Die Schatzkiste

TRAUM AUS BAUM: KATRIN LANGER MACHT TASCHEN AUS HOLZ UND GLITZER

Die It-Bag aus der sächsischen Provinz – das ist die Sensationsmeldung, mit der viele Geschichten über Katrin Langer beginnen. In der Tat ein schöner Einstieg, denn sind es nicht die Kontrast-Erzählungen vom großen Erfolg aus dem (scheinbar) unscheinbaren Untergrund, die den anspruchsvollen Leser am besten locken mögen? (Wir testen das mal gleich: schön weiterlesen!)

Vielleicht aber besteht zwischen der vielzitierten provinziellen Herkunft der Luxustaschenmarke Katrin Langer und ihrer stetig wachsenden Beachtung in der internationalen Modewelt gar keine so erstaunliche Diskrepanz, wie man im ersten Moment annehmen möchte. Vielleicht klafft da gar kein so großer Graben zwischen Ursprungsort und Rampenlicht, zwischen Plauen und Paris, wo die hölzernen Clutches des ostdeutschen Manufakturlabels bereits in den Händen bekannter Streetstyle-Ikonen und Redakteurinnen gesichtet wurden.

Der Weg aus der Provinz auf die internationale Modebühne erscheint plötzlich kurz, wenn man erst einmal festgestellt hat, dass das Erfolgsgeheimnis dieser glamourös gestalteten Handtaschen tatsächlich ihre bewusste Abstinenz vom schnell rotierenden Karussell der Modewelt sein muss. Denn Katrin Langer, studierte Informatikerin, Mutter von vier Kindern und passionierte Perfektionistin, entwirft keine Accessoires für eine Trendsaison, sondern für die Ewigkeit. Fernab der in den großen Metropolen so deutlichen Tendenz zu immer mehr Minimalismus, Sportlichkeit und Androgynität lässt die Designerin in der Kleinstadt Plauen im Vogtland, 300 Kilometer südlich von Deutschlands sogenannter Modehauptstadt Berlin, opulent verzierte Schatzkisten im Miniaturformat fertigen.


Die Herstellungstechnik stammt aus dem Musikinstrumentenbau, Wiedererkennungsmerkmal sind die lackierten Rahmen aus afrikanischem Makoré-, Nuss- oder Mammutbaumholz. Die glänzende Fassung erinnert an die geschmeidige Silhouette einer Violine. Zum Unikat wird jede Clutch durch schillernde Swarovski-Kristalle, meerblau schimmerndes Perlmutt, filigran gemaserte Holzintarsien, Pythonleder, königliche Stickereien auf rotem Samt, geometrische Steppmuster auf Seide oder feinstem Lammnappa, mit denen der Holzrahmen nach vollendetem Feinschliff bezogen wird.

Das prachtvolle Design erinnert an die royale Mode des Ancien Régime, oder die glitzernde Epoche der Goldenen Zwanziger; auf jeden Fall an eine Zeit, in der man sich in Berlin noch nicht so betont lässig und underdressed gab wie heutzutage. Auch dort werden die Kreationen von Katrin Langer allerdings immer häufiger gesichtet, vorzugsweise auf den roten Teppichen der Filmindustrie, wo sich stilsichere deutsche Schauspielerinnen wie Karoline Herfurth oder Anna Maria Mühe gerne mit einer Clutch von Katrin Langer zum schlichten Cocktailkleid blicken lassen.

Nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Opulenz, die im puristischen 21. Jahrhundert im ersten Moment unmodern erscheinen könnte, sind die Schatullen von Katrin Langer heute wohl so begehrenswert. Das Konzept erscheint simpel: „Ich wollte nicht irgend etwas basteln“, erzählt die Designerin in einem Bericht der Welt am Sonntag. „Ich wollte ein sehr gutes marktfähiges Produkt entwickeln.“ Sie habe sich schon immer für Kunst und Antiquitäten interessiert, insbesondere aber für die Verarbeitung von Holz, die nach wie vor ein hohes Maß an künstlerischem Geschick und Handwerkskenntnissen erfordert.Könnte solch ein Produkt in einer pulsierenden Stadt wie Berlin oder London entstehen? Hat man in diesen dynamischen Metropolen überhaupt noch die Zeit und Muße für die Herstellung eines in liebevoller Detailgenauigkeit und Perfektion verarbeiteten Unikats dieser Art? Zumindest im Falle Katrin Langers ist der beeindruckende Erfolg in so kurzer Zeit – 2012 wurde die Marke gegründet, heute ist sie bereits im noblen New Yorker Onlineshop Moda Operandi vertreten – möglicherweise wirklich die logische Konsequenz der stillen Geburt im Südwesten Sachsens, wo man in einer der letzten deutschen Bastionen für traditionelles Kunsthandwerk wie Instrumentenbau, Stickereigewerbe und Perlmuttverarbeitung nicht nur das nötige Know-How, sondern auch die Geduld und Leidenschaft aufbringen kann, um eine Clutch zu produzieren, für deren Fertigstellung manchmal bis zu sechs Wochen vergehen.

Bei allem wohldosierten Prunk kommt zudem auch die Funktionalität nicht zu kurz: das mit butterweichem Velours ausgeschlagene Innere der Taschen lässt überraschend viel Stauraum für Telefon, Portemonnaie und Minirevolver (bei Bedarf). Die feinen Schatullen mögen dank der filigranen Dekoration empfindlich erscheinen, dabei sind sie aber besonders stabil und leicht gebaut. Man kann sie klassisch zum Cocktailkleid tragen oder leger zu Fetzenjeans und T-Shirt. So eine Schatzkiste adelt schließlich jeden Kartoffelsack zum Ballkleid.Und dank der integrierten, vergoldeten Tragekette lässt sich die Clutch auch mal eben lässig über die Schulter werfen – für die moderne, praktisch denkende Käuferin ein nicht unerhebliches Kriterium.

Oft und gern wird die Modewelt als Haifischbecken bezeichnet, in dem heute nur noch überlebt, wer immer schneller immer mehr produziert, und zwar am besten für ein möglichst breites Publikum. Katrin Langer widersetzt sich diesen Prinzipien auf charmanteste Weise – mit Kreationen von nachhaltigem Luxus, prächtigen und dabei doch zeitlos modernen Unikaten, die jetzt schon durchaus das Zeug dazu haben mögen, eines Tages einen ähnlichen Kultstatus wie das berühmte Seidencarré von Hermès oder ein Uhrwerk von Omega zu erlangen. Ersteres wird übrigens in Lyon gefertigt, letzteres im schweizerischen Biel. Also auch nicht dort, wo das Fashion-Karussell am schnellsten rotiert. Wie gut Mode und Provinz doch zusammen passen können.

Header-Bild und Streetstylefotos: Sandra Semburg. Eine Übersicht aller Modelle gibt es hier zu sehen.