Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal einen Pyjama anhatte. Es muss schon eine ganze Weile her sein. Aktuell liege ich im Bett (in 30% der Fälle Produktionsort der hier veröffentlichten Geschichten), und dabei trage ich ein Paar ziemlich zerbeulter Boxershorts und ein richtig hässliches T-Shirt, das ich im Alter von 4 Jahren auf dem Weihnachtsmarkt an einem Werbestand der BILD Zeitung mit Filzstift bemalt habe. Ich werde mich dafür nicht entschuldigen – mit 4 Jahren wusste ich noch nicht, wer oder was die BILD Zeitung ist. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich jetzt im T-Shirt eines bekannten deutschen Käseblatts im Bett sitze und dem Aussterben des Pyjamas hinterher trauere.
Wann haben wir aufgehört, Schlafanzüge zu tragen? Zusammen mit der Gemütlichkeit ist der Pyjama zum Nischenprodukt geworden. Gerade New York ist ja bekanntlich eine Stadt, in der kein Mensch jemals stillsitzt, und wenn doch, dann trägt er dabei eine Jogginghose. Sonntags vorm Brunch um 10 gehen die Leute ins Gym. So richtig schön den Vormittag vergammeln tut hier fast keiner. Ich habe das als Kind mit größtem Vergnügen und null schlechtem Gewissen ständig getan. Damals trug ich allerdings auch immer schöne Schlafanzüge.
Tatsächlich ist der Pyjama für mich das beste Beispiel dafür, wie Erinnerungen an bestimmten Kleidungsstücken haften bleiben. In einem rotkarierten Zweiteiler habe ich mich als Kind Samstags um 6 Uhr mit meiner Schwester zum heimlichen Fernsehen im Wohnzimmer verabredet. Herrlich, diese morgendlichen Pyjama-Parties, die in der Regel so lange andauerten, bis ein Familienoberhaupt die Treppe herunterkam und man sich schleunigst hinterm Sofa verstecken musste.
An Weihnachten gab es häufig einen neuen Schlafanzug. Ich erinnere mich an ein blau-weiß gestreiftes Modell von Petit Bateau, in dem ich mich am Morgen des 25. Dezembers unter den Weihnachtsbaum setzte, Marzipan aß und Tannennadeln auf mich hernieder rieseln ließ.
Und wenn ich krank war und zuhause bleiben musste (durfte!), steckte mich Maman in ein saugemütliches rosa Frottee-Exemplar, dem ich bis heute hinterher trauere. Dazu servierte sie mir Hühnersuppe ans Bett und las aus französischen Comics vor.
Ein Schlafanzug ist Sorglosigkeit im Zweiteiler. Wir haben aufgehört ihn zu tragen, als das Leben kompliziert wurde: in meinem Fall im Alter von 15 Jahren, als ich beschloss, auf der nächsten Klassenreise unmöglich in meinem rotkarierten Flanell-Pyjama auflaufen zu können. Boxershorts aus der H&M-Männerabteilung mussten es sein. Darin konnte man so tun, als habe man einen Freund, dem man die Unterhose abgeluchst hatte. Ich hatte mit 15 keinen Freund und auch keinerlei Vorsätze, irgendeinem Mann die Unterhose abzunehmen, aber trotzdem habe ich seitdem nie wieder in irgendwas anderem als verschiedenen Ausführungen besagter Boxershorts geschlafen.
Dabei wäre ein feiner Pyjama gerade im Winter die beste Lösung für saisonal bedingte Probleme aller Art. In kurzen Hosen ist es morgens im Bett zum Beispiel nur unter der Decke warm, weshalb es zwischen Oktober und April täglich geballte Selbstdisziplin erfordert, den eisigen Weg vom Bett unter die Dusche anzutreten. In einem schönen warmen Pyjama wäre das überhaupt kein Thema, ich würde bestimmt voller Tatendrang aus dem Bett springen, zur Gartenpforte laufen, die Zeitung holen und alle Welt in meinem superschicken Schlafanzug begrüßen.
Und selbst wenn ich an manchen Morgenden doch mal etwas kraftlos aufwachen sollte, dann wäre das mit einem noblen Pyjama am Leib ebenfalls keine Schwierigkeit: damit könnte ich mir das leidige Anziehen nämlich einfach sparen und im Zweiteiler in die Uni gehen. Pelzjacke obendrüber und High Heels dazu, fertig ist der straßentaugliche Pyjama-Look.
Mein Vorsatz zum Jahresende: einen richtig schönen Schlafanzug kaufen. Darin werde ich mich am 25. Dezember, dem vielleicht einzigen Tag des Jahres, an dem ich morgens mit jenem herrlichen Gefühl ferienbedingt unbeschwerter Planlosigkeit aufwache, ins Wohnzimmer schleichen, mich unter den Weihnachtsbaum legen, Marzipan essen und duftende Tannennadeln auf mich hernieder rieseln lassen. Weihnachten ist ja schon bald! Nur noch 36 Mal schlafen – in Boxershorts.








