Wenn die weibliche Emanzipation dieses Jahrtausends eine Modemarke wäre, dann würde sie Rosie Assoulin heißen. Allein dieser Name! Wer auf solch melodische Wörter hören darf, ist gerade dazu verpflichtet, an die Öffentlichkeit zu gehen. 2013 wagte die New Yorker Modeschöpferin mit einem abgebrochenen Studium am Fashion Institute of Technology sowie Stationen bei Oscar de la Renta und Lanvin auf dem Lebenslauf den Schritt in die Selbstständigkeit. Seitdem staunt die amerikanische Modewelt über die Schneiderkunst der Autodidaktin: aus feinsten italienischen Baumwollzwirnen schafft Rosie Assoulin drapierte Tuniken mit Schleppe, Anzughosen mit Schößchen, luftige Lolitatops und raffiniert geschichtete Abendroben. Alltagstaugliches wie Mondänes, Sportliches wie Verspieltes, eben Kleider, die in ihrer sorgfältigen Komposition und Reduktion auf das Wesentliche eine überraschende Einfachheit und Tragbarkeit offenbaren.
Allerdings könnte man die Kreationen der 29-jährigen rein sachlich betrachtet auch ganz anders beschreiben: Sackkleider, Zeltschnitte, Farbkombinationen wie beim Bastelnachmittag im Kindergarten. Das dürften die Attribute sein, die unaufmerksamen Leuten beim Betrachten dieser Mode in den Sinn kommen. Auf den ersten Blick wirken die toga-ähnlichen Flatterblusen und mit weiten Fledermausärmeln versehenen Off-Shoulder-Hemden tatsächlich gerade mal so stylisch wie ein umgeknotetes Handtuch. Dann allerdings gibt sich Assoulins Sinn für Schnittmuster-Statik und architektonische Techniken zu erkennen, bei dem auch das Baumaterial seinen entscheidenden Beitrag leisten dürfte: die hochwertige Baumwolle lässt sich scheinbar wie Papier zu origami-artigen Faltenwürfen und voluminösen Schnitten verarbeiten. Das verleiht dieser Mode eine erfrischende Lebendigkeit, die von amerikanischen Journalisten gerne mit dem Begriff „crisp“ beschrieben wird. „Crisp“ bedeutet auf Deutsch knusprig.
Was für ein schönes Wort für eine Mode, die ihren Trägerinnen eine derart leichtfüßige Anmut verleihen kann! Rosie Assoulin lässt in ihren Kleidern Farben und geometrische Formen mit Weiblichkeit und selbstbewusster Betörung verschmelzen. Schulterfreie Blusen werden zum Zweck des entschärfenden Stilbruchs mit entspannten Palazzohosen kombiniert, das kunstvoll geknotete Hemdoberteil lässt unterhalb das Brustansatzes einen verheißungsvollen Zentimeter Haut hervorblitzen. Flatternde Volants, wie ein Pfauenfederschweif aufgefächerte Stoffschichten in knalligen Signalfarben und um die Hüfte gewundene Stoffbahnen wirken geradezu intellektuell.
Das ist die richtige Mode für die starken Frauen unserer Zeit: für all die Unternehmerinnen, Galeristinnen, Erfinderinnen, Arbeitgeberinnen, die nebenbei auch noch Kinder großziehen und deshalb was zum Anziehen brauchen, das ihre Souveränität und ihren femininen Feinsinn gleichermaßen betont. Kleider, in denen sie atmen und sich bewegen können und dabei trotzdem charmant und originell rüberkommen. In diesem entscheidenden Punkt sind die Kreationen von Rosie Assoulin denen ihrer Jungdesignerkollegen so haushoch überlegen. Von denen stecken nämlich einige leider allzu schnell modische Androgynität und Mannsweibertum in eine Schublade oder stilisieren ihre Models am liebsten gleich zu artifiziellen Kunstwerken in merkwürdig aufgeplusterten Stoffungetümern, die sich manchmal besser als Vogelscheuche gebrauchen ließen.
Und wie kommt man nun auf solche Ideen? Dank guter Filme, zum Beispiel. „The Internet, movies — my interests were piqued through those avenues first,“ erzählt Rosie Assoulin im Interview mit The Cut.“The films that I love and are very memorable have nothing to do with fashion, actually. But I watch Unzipped every three months. It’s like a drug, and it makes me very happy. Sometimes I laugh, sometimes I cry. It’s like what Clueless was to me when I was younger. It’s my new Clueless.„
Als Stilikonen nennt sie Cate Blanchett, Julianne Moore, Tilda Swinton. Passt ja: Rosie Assoulin ist vermutlich so was wie die kleine Schwester von Haider Ackermann (Tildas BFF). Nur ohne dessen avantgardistische Strenge, dafür mit mehr farbenfroher Heiterkeit. Avantgarde von Frau zu Frau, sozusagen.
Frühling/Sommer 2016
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