Schau-genau-Mode

COPERNI FEMME ENTWERFEN KLEIDER FÜR DEN ZWEITEN BLICK

Seit 1971 gibt es in Deutschland das Konzentrationsspiel „Schau genau“. Kinder der Babyboom-Generation werden es noch aus ihrer Grundschulzeit kennen. Man ordnet dabei 16 Karten mit nahezu identischen Abbildungen – zum Beispiel einem Schneemann oder einer Froschfamilie – den deckgleichen Bildern auf einer Legetafel zu. Das ist nicht so einfach, wie es klingt, weil sich die 16 Schneemänner bis auf marginale Unterschiede tatsächlich ziemlich ähnlich sehen und man demnach wirklich genau zu schauen hat.

Ein bisschen wie dieses Spiel funktioniert die Mode von Coperni Femme. Das Label wurde 2013 von Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant gegründet. Die zwei Franzosen, die sich aus der Pariser École Mod’Art International kennen und auch privat ein Team sind, entwerfen genau die Art von Kleidern, bei denen man zweimal hinsehen muss, um zu verstehen, was sie von anderen Jungdesignerkreationen abhebt. Auf den ersten Blick sehen wir zum Beispiel ein schwarzes Kurzarmhemd – ordentlich geschnitten, puristisch, jugendlich frisch. Ein T-Shirt wie 15 andere T-Shirts auch. Auf den zweiten Blick, und vor allem dann, wenn die Frau in diesem Oberteil anfängt, sich zu bewegen, sehen wir viel mehr: nämlich die horizontal verlaufenden Schlitze, die vom Hals abwärts einen flüchtigen Blick auf die Schulterpartie der Trägerin erlauben. Allerdings so, dass es nicht obszön wirkt, sondern auf verheißungsvolle Weise charmant.

Meyer und Vaillant arbeiten nach einem simplen Konzept: sie wollen Menschen anziehen, keine verrückten Kunstkleider erfinden. „Die Frauen, die uns inspirieren und die wir ankleiden, erwarten innovatives Handwerk in eine tragbare Form übersetzt“, erzählt Sébastien, der selbst für die kreative Gestaltung verantwortlich ist, während sein Partner Arnaud den wirtschaftlichen Part übernimmt. „Eines der Kleider aus unserer neuen Sommerkollektion ist zum Beispiel mit einem geometrischen Muster versehen, für das wir den Stoff mehrfach geschnitten und gefaltet haben. Dieser Arbeitsprozess dauert zwei Tage, nur um das fertige Muster am Ende in eine ganz schlichte Silhouette zu übertragen – in diesem Fall als dreidimensionale Textur an der Vorderseite eines Kleids. Allerdings verleiht diese Art der Textilherstellung dem Entwurf zuletzt einen enormen künstlerischen Wert.“



Der architektonisch-technische Umgang mit dem Material ist wichtiger Bestandteil der Arbeit von Coperni Femme. Der Name des Labels ist schließlich auch von dem preußischen Mathematiker Nikolaus Copernicus abgeleitet. Mit solch einem Namenspatron im Hintergrund darf die Technologie natürlich nicht zu kurz kommen. Und Coperni Femme ist eben auch keine Marke für Mädchen, sondern für erwachsene, kluge Frauen. Die Verbindung aus eleganter Sinnlichkeit und geschliffenem Handwerk scheint aufzugehen: gerade wurde das Duo mit dem hochdotierten Preis der Association Nationale de Développement des Arts de la Mode (ANDAM) unter der Schirmherrschaft von Nathalie Dufour ausgezeichnet.

Und obwohl Sébastien und Arnaud noch aus Studienzeiten an das Einsammeln diverser Preise gewöhnt sind – 2009 gewannen sie den Podium Young Stylist Award, ein Jahr später den Mod’Art Prix für ihre Abschlusskollektion, in der sie unter anderem Schuhe aus echten Pferdehufen präsentierten – dürfte der renommierte ANDAM Award einen entscheidenden Einfluss auf das Gedeihen des jungen Unternehmens haben. Schließlich ist die finanzielle Unsicherheit eine der größten Herausforderungen, die man als Mode-Start-Up so zu bewältigen hat. Die Kunst besteht nun darin, weiterhin Kleider zu entwerfen, die nicht nur innovativ sind, sondern auch gekauft und getragen werden.

Aktuell gibt es Coperni Femme immerhin schon bei einer der besten Adressen für neue Designer-Entdeckungen zu kaufen: nämlich bei Opening Ceremony in New York, London, Los Angeles und Tokio. Der Geist der Marke aber bleibt in Paris, und auch die Kundin ist, wie Sébastien und Arnaud
finden,  ganz französischer Natur: „Unser Ziel ist es, ein Kleidungsstück zu machen, das die Trägerin glauben lässt, alles sei in der Sekunde des ersten Anblicks gesagt – obwohl es tatsächlich mehrere Minuten dauert, bis man jedes Detail verstanden hat“, sagt Sébastien. „Dieser Kontrast von Nonchalance und versteckter Komplexität ist für uns die Essenz des Pariser Stils.“ Und damit ein Konzept, für das es sich in der Tat lohnt, genau hinzuschauen.

Die Winter-Kollektion 2014 von Coperni Femme