Über Taillenshorts

UND WARUM FRAUEN HEUTE NICHT MEHR WIE BRITNEY SPEARS AUSSEHEN

Letzten Samstag war ich auf einer typischen Berlin-Party, also einer Party, auf der viele Leute herumlaufen, die genau so aussehen, wie man sich Berlin vorstellt: betont lässig, aber insgeheim gestylt. Das ist, nebenbei bemerkt, die modische Übersetzung von Wowereits mittlerweile doch ziemlich abgedroschenem „arm, aber sexy“. Als es drinnen irgendwann zu schwül und rauchig wurde, um noch vernünftig atmen zu können, floh ich nach draußen und setzte mich auf einen umgedrehten Bierkasten. Aus dieser mittleren Froschperspektive lässt sich das Treiben einer Partygesellschaft sehr gut beobachten.

Nach kurzer Zeit gesellten sich drei Mädchen neben mich und meinen Bierkasten, von denen das eine ein bemerkenswert berlinerisches Outfit trug, vielleicht war es auch ein zugezogenes berlinerisches Outfit, so genau kann ich das nicht sagen, rein optisch sind unechte und echte Berliner ja nicht so leicht zu unterscheiden. Das Outfit bestand aus einem bauchfreien rosa Jersey-Top, weißen Socken zu dicken weißen Plateausandalen, einem Wanderrucksack und taillenhoch geschnittenen, ausgefransten Levi’s-Shorts. Dazu trug sie einen wasserstoffblonden Kurzhaarschnitt. Irgendwie erschien mir der gesamte Look ein bisschen komisch, so manieriert wild, vor allem aber die Hose – die saß doch irgendwie viel zu hoch, dachte ich noch, bis mir siedend heiß einfiel, dass ich ja selbst immer in genau solchen Hosen unterwegs bin. Sehe ich auch so aus? dachte ich und fand die Vorstellung ein bisschen besorgniserregend.

Tatsache ist: die Taillenhose gehört seit vielen Saisons zum Standardrepertoire der meisten weiblichen Kleiderschränke. Ich selbst besitze auch nur Shorts, die oberhalb der Hüftknochen sitzen, alles andere finde ich unbequem und doof. Dabei sind Taillenshorts der schönste Beweis für die drastische Diskrepanz zwischen männlicher und weiblicher Auffassung von Attraktivität. Alle meine Freundinnen sowie alle modischen Frauen, die ich kenne, tragen im Sommer ihre kurzen Hosen bis zum Bauchnabel hochgezogen. Fast alle Männer, die ich kenne, finden Frauen in Taillenshorts komisch. Neulich habe ich mich im Zug mit einem Mitreisenden unterhalten, der plötzlich verstummte, als ein Mädchen in bauchnabelhohen Hosen vorbei kam. Er drehte sich um, schaute ihr lange nach und fragte mich dann mit misstrauischem Blick: „Trägt man das jetzt so?“

„Ist das eine Schwangerschaftshose?“ erkundigte sich auch einst ein Klassenkamerad, als ich einmal in meinen dunkelblauen highwaist Jeans von Monki in die Schule kam. Männer haben ja keine Ahnung. Taillenhosen sind toll, weil sie am Hintern immer ordentlich sitzen, anstand wie ein schlaffes Augenlid über den Pobacken zu hängen. Außerdem betonen sie die schmalste Stelle des Rumpfes, nämlich die Taille, und sorgen für eine optische Verlängerung der Beine. Lauter Vorteile, die ein Mann nicht nachvollziehen kann, in dessen Fantasie weiterhin die Idealvorstellung von einer Frau herumgeistert, die auch im Jahr 2014 noch angezogen ist wie die Tänzerinnen in einem Musikvideo von Britney Spears.

Britney Spears im Musikvideo zu „I’m Not A Girl Not Yet A Woman“, 2002

Als ich klein war, sahen alle großen Mädchen genau so aus: wie Britney Spears. Sie trugen Schlagjeans von Miss Sixty, die so tief geschnitten waren, dass man bei jedem Schritt vorwärts Angst haben musste, die Poritze könnte hinten herausspähen. Exponiert wurden auch die Beckenknochen, außerdem ein idealerweise flacher Bauch und natürlich kein Hüftspeck. Die meisten Mädchen haben aber doch zumindest ein kleines bisschen Hüftspeck, auch ich, jedenfalls glaube ich das. Wenn ich eine Hose trage, die knapp über den Pobacken endet und mir ins Fleisch schneidet, habe ich ständig das Gefühl, eine Leberwurst um die Hüfte geschnallt zu tragen. Die Taillenhose ist dagegen ein Geschenk für alle Frauen – auch wenn man darin zugegebenermaßen nicht wirklich scharf aussieht. So auch meine Beobachtung bei jenem Mädchen im Club. Die hochgezogene Hose fand ich seltsam, wahrscheinlich, weil ihr Hinterteil dadurch unnatürlich betont wurde. Ich will aber auch gar nicht wissen, wie mein eigener Allerwertester wohl in dem Modell von Acne ausschaut, das wir hier sehen. Ich habe es vorsichtshalber nicht von hinten fotografiert.

Was lernen wir also? In Taillenshorts sieht man nicht gut aus, so lange man gut aus männlicher Perspektive definiert, und das tat ich wohl deshalb, weil ich auf einem umgedrehten Bierkasten saß. Wenn man danach geht, dass Frauen heute gut aussehen, wenn sie sich für sich selbst und nicht für die Augen der Männer anziehen, dann sind Taillenshorts das Beste, was der Damenwelt passieren konnte – und außerdem auch ein schöner Beweis dafür, dass nicht nur Kleider, sondern auch Körperteile in Mode sein können. Aktuell sind das bestimmt nicht die Beckenknochen, sondern außer Schultern und Knöcheln die paar Zentimeter Haut zwischen Bauchnabel und Brust, herrlich akzentuiert von bauchfreien Oberteilen, die sich wiederum hervorragend zu Taillenshorts kombinieren lassen. Man kann aber auch ein Herrenhemd dazu tragen, das ist dann wirklich mal eine Ansage  an die Männerwelt. Ohnehin weiß Frau ja: wenn sie im Jahr 2014 von einem Mann gesagt bekommt, dass sie irgendwie merkwürdig gekleidet ist, dann hat sie tatsächlich alles richtig gemacht.


Shorts: Acne, Hemd und Sonnenbrille: Mads Nørgaard, Schuhe: Max Mara Weekend