Flair aus dem Flakon

EIN GUTES PARFUM IST LEBENSGEFÜHL ZUM AUFSPRÜHEN

Wonach riecht eigentlich Zedernholz? 2004 war ich im Libanon in den Bergen. Die Zeder ist das Nationalsymbol des Landes, die Wälder in der Bekaa-Ebene sind voll davon. Ich habe damals im Sommer unter solch einer libanesischen Zeder genächtigt, eine Aktivität, die definitiv in das Buch der „1000 Sachen, die man gemacht haben muss, bevor man stirbt“ gehört. Vom dunkelblauen Nachthimmel regnete es Sternschuppen wie anderswo Hagelkörner. Die Luft war taufeucht, aber warm genug, um im Schlafsack unterm freien Firmament schlafen zu können, und zwischen den Bäumen hing dieser hochprozentige Holzgeruch: würzig wie Kardamom, mit Einschlag von subtiler Honigsüße und pikantem Räucheranstrich. Wann auch immer mir heute, zehn Jahre später, einer ein Stück Zeder unter die Nase hält, denke ich sofort an diese Nacht in den libanesischen Bergen zurück, an die weite Stille, die taufeuchte Luft, die hagelnden Sternschnuppen, den ersten Sonnenstrahl, der im Morgengrauen über die Bergkuppe kroch.

Die Nase wird als emotionale Festplatte grundlegend unterschätzt. Vielleicht liegt das daran, dass sich Gerüche im öffentlichen Alltag nicht so gut als Verkaufsmittel eignen. Litfaßsäulen riechen nicht, sie leuchten. Werbung erregt über Banner, Fernsehen und Radio, also audiovisuell unsere Aufmerksamkeit. Wenn ich mir eine neue Handtasche zulegen will, dann entscheiden Farbe und Form über meinen Kauf, nicht der Geruch des Leders. Wann habe ich das letzte Mal konzentriert gerochen? Die Leute schauen in Schaufenster, sie hören Musik, schmecken ihr Mittagessen, tasten abends durch den dunklen Hausflur. Konzentriert riechen tut man im Alltag selten, es sei denn, man ist Weinkenner wie mein Vater, der gerne „Nuancen von Kuhstall und Pfirsich“ in seinem Rotweinglas erschnüffelt. Und doch sind wir täglich von ungezählten Düften und Gestänken umgeben. Jede Stadt, die ich je besucht habe, jeder wichtige Mensch, der mir je begegnet ist, jedes Lieblingsessen, das mir meine Mutter als Kind gekocht hat – kurzum, jedes erinnerungswürdige Ereignis hat sich über meine Geruchsnerven unwiderruflich in mein Gehirn eingebrannt, oftmals stärker als die visuelle Erinnerung.

Sobald mir der Geruch von Nivea-Sonnencreme in die Nase steigt, denke ich sofort an die Südtiroler Alpen, wo ich früher die Skiferien verbracht habe. Meine Heimat Hamburg riecht nach kaltem Herbstlaub und Elbwasser. In Frankreich strömt ein unvergleichlicher Duft von warmer Brioche aus jeder noch so lausigen Dorfbäckerei, und New York riecht dank der Pretzels und Hotdogs, die die Verkäufer der omnipräsenten food trucks auf ihren Heizplatten schmoren lassen, immer ein bisschen angekokelt. In Beirut wiederum hängt eine extravagante Mischung aus Benzin, Autoabgasen, heißem Asphalt, Müllabfuhr, Rosenwasser und Cumin in der Luft. Wenn ich in Beirut aus dem Flugzeug steige und diesen Geruch wahrnehme, weiß ich, dass ich zuhause bin.

Ohne meine Nase würde ich das Leben definitiv halb so großartig finden, und doch scheinen sich nun gerade ausgerechnet diejenigen, die mit dem Verkauf von Gerüchen ihr Brot verdienen, herzlich wenig um den sorgfältigen Umgang mit unseren sentimentalen Geruchsnerven zu scheren. Gibt es einen gesichtsloseren Duft als Chanel’s „Chance“, oder Marc Jacobs‘ „Daisy“ oder sonst eine dieser stinkenden Essenzen, die noch dazu meist viel mehr wegen des Namens und dank der Optik des Flakons, weniger wegen ihres Geruchs gekauft werden? Ich habe das vor einiger Zeit bereits hier festgestellt: die meisten Parfums der großen Modemarken riechen nach allem möglichen – Persil, Hustenbonbon, frittierter Zimtstange – bloß nicht nach schönem Menschen, geschweige denn einzigartigen Erinnerungen. Bei all der Künstlichkeit lässt sich kaum eine einzelne vertraute Ingredienz erkennen – hauptsächlich scheinen wir uns mit Chloé und Dior und all den anderen ach-so-luxuriösen Düften bloß in faule Chemie einzunebeln.

Neuerdings scheint sich in der Welt der Duftwasser allerdings ein erfreulicher Wandel zu vollziehen. Exklusive Nischenlabels unabhängiger Parfumeure erobern den Markt. Für Escentric Molecules mystifiziert der Berliner Parfumeur Geza Schön den Prozess der Duftherstellung und mixt Essenzen auf molekularer Basis mit hochkonzentrierten Komponenten von rosa Pfeffer, Zitronenschale und Veilchenwurzel.  Le Labo heißt die New Yorker Nobelmarke, die Parfums mit klarem Fokus auf einzelne Ingredienzen kreiert: „Bergamotte“, „Jasmin“, „Fleur D’Oranger“. Die Düfte werden nach ihren Hauptkomponenten benannt und in klinisch schlicht gestalteten Flakons verkauft. Ein Konzept, das fast an die hochkonzentrierte Arbeit von Jean-Baptiste Grenouille in „Das Parfum“ erinnert – zumal die Düfte von Le Labo im französischen Grasse, Schauplatz von Grenouilles Verbrechen, produziert werden. Ebenfalls aus New York, nämlich aus Brooklyn, kommt die noch recht junge Marke DS. & Durga, für dessen Düfte sich die Parfumeure von althergebrachter Kräuterkunde und uramerikanischer Heilmedizin inspirieren lassen. Entsprechend puristisch, rein und frisch duften die Essenzen mit Titeln wie „Coriander“, „Mississippi Medicine“ oder „Italian Citrus“.

Der aktuell gefragteste Kopf der unabhängigen Parfumbranche aber heißt Frédéric Malle. Einige der besten Duftkomponisten der Branche entwerfen für das Kollektiv des französischen Unternehmers unter ihrem jeweils eigenen Namen exklusive Parfum-Editionen. Die Marke tritt in den Hintergrund, im Fokus steht laut Malle das Produkt:

„In an era in which most companies attach more importance to brand names, by intensified marketing campaigns, Malle brings the attention back to the product itself: perfume.“

Oh, aber was für Parfums! Ich habe mich neulich in der eigens von Steven Holl designten Frédéric-Malle-Boutique im West Village zu einer ausgiebigen Parfum-Inspektion hinreißen lassen. Duft-Expertin Dinara manövriert mich durch das 21 Editionen umfassende Sortiment. „Portrait of a Lady“ riecht nach türkischen Lokum und Rosenhecke. Ich muss sofort an meine Reise in den Oman vor zweieinhalb Jahren denken. Was ist das, diese eine rätselhafte Nuance? Weihrauch. Im Oman wachsen Weihrauchbäume. „Portrait of a Lady“ ist ein harmonischer Duft, ein bisschen mondän, wie gemacht für den roten Teppich. Und doch lassen sich hinter der Fusion die einzelnen, natürlichen Ingredienzen erriechen. Der Duft ist wie ein Bild, gemalt aus kontraststarken Farben, die doch erstaunlich gut zusammenpassen.

„Carnal Flower“ riecht nach Jasmin. Kein artifizieller Einschlag von Chemikalien stört das intensive Aroma, das mich an Südfrankreich im Oktober erinnert, und an meine Mutter, die sich auf der Stelle schmachtend unter jeden Jasminbaum legt, weil sie der Duft an ihre Heimat erinnert. Im Libanon wachsen nicht nur Zedern, sondern auch Jasminsträucher, soweit das Auge reicht.

„Try this one“, sagt Dinara und reicht mir einen frisch besprühten Papierstreifen. „You will like it. It’s with caramel“. Wenn es etwas gibt, womit man mich bis zum Nordpol jagen könnte, dann ist es der Geruch von Karamell. Vielleicht habe ich als Kind zu viele Werther’s Originale genascht. Jedenfalls bin ich mehr als skeptisch, bis mir Dinara demonstrativ den Duft von „L’eau d’hiver“ unter die Nase hält: eine ganz feine, subtile Süße, nicht klebrig, sondern gerade so, wie gebräunte Haut im Sommer riecht. Aber das ist kein Karamell. „L’eau d’hiver“ duftet nach heißer Milch mit Honig. Und wieder nach einem Hauch von Jasmin. Ich will die Augen schließen und mich hineinlegen in dieses Parfum, dessen Aroma eigenartig beruhigend, ja geradezu hypnotisierend zu wirken scheint.

Das Beste kommt aber bekanntlich zum Schluss. Mein Favorit trägt den schönsten Titel von allen: „Angeliques sous la Pluie“. So riecht es im Sommer im Wald, kurz nachdem es geregnet hat: nach feuchten Gräsern, Blumen, Moos – und Holz. Aber was für ein Holz ist das? Ein bisschen pikant, würzig, süß. Der Geruch macht mich sentimental. „It’s cedar wood“, sagt Dinara und lächelt.

Die Düfte von Frédéric Malle sind online und in Deutschland hier erhältlich. Headerbild von Joseph Kadow