Das Standard Hotel auf der High Line zählt zu den beliebtesten und deshalb nicht mehr ganz so geheimen Geheimtipps von New Yorker Luxustouristen. Jeder will mal da oben auf dem Dach im Club Le Bain gewesen sein, einen Martini geschlürft und die spektakuläre Aussicht bestaunt haben. Weil auch ich gelegentlich mal ein Herdentier bin und es nicht immer nett finde, beim kollektiven Smalltalk über amerikanische TV-Serien, aktuelle Food-Trends (hierzulande der neuste Schrei: Kale-Chips) oder eben illustre Rooftop-Bars freundlich von der Konversation ausgeschlossen zu werden, und das nur, weil ich noch nie Game of Thrones geschaut habe, bin ich nun am vergangenen Samstag in jenes berühmte Standard Hotel marschiert.
Es war 11 Uhr morgens und ich war sehr hungrig. Die Rooftop-Bar hatte geschlossen. Lachs-Bagel und Orangensaft musste ich wohl oder übel im Restaurant zu ebener Erde einnehmen, dafür bezahlte ich 21 Dollar plus Steuern und Trinkgeld, und das alles, um ein paar Touristen aus Düsseldorf beim Kaffeetrinken zuzuschauen. So ist das, wenn man etwas vermeintlich ganz Tolles auch unbedingt ausprobieren will, bloß, weil alle darüber reden: hinterher wird man enttäuscht, wegen der großen Erwartungen oder auch einfach deshalb, weil selbst das Standard Hotel wahrscheinlich nicht viel mehr als bloß Standard ist.
Da ich längst beschlossen hatte, diesen Laden aus genannten Gründen kein zweites Mal zu betreten, schummelte ich mich nach dem Brunch noch schnell mit zwei Hotelgästen in den Fahrstuhl, um bei dieser letzten Gelegenheit wenigstens einen Blick auf die Aussicht erhaschen zu können. Und siehe da, wenigstens hier wurde ich nicht enttäuscht: die Fahrstühle im New Yorker Standard sind nämlich mit Video-Installationen des italienischen Künstlers Marco Brambilla ausgestattet. Während man in den 18. Stock rast, darf man die auf glänzenden Bildschirmen dargebotene, aus kunterbunter Videocollage zusammengebastelte Fahrt von der Hölle in den Himmel oder alternativ einen rasanten Flug durch eine popkünstlerisch dekorierte Doppelhelix genießen. Das klingt abstrakt und völlig unverständlich und ist es wahrscheinlich auch, deshalb sei allen künftigen New-York-Touristen ausdrücklich empfohlen, einmal im Standard Hotel vorbeizuschauen, dort keinen Bagel oder Orangensaft einzunehmen, sondern direkt in den Fahrstuhl zu steigen und Brambillas Kunstwerke selbst live und Farbe zu erleben. Zur Einstimmung gibt es hier ein Interview mit dem Künstler, mit dem ich mich vor ein paar Wochen in Berlin zum Gespräch traf. Wir plauderten über Kunst in Hotels. Laut Brambilla gibt es Leute, die das New Yorker Standard nur seiner Video-Installationen wegen besuchen. Sehr verständlich.
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Die Video-Installation „Civilization“ im Aufzug des Standard |
Marco Brambilla: Jedes Mal, wenn ich an einer Installation für ein Gebäude wie beispielsweise ein Hotel oder eine private Wohnanlage arbeite, lasse ich mich dabei vor allem von den ortsspezifischen Gegebenheiten beeinflussen. Die Video-Installation „Civilization“ habe ich 2008 ursprünglich für eine Ausstellung in der Christopher Grimes Gallery in Los Angeles gemacht. Der Besitzer des Standard hat die Arbeit dann gekauft, um sie in seinem Hotel in New York auszustellen. Dort haben wir zunächst im ganzen Haus nach einem passenden Raum für das Stück gesucht. Für den Fahrstuhl musste die Installation speziell formatiert werden, was nicht ganz einfach zu bewerkstelligen war. Aber ich finde, die Arbeit hat sich gelohnt: das Thema des Aufstiegs von der Hölle in den Himmel – und umgekehrt, je nachdem, ob man nach oben oder nach unten fährt – ergibt in einem Aufzug schließlich am meisten Sinn.
Kunst im Hotelfahrstuhl – kommt das nicht eigentlich einer Degradierung Ihrer Arbeit gleich?
Das würde ich so nicht sagen. Im Falle des Standard-Hotels verstehe ich die Idee viel mehr als einen satirischen Kommentar: der Meatpacking District, wo das Hotel liegt, erinnert mich nämlich auch gelegentlich an die Hölle (lacht)! Diese Gegend ist unglaublich anstrengend, ein Ort der ständigen Reizüberflutung. Ein Fahrstuhl ist dagegen eigentlich ein stiller Raum, zugleich ein Ort der Gedrängtheit und Enge. Die Installation in eben diesem Stadtteil und diesem Rahmen auszustellen sorgt für einen Kontrast, den ich sehr spannend finde. Generell arbeite ich aber ohnehin nur mit Klienten zusammen, die meine künstlerische Tonalität verstehen und mir deshalb größtmögliche Freiheit gewähren. Die wissen vorher schon, dass ich gerne mit satirischen und ironischen Elementen spiele. Die Video-Fahrt von der Hölle in den Himmel im Aufzug zu zeigen hat auch etwas Spielerisches – und gerade das macht das Werk in eben diesem Kontext so interessant.
Viele Leute nehmen Kunst in Hotels und Restaurants aber doch wahrscheinlich viel beiläufiger und eher unbewusst als Dekor wahr.
Wie und mit welcher Aufmerksamkeit ein Werk rezipiert wird, hängt meiner Auffassung nach ganz von der Arbeit selbst ab, ihrem Bezugsrahmen, dem Ausstellungsraum, dessen Architektur, ja sogar der Stadt, in welcher das Werk ausgestellt werden soll. Wenn ich zum Beispiel den Auftrag bekomme, eine Installation für einen Transitraum, wie etwa einen Flughafen, zu kreieren, also einen Ort, an dem die Leute keine Zeit dafür haben, Kunst geduldig zu betrachten und aufzunehmen, dann entwerfe ich natürlich etwas mit einer ganz anderen Botschaft als beispielsweise für eine Ausstellung in einer Galerie. Andersherum würde ich auch ganz explizit einen Durchgangsraum wie eben einen Flughafen oder Bahnhof als Ausstellungsfläche vorschlagen, wenn ich gerade eine Idee für eine Installation mit visuell intensiverem und dynamischerem Inhalt hätte.
Kunstinstallationen im öffentlichen Raum sind immer noch rar, vornehmlich werden Werke in Museen, Galerien und privaten Sammlungen gezeigt. Sie haben außer im Standard Hotel auch schon im Berliner Hauptbahnhof ausgestellt. Was reizt Sie an der Arbeit im öffentlichen Raum?
Kunst erreicht im öffentlichen Raum einfach viel mehr Leute. Gerade bei Arbeiten, in denen es um eine kritische oder ironische Betrachtung von Popkultur geht – wie zum Beispiel in meiner „Megaplex“-Serie, zu der auch „Civilization“ gehört – macht die Ausstellung an öffentlich zugänglichen Orten am meisten Sinn. Je exponierter solche Werke sind, desto stärker ist schließlich auch ihr Effekt auf das Publikum.
Was ist das Besondere am Ausstellungsraum Hotel?
Immer mehr Hotels haben heute den Anspruch, neben ihrer primären Funktion als Gaststätte auch zu so etwas wie mystischen Fantasie-Orten zu werden. Sie wenden unglaublich viel Zeit und Geld dafür auf, ein möglichst einmaliges und fantasievolles Umfeld zu schaffen, und in diesem Zusammenhang erhält natürlich auch die Kunst einen neuen Stellenwert. Viele Luxushotels sind mittlerweile Besitzer großartiger Sammlungen, das Park Hyatt in New York arbeitet eng mit Sotheby’s zusammen und organisiert Ausstellungen in der Hotellobby. All das ist zum großen Teil auch dem Umstand geschuldet, dass anspruchsvolle Hotels natürlich ein entsprechendes Klientel anziehen, das nicht selten auch selbst Kunst sammelt. Diese Gäste wollen im Hotel mehr sehen als bloß den Druck einer alten Brassaï-Fotografie.
Das Hotel bringt also Kunst und Kunstsammler zusammen?
Absolut. Natürlich steht als Vermittler auch immer noch die Galerie dazwischen, aber dennoch: zwei Exemplare der „Civilization“-Arbeit wurden an Leute verkauft, die sie zuerst im Aufzug des Standard Hotels gesehen hatten.
Ist das Hotel die Galerie der Zukunft?
Nun, ich denke, dass Hotels ihren Gästen heute auf jeden Fall eine weitaus originellere Ausstattung bieten müssen als früher. Hinzu kommt, dass heute mehr Menschen denn je Kunst sammeln, immer mehr Leute gehen ins Museum, und somit wird nun auch das Hotel im Grunde nichts anderes als ein weiterer öffentlicher Schauplatz, an dem Kunst konsumiert werden kann.
Wird Kunst im Hotel Teil des Interiordesigns? Verstehen Sie sich dann selbst auch als Innenarchitekt?
Jede Ausstellungsfläche hat eine andere Atmosphäre, entsprechend funktioniert auch meine Kunst nur ortsspezifisch – man kann solch eine Video-Installation nicht einfach überall hineinstellen wie ein Möbelstück. Trotzdem werde ich als Künstler natürlich insofern zum Designer, als dass ich bei der Integration des Werks in den Raum dafür sorgen muss, dass die Technik unsichtbar bleibt. Mir gefällt es nicht, wenn außer der Arbeit selbst noch das Videogerät oder der Projektor zu sehen ist. Ich möchte, dass das Werk ein integraler Bestandteil der Fläche wird. Denn das lässt die Kunst viel magischer erscheinen.
Wie fielen eigentlich die Reaktionen der Gäste auf die Video-Installation im Standard aus?
Überraschenderweise war die Resonanz ausnahmslos positiv, ja begeistert. Ich hätte mir niemals erträumt, dass der Installation so viel Aufmerksamkeit zuteil werden würde. Tatsächlich ist sie für das Hotel ein richtiger Marketingbonus geworden. Das New York Magazine schrieb neulich, es gäbe Leute, die allein deswegen im Standard wohnten.
Für welches Hotel würden Sie gerne einmal ein Installation kreieren?
Für das Burj Khalifa Hotel in Dubai – im höchsten Gebäude der Welt! Momentan arbeite ich in Kooperation mit der NASA an einem Werk, das sich mit Raumfahrt beschäftigt. Es wird eine riesige Videoinstallation, die wir in einem dreiminütigen Screening am Times Square präsentieren werden. Anschließend könnte ich mir die Arbeit hervorragend als Ausstellungsstück im Hotel in Dubai vorstellen. Im Fokus der Installation steht das Motiv des Himmels, sowohl physisch als auch metaphorisch – das würde doch toll in das höchste Haus der Welt passen.
Dort dürfte es auch den einen oder anderen Käufer finden.
Ach, darum geht es mir gar nicht. Ich glaube einfach, dass die Installation in genau diesem Umfeld sehr viel Sinn machen würde. Noch dazu im Kontext dieser galaktischen Stadt. Ich bin ohnehin fasziniert von solch rasant wachsenden Metropolen, wie eben Dubai oder auch Shanghai. Und es wäre doch spannend zu sehen, welchen Effekt ein Kunstwerk, das sich mit Raumfahrt und Aufstieg beschäftigt, erzielt, wenn man es im höchsten Gebäude der Welt unterbringt.