in Monsieur-Bonheur-Schuhen durch den Alltag schreiten? Kindheitserinnerungen zum Anziehen befreien uns vielleicht nicht von Kreditkarten-Rechnungen und Beziehungskrisen. Dafür sorgt aber allein schon der Anblick geliebter Kindheitshelden für ein Gefühl ironisch-heiterer Nostalgie. Man kann ja trotzdem Bleistiftrock oder Blazer dazu tragen. Wie sagte Erich Kästner doch einst so schön: Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.