Stell dir vor, draußen schneit es, ein frostigerAtlantiksturm bläst dir Eis und Schnee ins Gesicht, du läufst die Straße lang, ein vorbeifahrendes Taxi spritzt dir eisiges Pfützenwasser ans Bein, und die Subway will nicht fahren, weil Schnee auf den Gleisen liegt. Hui, ist das kalt. Du bist schon den ganzen Tag unterwegs, morgens warst du joggen, in der Mittagspause Weihnachtsgeschenke suchen, nach der Arbeit ein Weihnachtsoutfit kaufen, irgendwas umtauschen, was aus der Reinigung abholen. Sachen erledigen, bist du selbst erledigt bist. Winter ist echt anstrengend. Winter macht hungrig.
Und jetzt stell dir vor, du kommst nach Hause, dein Mantel ist eingeschneit, Eiszapfen an den Haarspitzen, Laptop unterm Arm, drei Tüten an jedem Handgelenk und das Seidenkleid aus der Reinigung über der Schulter. Du schließt die Tür auf, stellst erleichtert die Tüten ab, es ist warm und gemütlich und du hast Hunger. Aber richtig. Was du jetzt brauchst, nennen die Amerikaner comfort food. Wie wär’s mit einem Stück Babka – Brot mit Schokolade?
In der New Yorker Breads Bakery ist Babka die Spezialität des Hauses. Selbst der disziplinierteste Kohlenhydrate-Feind wird schwach, sobald er das Café am Union Square betritt: denn in der Breads Bakery wird ofenwarme, knusprige Seelenkost serviert. Kein gluten-free. Kein low-carb. Kein Quinoa Salad und auch kein Kale Chocolat Chip Cookie. In der Tat ist Babka der schönste Gegenbeweis zum New Yorker Gesundheitswahn: ein traditionell jüdischer Hefezopf, gefüllt mit Schokolade und Streuseln. Babka ist abgeleitet von Babuschka, das ist Polnisch und heißt Großmutter. Babka ist Großmutter-Essen, reichhaltig, warm, süß, köstlich. „Bei uns gibt’s kein Glutenfrei“, sagt Gadi Peleg, Inhaber der Breads Bakery. Das soll kein Angriff auf die weniger als 1% der Weltbevölkerung sein, die tatsächlich an einer klinischen Glutenallergie leiden – sondern ist als Statement gegen die sich flächendeckend ausbreitende Massenpanik vor vermeintlichen Übeltätern wie Kohlenhydraten und Klebereiweiß gemeint. Im New Yorker erschien neulich ein seitenlanger Artikel über Ursprung und Hintergrund des Hypes, der besonders in Amerika zum kollektiven Ernährungswandel beigetragen hat. In New York gibt es mittlerweile jede Gurke in gluten-free zu kaufen.
Aber wie gesund machen Gesundheitstrends? In der Breads Bakery scheint sich jedenfalls keiner um irgendwelche food hypes zu scheren. Stattdessen werden hier Traditionen, Handwerk und orientalische Gastfreundschaft gepflegt. Sechsstöckige Elektroöfen, die sich simultan unterschiedlich temperieren lassen, ermöglichen Nachschub von frischem Brot und Kuchen im Stundentakt. Der ist auch notwendig: die Breads Bakery brummt nämlich wie ein Bienenstock. Ich habe das Café irgendwann Ende Oktober entdeckt und seitdem jede zweite Mittagspause dort verbracht. Der Laden ist immer voll, die Atmosphäre lebendig und gemütlich, im vorderen Teil des Geschäfts werden frisches Roggenbrot, Olive Loaf und Baguette, Almond Croissants, jüdische Babka, Challa und Rugelach verkauft. Im hinteren Bereich befindet sich das Café, wo man außer hervorragendem Kaffee auch Salate, Sandwiches, Quiches und Suppen bekommt – alles hausgemacht und stets mit einer frischen Scheibe knusprigen Körnerbrots serviert. Wer hat noch mal behauptet, in den USA gäbe es nur pappigen Toast aus der Tüte zu finden?
Vor allem in den Küstenstädten scheint sich das Gegenextrem zur Gluten-free-Hysterie wachsender Beliebtheit zu erfreuen. Das belgische Bäckerei-Imperium Le Pain Quotidien ist in New York an gefühlt jeder Straßenecke mit einer Filiale vertreten. So weit sind sie bei der Breads Bakery noch nicht: erst vor zwei Jahren wurde das Geschäft eröffnet. Gadi Peleg schaut jeden Tag mehrmals nach dem Rechten, begrüßt die Gäste und bringt auch mal selbst eine Tasse Kaffee zum Tisch. „80 Prozent der neuen Restaurants überleben in New York nicht länger als 18 Monate“, sagt er und breitet grinsend die Arme aus.“Wir müssen irgendwas richtig gemacht haben.“
Richtig gut ist vor allem das Konzept, das hinter dem Brot-Business steckt: für seine Backkreationen lässt sich Chefbäcker Uri Scheft von Einflüssen aus aller Welt inspirieren. Aufgewachsen ist er in Israel als Sohn dänischer Einwanderer. Jeden Freitag sah er seine Mutter die traditionelle Challa, eine Art Brioche, für den Sabbath backen. 2001 eröffnete er in Tel Aviv seine eigene Bäckerei. Und seit 2013 führt er nun gemeinsam mit Gadi die Breads Bakery. Das North Sea Rye Bread, wahrscheinlich das beste Schwarzbrot, das sich an der amerikanischen Ostküste finden lässt, hat Uri aus Dänemark mitgebracht; Baguette, Birnen-Tartelettes und Himbeertörtchen schmecken so knusprig wie in Paris, die Mandelcroissants werden mit Lübecker Marzipan gefüllt und das Olivenbrot tunkt man am besten in kleinen Stücken in würzige Tahini-Sauce, die direkt aus Israel importiert wird.
Der Bestseller aber ist und bleibt die Chocolate Babka. Nur einen Monat nach Eröffnung der Bäckerei erwähnte das New York Magazine die Spezialität in seiner jährlichen „Best Of NY“-Edition. „Bis dahin hatten wir vielleicht 10 oder 12 Babkas pro Tag verkauft“, erzählt Gadi. „Am Tag nach Erscheinen der Ausgabe waren es plötzlich über hundert.“ Das Geheimnis ist die Füllung: Nutella. Wie viele Gläser italienischer Nuss-Nougat-Creme hier pro Woche geleert werden, kann man nur erahnen, wenn man einmal beim Babka-Backen zugeschaut hat (siehe Fotos): ein Klumpen Hefeteig wird millimeterdünn plattgewalzt und wie ein gigantisches Nutellabrot mit der Schokoladenmasse bestrichen. Obendrauf kommen Streusel, dann wird der Teig aufgerollt, längs geschlitzt, in ellenbogenlange Stücke geschnitten und zum Zopf zusammengezwirbelt. Babka hält sich circa 6 Tage, sofern sie nicht sofort aufgegessen wird. Ich habe neulich eine gekauft und mich eine Woche lang von wenig anderem ernährt. So viel steht fest: eine glutenfreie Clairette wird es niemals geben.
Wozu auch? Sofern man in Maßen schlemmt, machen Brot und Kuchen nicht krank oder dick, sondern glücklich. Frisches Brot ist der Inbegriff des comfort foods, es erinnert mich an Zuhause und jene kalten Tage im Winter, an denen ich abends nach dem Leichtathletiktraining ausgehungert heim kam, um den Kalorienhaushalt mit vier Käsebroten wieder aufzufüllen. Ein gute Scheibe Brot hält vor und macht satt. Wer satt ist, ist glücklich, und wer glücklich ist, der ist gesund. Und jetzt stell dir vor, draußen schneit es, es ist kalt und dunkel und stürmisch, und du kommst nach Hause und da wartet diese knusprige, frisch gebackene Babka auf dich. Eine Scheibe reicht, und du bist im Himmel.
Die Breads Bakery liegt am Union Square, 18 East 16th Street, NYC. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 6:30 Uhr bis 21 Uhr, Samstag 6:30 Uhr bis 20 Uhr, Sonntag 7:30 Uhr bis 20 Uhr. Alle Bilder: Phoebe Boosalis.