Die Heckenschere muss lebendig sein

KLEINE ANALYSE DER MERKWÜRDIGSTEN MODE-EDITORIALS DER SAISON


Ich bin wirklich kein Fan von Germany’s Next Topmodel, ehrlich nicht, die letzte Folge habe ich mit 15 Jahren gesehen. Die Werbepausen fand ich lehrreicher als die Sendung selbst. Nur eine Lektion des Posing-Studiums habe ich nicht vergessen, jenes Zitat von Bruce Darnell, das längst in die Annalen der Fernsehgeschichte eingegangen ist:

„Die Handetasche muss lebendig sein!“

Nun ist die legendäre Handetasche-Episode schon eine Weile her, und wir dürfen davon ausgehen, dass Modeltrainer Bruce seinen Schützlingen heutzutage den Umgang mit ganz anderen Accessoires beizubringen hätte: zum Beispiel Heckenscheren. Oder Kätzchen, echten Kätzchen, solchen, die schon lebendig sind. Immer häufiger begegnen einem beim Durchblättern hochkarätiger Modemagazine die erstaunlichsten Editorials; Modestrecken mit exotischster Ausstattung, und dabei so intensiv, expressionistisch, bildgewaltig und extravagant, dass man die Stimme des Art Directors geradezu aus dem Papier herausschreien hört:

„Die Heckenschere muss lebendig sein!“

Jawohl, richtig gehört, die Heckenschere, aktuell als modische Requisite im australischen SHOP Magazine zu sehen. Was Models heutzutage an challenges bewältigen müssen, hätte vor 10 Jahren wohl noch für kollektive Heulkrämpfe im Klum’schen Modellager gesorgt. Denn Editorials waren noch nie so anspruchsvoll wie heute, sowohl technisch als theoretisch. Entsprechend müssen auch die Models richtige Stuntfrauen sein, damit sie souverän in einsamen Wäldern im Gestrüpp posieren, auf Pferden durch den Ozean reiten oder im Couturekleid die Gartenhecke stutzen können – und dabei auch noch fantastisch aussehen.

Mein Einpersonen-Büro und ich haben uns gefragt: wer war zuerst da – das Model oder die Heckenschere?Scherz, das haben wir uns nicht gefragt. Aber: was sollen wir mit diesen Bildern anfangen? Was wollen uns die Art-Direktoren mit diesen Inszenierungen sagen? In der Kunstgeschichte, meinem zweiten Studienfach, ist die Frage nach der intendierten Aussage des Künstlers verpönt, warum nochmal, habe ich bis heute nicht wirklich verstanden. Bei Modeeditorials darf man allerdings ganz bestimmt davon ausgehen, dass mit der Bildkonzeption ein bestimmter Effekt beim Betrachter erzielt werden soll. Schließlich ist Mode nichts anderes als ein käufliches Lebensgefühl. Die Stylisten, Fotografen und Models schaffen dafür den passenden, wohlkonstruierten Rahmen – sodass ich als Betrachterin von jetzt auf gleich das Gefühl bekomme, dass alles, was meiner Garderobe, meinem Stil, meiner Persönlichkeit, kurz meinem Leben zum vollkommenen Glück noch fehlt, tatsächlich eine Heckenschere ist. Bitte sehr: hier haben wir 12 Interpretationsversuche zu den merkwürdigsten Mode-Editorials der Saison. Ergänzungen ausdrücklich erwünscht.

S/S/A/W Magazine, Juli 2014:

Für alle Frauen, die manchmal gern ein Känguru wären, bietet das Editorial „Free at last“ im aktuellen S/S/A/W Magazine eine spannende Alternative: die Katze in der Manteltasche. Dort lässt sich das Haustier behaglich verstauen und den ganzen Tag durch die Stadt transportieren.  Was wir hier sehen, ist die emanzipierte Frau von morgen: mobil und fürsorglich zugleich. Die Katze lässt sich bestimmt auch als Synonym für menschlichen Nachwuchs interpretieren. Und wer hat’s erfunden? Karl Lagerfeld natürlich – seine Choupette ist schließlich das Modeaccessoire des Jahrzehnts. [Fotografie: Hasse Nielsen]

Fashion Gone Rogue:

Martha Stewart im Wunderland. Diese Frau lebt auf großem Fuß, ob ihrer Strahlkraft wirkt die Welt um sie herum plötzlich klein. Durch die Reihenhaussiedlung stakst sie mit Stechschritt, bei der Grundstücksbesichtigung am Turmschlösschen sinniert sie über den günstigen Standort für Irrgarten und Infinity-Pool. Modefotografie als Sinnbild des Ausbruchs aus dem bürgerlichen Leben – herrlich. [Fotografie: Cara O’Dowd]


Vogue Italia, März 2014: 

Löwe beißt Büffel, Vogel beißt Saskia de Brauw – Die lustige Welt der Tiere heißt wohl das Motto im Fotostudio der italienischen Vogue. Ein Editorial, viele Fragen: das Comeback des Stammeshäuptlings? Die Machtergreifung der Häuptlingsgattin? Die Modewelt als Löwenkäfig? Sind die Tiere echt, also, in Bruce‘ Worten, lebendig?  Um welche Vogelart handelt es sich im Bild unten rechts? Und vor allem: wie geht es Saskias Unterlippe fünf Monate nach dem Shooting? [Fotografie: Steven Meisel]

S/S/A/W Magazine, Juli 2014: 

Zuzanna Bijoch spielt Kinder-allein-im-Wald, hatte aber keine Lust, die guten Kleider vorher auszuziehen und in ein funktionelleres Outfit zu schlüpfen. Ich kann diese Einstellung sehr gut nachvollziehen, schließlich wollte ich als Kind auch immer im Sonntagskleid in den Kindergarten gehen und in weißen Strumpfhosen im Garten buddeln. Was wir daraus lernen: kein Wifi-Empfang heißt noch lange nicht, dass man die Haute Couture zuhause lassen muss. Von seiner Umwelt muss man sich nicht vorschreiben lassen, was man anzuziehen hat. [Fotografie: Boe Marion]
Amica, Juli 2014:

Rose Smith hat ausgemistet. Hausputz muss auch mal sein, signalisiert dieses Foto, wobei Hausfrau-Sein heute durchaus anarchisch aussehen kann – die Dame im Bild hat ihren überflüssigen Krempel, Trockenhaube und Fernsehgerät, nämlich einfach mal hinterm nächsten Maschendrahtzaun geparkt. Auf die harte Arbeit erstmal einen Schluck Fanta. Interpretationsmöglichkeit Nr. 2: das Editorial will mehr Frauen zu Entrepreneurship anstiften – hier sehen wir eine Pionierin bei der Eröffnungsparty ihres ersten eigenen Freiluft-Friseursalons. [Fotografie: Jean-François Campos]
Vogue Australia, Juli 2014:

Der nächste Urlaub kommt bestimmt – dann am besten gleich die Abenteuervariante buchen und mit Chloé-Mantel und Kaschmirbadeanzug ins australische Outback reisen. Auf dem Programm stehen erholsame Aktivitäten wie Lagerfeuer mit den Aborigines, Floßfahren oder Ponyreiten im Ozean. Der Titel des Editorials sagt ja schon alles: Wayfinder – raus aus der Zivilisation, rein in die Oase der Ausgebrannten. Auf diesen Bildern sehen wir schließlich all das, was wirklich im Leben zählt: Luft. Wasser. Natur. Sonne. Chloé-Mäntel. [Fotografie: Will Davidson]
Dazed & Confused, Sommer 2014: 

Kulinarisches Erotik-Spiel zwischen Mann und Frau. Der Jüngling hält seiner Freundin eine grüne Limette hin, zuvor gab’s schon Zuckerstückchen, Ei und Joghurt. Sie muss raten, ob die Speise a) vegetarisch b) vegan c) bio oder d) frei von Geschmacksverstärkern ist. Je genauer sie rät, desto mehr muss er ausziehen. Eine bebilderte Anleitung zum Aufheizen des Beziehungsalltags. [Fotografie: Julia Hetta]
Harper’s Bazaar China, März 2014: 

Die Hetero-Beziehung der Zukunft: sie mit spiegelnder Superhero-Schutzbrille, er hoffnunglos ergeben, nicht mal ein Hemd darf er tragen. Oder verpasst sie ihm gleich eine professionelle Zahnreinigung? Das bläuliche Licht spricht für ein klinisches Ambiente. Die Szene könnte auch ein Remake von Loriots berühmtem Sketch „Heimoperation“ sein – das jedenfalls würde ansatzweise den sinnfreien Titel der Strecke erklären: „Back to Futurism“. [Fotografie: Kai Z Feng]
Numéro Russia, April 2014: 

Alisa Ahmann auf dem Weg zum Sample Sale von Jimmy Choo. Um als Erste in den Laden stürmen zu können, ist sie Stunden vorher angereist und hat deshalb gleich eine Isolierfolie mitgebracht, auf der sie es sich vor der Tür gemütlich machen wird. Blöd, wenn die ausgerechnet zwischen dem Hacken ihres High Heels und dem Reifen des Lieferwagens hängen bleibt, in dem sie später ihre Einkäufe zu verstauen gedenkt. Was für ein Balance-Akt. Mode kann so kraftraubend sein. [Fotografie: Alessio Bolzoni]
Vogue Japan, Juni 2014: 

Toll, wenn Möbel und Mensch so gut zusammen passen. Bei diesem Bild sind die Grenzen zwischen giftgrünem Folterthron und eiserner Offizierin in sexy Neon-Camouflage tatsächlich kaum noch zu erkennen. Hier werden wir Zeuge der Geburt einer neuen Berufsgruppe: der modischen Puffmutti. [Fotografie: Ellen von Unwerth]

W Magazine, Juni 2014:

Auf den ersten Blick wirkt alles ganz alltäglich. Dann stellen wir fest: Model Amber Heard und ihre Kolleginnen fläzen sich auf dem Boden einer Gefängniszelle. An der Wand ein Rahmen ohne Bild. Auf dem Boden ein blutroter Teppich. Die Tapete blaugeschimmelt. Eine Stange zum Festhalten. Keine Möbel. Frauen in Reizwäsche. Keine Weg nach draußen. Alles sehr merkwürdig. In dieser Modestrecke lauert viel Inspirationspotenzial für den nächsten Tatort mit Til Schweiger. [Fotografie: Steven Klein]
 Elle Italia, Juli 2014:

Bei diesem Bild ist primär die Frage interessant, welche Zeitung Maud Le Fort da gerade liest. Und was genau. Einen Leitartikel zum Freihandelsabkommen? Die Story zur Bestechungsaffäre um Nicolas Sarkozy? Den Fifa-Sonderteil? Oder doch nur die Werbanzeigen? Auf alle Fälle wird sie wohl nicht viel Inhaltliches mitbekommen. Die Hohlkreuzpose erfordert ja schon genug Konzentration. Und außerdem muss man in die Zeitung gucken, wenn man glaubhaft vermitteln will, dass man auch tatsächlich lesen kann und nicht heimlich bloß die bunten Bilder anguckt. Ein schönes Beispiel für den gescheiterten Versuch, die Frau als intellektuelle Leseratte zu porträtieren. [Fotografie: Mark Pillai]