Stilvoll schwitzen

WIE EIN MANN

Fotos von Sandra Semburg

Wenn es draußen richtig heiß wird, fange ich an, mich modisch daneben zu benehmen. Gerade erst gestern wieder, als ich um die Mittagszeit bei schätzungsweise achtzig Grad im Schatten am Gendarmenmarkt herumlief. Ich musste zum Zahnarzt und hatte mich zu diesem Anlass in ein bauchfreies Croptop, das man ebenso gut als Sport-BH bezeichnen könnte, und zerknitterte Viskose-Shorts geworfen. Dazu trug ich Adiletten und sah richtig verboten aus. Bei Hitze werden wir alle zu Steinzeitmenschen, hechelnd schlurfen wir durch die glühende Stadt, entleeren in aller Öffentlichkeit Vittel-Flaschen über unseren Köpfen und aalen uns ohne Skrupel und Kleidung den ganzen Tag auf der Parkwiese. Auch wird man bei diesen Temperaturen immer wieder Zeuge der offenbar ziemlich weit verbreiteten Einstellung, dass die Achselrasur doch wirklich überbewertet sei. Wie gesagt: unsere Verwandtschaft zum Steinzeitmenschen ist nicht zu leugnen! Die einzigen, die sich bei diesem Wetter noch an Zucht und Ordnung zu halten wissen, sind, Achtung – die Männer.

Also, zumindest einige von ihnen. Auch das wurde mir gestern am Gendarmenmarkt bewusst, wo um die Mittagszeit ein Heer von Anwälten und Vorstandsvorsitzenden aus den eisgekühlten Büros kriecht, Männer in hellblauen Hemden, Zegna-Anzügen aus kühlender Sommerwolle (behauptet zumindest der Hersteller), mit eleganten Fliegerbrillen auf der Nase und nicht dem leisesten Anschein jeglicher Steinzeitanalogie. Ich war auf meinem Weg zum Zahnarzt übrigens (wie immer) auch noch zu spät und musste mich daher in meinem elastischen Outfit hakenschlagend mitten durch diese stilvolle Gemeinde schlängeln, deshalb kann ich all die Details hier so gut wiedergeben. Einer der Herren musterte meinen Look misstrauisch und rückte wie zur Bekräftigung seiner Skepsis den Windsorknoten zurecht. Von Schweiß war ihm nichts anzumerken, dabei musste sich unter Hemd und Sakko doch gerade ein regelrechter Sturzbach abseilen. Jede Saison bewundere ich diese heldenhafte Duldsamkeit aufs Neue: ich habe einen richtigen Respekt vor all den unerschrockenen Männern, die weltweit, von der Wall Street bis zur Friedrichstraße, bei 30 Grad im Schatten in ihre feinen, warmen und garantiert nicht kühlenden Wollanzüge steigen und darin tapfer den Weg durch den heißen Stadtbeton antreten.

Ja, es stimmt, natürlich gibt es auch die andere Sorte Mann, die im Sommer oben ohne und in Cargohosen den entblößten Bierbauch spazieren führt. Aber die beschimpfen wir ohnehin jedes Jahr verlässlich als Schande für die Nation. Was ist mit all den Anzugmenschen, die gelernt haben, den Sommer stilvoll schwitzend zu bestreiten?  Neulich habe ich sogar einen gesehen, der im dunkelblauen Jackett auf dem Fahrrad strampelte – mit zwei Kindern im Schlepptau, einem auf dem Rücksitz, einem vorm Lenkrad! Und dabei sah er auch noch gut aus.

Meine Damen, ich finde, es ist an der Zeit, mal ein bisschen Solidarität zu zeigen gegenüber jenen Herren, die sich Tag für Tag an die strenge Regel halten, dass Mann keine kurzen Hosen trägt – niemals! Dass Tanktops an die Tankstelle gehören – und sonst nirgendwohin! Dass Männerfüße nicht in Sandalen passen. Und dass man auch bei tropischen Temperaturen noch Krawatte tragen kann. Wer schick sein will, muss schwitzen. Das können auch wir Frauen uns mal hinter die Ohren schreiben, die wir im Sommer doch gerne sämtliche Hüllen fallen lassen, was nicht immer unbedingt von optischem Vorteil ist. Inspiriert von all den würdevoll transpirierenden Männern da draußen habe ich mir deshalb nun eine schwarze Krawatte genäht, wie jüngst übrigens bei Chanel zu sehen. Wer solch eine Halsschleife trägt, der muss auch ein Hemd tragen, und zwar hochgeknöpft bis zur Atemnot. Seitdem ich diese Krawatte tragen, weiß ich, wie es sich anfühlt, im Sommer ein Mann zu sein. Die Luft ist dünn. Man schwitzt. Es ist heiß. Aber man sieht garantiert schicker aus als im Croptop.

Herrenhemd: Shirts and more (ähnliches hier), Krawatte: selbst genäht, Sonnenbrille: Mads Nørgaard, Jeans: Levi’s, Schuhe: Fratelli Rossetti, Tasche: Atem