Doppelt schmückt besser

DIE PERFEKTE SYMBIOSE AUS MODE UND MANN: DER DOPPELREIHER

Ente und Enterich unterscheiden sich durch ein wesentliches Merkmal von der Menschenwelt: beim Federtier ist der Mann schön, die Frau unscheinbar. So lässt sich am Ententeich schnell feststellen, mit welchem Geschlecht man es bei den quakenden Gesellen gerade zu tun hat. Der Vogel mit dem elegant smaragdgrün schimmernden Kopf ist der Enterich, der braune Klops daneben seine Gattin. „Beim Menschen ist es genau andersrum!“erklärte mein Sachkundelehrerin in der Grundschule und lieferte so die Eselsbrücke für das Phänomen gleich mit dazu. „Die Frau ist schön, der Mann hässlich. Merkt euch das, Kinder.“

Ganz offensichtlich ist meine Sachkundelehrerin, mit Verlaub, eine doofe Ente.

Aktuell finden in Italien die Schauen der Männermode statt, und was dort auf der Straße an perfekt gekleideten Herren unterwegs ist, kann sich durchaus mit der Pracht des Enterichs messen. Oder, noch besser, mit der Eleganz des Pfaus: nachdem Modekritikerin Suzy Menkes das Streetstyle-Spektakel um Miroslova Duma und Kolleginnen einst abfällig als „Vogelzirkus“ bezeichnet hatte, dürfen sich nach jüngsten Meldungen von Business of Fashion neuerdings auch die männlichen Gäste der Florentiner Herrenmodemesse Pitti Uomo peacocks nennen, nämlich Pitti peacocks – wobei der Bezeichnung hier ein weitaus positiverer Beigeschmack anhaftet.

Ich wage sogar zu behaupten, dass die Streetstyle-Schnappschüsse aus Florenz und Mailand noch schöner anzusehen sind als die der großen Damenmodewochen – denn Männer in schicken Outfits sind zumindest hier in Deutschland nach wie vor eine seltene Spezies, daher lohnt sich eine genauere Betrachtung des italienischen Vorbilds. Robin Mellery-Pratt, Autor des BoF-Artikels, will in der Garderobe der männlichen Schauenbesucher gar den Auslöser für eine befreiende Wiederbelebung der eleganten Herrenmode auf und abseits der Laufstege erkennen – eine Befreiung von jener Befürchtung des Mannes nämlich, in allzu modischen Kleidern nicht maskulin genug rüberzukommen.

Die emanzipierte Frau von heute kann sich ja bekanntlich sowohl in Birkenstocks als auch in Stilettos wie eine Frau fühlen, für den Mann wird es da schwieriger. Im Hawaiihemd kommt er sich gleich wie ein Blumenmädchen vor, in schmalen Hosen wie eine Ballerina, mit gelber Krawatte wie eine Osterglocke. Wer allerdings die aktuellen Streetstylebilder aus Italien sichtet, wird sich von den tadellos gekleideten Herren geradezu betört fühlen – und zwar im heterosexuellen Sinne, wie der Journalist Angelo Flaccavento aufmerksam beobachtet hat:

“Often you can see pictures of people standing at fashion shows in Paris or Milan or wherever and, I mean, you might think these people are, matter of fact, gay. At Pitti, it always looks like they’re trying to seduce women.“

Vor allem ein Kleidungsstück fällt bei diesem Verführungsspiel immer wieder ins Auge: der Doppelreiher. Das passgenau geschnittene Jackett mit zweifacher Knopfreihung ist der neue Indikator für das Stilbewusstsein des maskulinen Mannes: hat man einen im Doppelreiher erspäht, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er mindestens genauso gut über die Modewelt Bescheid weiß wie Anna Wintour – und sich dabei ebenso für Formel 1 und Stereoanlagen interessiert.
Der Anzugträger mit durchschnittlichem Stilempfinden wird nach wie vor im einfach geknöpften Jackett unterwegs sein und darin sicherlich gut aussehen. Aber nicht modisch. Den modischen Mann hat es längst nach mehr Freiheit, mehr Wagnis, mehr stilistischer Originalität gedürstet. Also hat er sein Jackett ausgezogen und ist in den Doppelreiher geschlüpft.

Der Doppelreiher ist die perfekte Symbiose aus Mode und Mann: er ist elegant, aber nicht übertrieben extravagant, originell, aber nicht albern, ein kraftstrotzender Klassiker (wir erinnern uns an Leonardo DiCaprio in Wolf of Wall Street!) und dabei doch eine erfrischende Abwechslung zwischen all den schlichten Einreihern, zudem mondän, aber nicht übermäßig auffällig. Ein wichtiges Kriterium: denn selbst wenn heutzutage immer mehr Männer fast so schick aussehen wie Ententeichs Enterich, werden sie als echte Gentlemans doch niemals den Frauen die Show stehlen wollen.

Die Rolle der ikonischen Diva bleibt für die Damenwelt reserviert. Der modische Mann arbeitet, zumindest aktuell noch, mit subtileren Mitteln. Deshalb wird es wohl auch noch eine Weile dauern, bis Modeerscheinungen wie Fendi’s gelbe Handtasche, Dolce & Gabbana’s Torero-Jacke oder Versace’s bonbonrosa Anzug, so gerade gesehen in Mailand, bei den Herren der Schöpfung Anklang finden. Wer weiß: vielleicht wird sich die populäre Definition modischer Maskulinität eines Tages auch in solch bunte Gefilde bewegen. Momentan macht Mann im Doppelreiher aber schon mal eine tolle Figur. Geradezu ein Enterich-Basic.

Streetstyle-Bilder von Tommy Ton und Sandra Semburg.
Die neuen Doppelreiher von den Mailänder Laufstegen (Bilder via style.com):

MP Massimo Piombo S/S 2015
MP Massimo Piombo S/S 2015
Ports 1961 S/S 2015
Burberry Prorsum S/S 2015
Calvin Klein S/S 2015
Etro S/S 2015
Gucci S/S 2015
Marc Jacobs S/S 2015
Tod’s S/S 2015
Topman S/S 2015