Argentinien zum Anziehen

THEMEN-DRESSING MACHT AUS JEDEM TAG EINE MOTTOPARTY

Neulich war ich in Tribeca spazieren, meiner New Yorker Lieblingsgegend – hier komme ich mir immer ein bisschen vor wie Audrey Hepburn in jener Szene aus „Breakfast at Tiffany’s“, in der sie bei strömendem Regen aus dem Taxi springt, in einem Hinterhof zwischen lauter Holzkisten nach Kater sucht und anschließend mit George Peppard den durchnässtesten Filmkuss aller Zeiten performt. Zum Heulen schön! Das Ambiente dieser Kulisse ist so zwiegespalten, einerseits wirkt New York hier ziemlich schäbig, mit der holprigen Straße, den Holzkisten und düsteren Backsteinmauern im Hintergrund, andererseits aber auch irgendwie glamourös, was allerdings auch einfach an der zauberhaften Audrey Hepburn selbst liegen könnte, ich weiß es nicht. Eigentlich wollte ich was ganz anderes erzählen.

Also: Tribeca ist eine tolle Gegend. Man kann hier noch jenen Ur-New Yorker Industrie-Charme bewundern, mit den roten Klinkerhäusern, Feuerleitern, rauchenden Schornsteinen, Autowerkstätten und breiten Straßenschluchten, durch die vom Hudson River eine frische Flussbrise heraufweht. Neulich ging ich hier also auf der Greenwich Street spazieren, und wie ich so spaziere, komme ich urplötzlich an diesem netten kleinen Restaurant namens Estancia 460 vorbei. „Ein Restaurant!“ sage ich hocherfreut und bleibe wie angewurzelt stehen. Ich könnte ja sowieso mal wieder was essen. In New York hat man ständig Hunger, weil an jeder Straßenecke ein neues kulinarisches Abenteuer lockt. Es ist wirklich schwierig, in New York nicht dauernd übers Essen nachzudenken.

Wie es der Zufall will, handelt es sich bei Estancia 460 um ein argentinisches Restaurant. An der mit viel Tequila ausgestatteten Bar stehen wackelige Holzhocker, auf den Tischen Heinz Tomatenketchup, auf der Karte südamerikanisches Rindersteak. Und ausgerechnet heute habe ich nun, wirklich ganz aus Versehen, ein argentinisch inspiriertes Outfit übergeworfen: eine Seidenbluse mit Flugärmeln, einen schwarzen Hut, Doppelreiher-Blazer und einen Rock aus Jacquard. Der Rock mündet unterhalb der Kniescheibe in einem netten Volant, darin könnte man sicherlich auch gut Tango tanzen. Mit meinem Hut auf dem Kopf fühle ich mich dagegen auf der Stelle so beschwingt wie ein Stierkämpfer und möchte am liebsten gleich mit allen anwesenden Gästen auf Spanisch konversieren. Blöd, dass ich kein Wort Spanisch spreche.

Auch egal: ist das nicht schön, wenn man so passend zu seiner Umgebung angezogen ist? Dieses Gefühl, dass alles einer perfekten Harmonie und Ordnung folgt, und das nur, weil man sich südamerikanisch angehaucht angezogen in einem südamerikanisch angehauchten Restaurant aufhält, kann selbst oder gerade in Momenten größter Desorientierung ungemein beruhigend wirken. Ebenso sollte man auch an Tagen wichtiger Entscheidungen entsprechend gekleidet sein: nämlich wichtig, also zum Beispiel in einem scharf geschnittenen Hosenanzug mit Kaschmirrollkragenpullover drunter. Oder an Weihnachten wie das Christkind aussehen. Ich trug letztes Jahr an Heiligabend ein hellblaues Midi-Kleid und fühlte mich darin so festlich wie die Jungfrau Maria. An Silvester bin ich dagegen immer prinzipiell overdressed, damit mein Kleid zum Feuerwerk passt. Themen-Dressing ist einfach toll: es macht aus jedem Tag eine Mottoparty.

Midi-Rock aus Jacquard von Tibi, Doppelreiher von St. Emile, Bluse von & Other Stories, Hut Vintage, Stiefeletten von Kenzo
Alle Bilder: Phoebe Boosalis
– Teil 2 einer Kooperation mit Tibi –