Mächtig angezogen

VON MÄNNERN, FRAUEN UND ANZÜGEN

„The suit has always been about power“, schrieb Cameron Wolf neulich in einem Artikel auf Business of Fashion. Es ging um Herrenanzüge und die erotische Strahlkraft der aktuell so figurbetont wie möglich geschnittenen Jacketts und Hosen. Das Macht-Konzept des männlichen Anzugs ist nicht neu. Warum sonst sind Unternehmensberater, Immobilienmakler und Börsenhändler seit Jahrzehnten in dunkelblauen Sakkos unterwegs? Ein Anzug lenkt nicht vom Thema ab, er konzentriert sich auf das Wesentliche wie die Börsennachrichten vor der Tagesschau: dem Mann beim Erhalt seiner Macht in diskretester Form zur Seite zu stehen. Doch Männer in Anzügen sehen heute nicht nur mächtig aus, sie versprühen auch noch, und das ist neu, maskuline Attraktivität.

So kreativ die Damenmode auch sein mag – da kann sie nicht mithalten. Ein Cocktailkleid kann ganz reizend aussehen, aber würde man es je als powerful bezeichnen? Wohl kaum. Macht ist kein Begriff, den man mit Damenbekleidung in Verbindung bringt.  Damenmode wird gemacht, um Frauen zu schmücken, deshalb ändert sie sich auch alle drei Monate, genau wie die saisonal dekorierten Schaufenster der Kaufhäuser. Männermode hat dagegen weitaus weniger Ambition zum Dekor – das haben wir hier schon festgestellt. Eine Frau in einem pinkfarbenen Kleid kann eine Augenweide sein. Ein Mann in einem pinkfarbenen Anzug ist kein Mann, sondern ein wandelnder Kaugummiautomat. Männer wollen mit Mode Macht demonstrieren, was im Klartext wiederum bedeutet, dass sich Frauen wie Männer anziehen müssen, wenn sie in unser männerdominierten Welt beruflich ganz nach oben wollen. Macht Sinn, oder?

Meine Freundin Sophie arbeitet in Midtown für eine Investmentfirma, sie ist die einzige Frau auf ihrer Etage. „Was ziehst Du da an?“ frage ich sie, als Antwort verdreht sie die Augen. Sophie gefällt ihr Job, aber der Dresscode ihres Unternehmens ist für Frauen ein Desaster: Hosenanzug oder Etuikleid, Pumps, außer Schwarz, Creme oder Dunkelblau keine Farbexperimente erlaubt. „I look like a dork!“, klagt sie und obwohl das nicht stimmt, wird klar, dass Power Dressing für arbeitende Frauen mit Geschmack immer noch hochproblematisch ist. Denn all das, was als seriös angesehen wird, ist tatsächlich der Herrenmode entlehnt: die Hosenanzüge, weißen oder gestreiften Hemden, gedeckten Farben, strengen Silhouetten, die verpflichtende Hochgeschlossenheit. Von arbeitenden Frauen wird verlangt, dass sie wie republikanische Politiker aussehen, bloß mit Brüsten unterm Hemd. Feminine Mode, und Mode überhaupt, hat da keinen Platz.

Vielleicht liegt das Problem aber auch bei den Frauen selbst. Denn hat je eine weibliche Führungskraft in der Öffentlichkeit versucht, den Dresscode für arbeitende Frauen zu ändern? Female Power Suiting existiert nicht, weil die meisten arbeitenden Frauen ganz selbstverständlich akzeptiert haben, sich ihre gelben Dior-Kleider für den sonntäglichen Ladies-Brunch aufheben zu müssen. Tatsächlich sind es Männer – nämlich männliche Designer – die in dieser Saison endlich mal ein paar interessante Vorschläge für mächtige Damenmode machen. Allen voran Jason Wu, der gerade seine zweite Kollektion für Hugo Boss präsentierte. Im 54. Stock des World Trade Center Nummer 4, hoch oben über den Dächern der Business-Türme von New York, ließ Wu seine Models in eleganten A-Linienröcken mit Glassplitter-Druck, geschichteten Midikleidern in sanften Blau- und Gelbtönen und einer mädchenhaft kurzen Version des strengen Doppelreihers auflaufen. Der Knaller: ein hellblaues Kleid mit in Streifen geschlitztem Rock, transparenten Tülleinsätzen und korrekter Ausschnitttiefe, das jeden Verhandlungspartner in die Knie zwingen wird. Die Anzahl an Hosenanzügen in der gesamten Kollektion: genau 1.

„In der letzten Saison habe ich die Basis gelegt, indem ich die typische Boss-Männermode in die Damenmode überführt habe“, kommentierte Jason Wu seine neuen Entwürfe. „In dieser Saison habe ich es weicher gemacht.“ Genau da liegt der Punkt: weibliches Power Dressing heißt in der Regel, dass Frauen so kantig wie Männer aussehen sollen. Bei Hugo Boss sehen wir endlich mal beides harmonisch vereint: Seriosität und moderne Weiblichkeit.
 Auch bei Calvin Klein gab es überzeugende Looks von erfreulich heroischer Weiblichkeit zu sehen. Das beste und bezeichnendste Outfit ist ein wadenlanger, perforierter Ledermantel in Blutrot über einem Midirock aus transparentem dunkelblauem Netzstoff. So entwaffnend kann Damenmode aussehen. Unter schmal geschnittenen, ärmellosen Kleidern schwingen leicht ausgestellte Röcke, die Taille wird mit feinen Metallgürteln akzentuiert, Kurzmäntel mit aufgesetzten Taschen werden über Hochwasserschlaghosen getragen. Auch das Hairstyling dürfen sich Businessfrauen für ihr nächstes 9-Uhr-Meeting merken: das feuchte Haar wird zurückgekämmt und auf mittlerer Kopfhöhe zum ausgefransten Knoten geschlungen. Hervorragend für alle Frauen, die morgens keine Zeit zum Haareföhnen haben.

Im letzten Artikel rief ich das Ende des Minimalismus aus. Bei Hugo Boss und Calvin Klein sehen wir ihn wieder, dafür aber nicht in androgyner, sondern in anmutiger Form, mit weicheren Silhouetten und souveränem Sex Appeal.  Ein gewisses Maß an optischer Zurückhaltung sollte weibliches Power Dressing natürlich haben. Aber schmückend soll es sein. Auch arbeitende Frauen sind schließlich Frauen.

Headerbild: Calvin Klein S/S 2015, via style.com

Credits: Laufstegbilder über Style.com und PR, Headerbild über Vogue.com