Die Männermode hat oft versucht, Männer wie Frauen anzuziehen. Rosa Anzüge, Skinny-Hochwasserhosen, gelbe Turnbeutel und kreischend bunte Blumenhemden: darin sahen die Herren auf den Laufstegen bizarr verkleidet aus. Im krassen Kontrast zur mädchenhaften Knabenmode standen dagegen die erzkonservativen Entwürfe von Ermenegildo Zegna oder Brioni, bei denen in Einzelfällen ein Blazer zwei Knopfreihen trug. Das höchste der Gefühle war mal ein schwarz-weiß gepunktetes Hemd von Burberry, Sommer 2014.
Sich als Mann zeitgemäß stilbewusst zu kleiden und dabei nicht wie ein dressierter Gockel auszusehen, ist aus unerfindlichen Gründen nicht ganz einfach. Mit modischem Auftreten verbinden die meisten Männer immer noch eine gefährliche Einbuße an Maskulinität. Daran waren bisher aber nicht nur die Designer Schuld. Auffallend selten begegnet man einer Frau mit einem interessant gekleideten Mann an ihrer Seite. Wer sich für Doppelreiher, Herrenhandtasche und Pünktchen-Hemd begeistert, wird sich wohl kaum für mich interessieren, so die Annahme der Frauen. Alle meine Freundinnen haben Freunde, die in der Regel so aussehen, als kämen sie gerade vom Tennisspielen. Alle meine Freunde, die keine Freundin haben, sind ziemlich gut angezogen. Gibt es da einen Zusammenhang? Vielleicht sogar ganz ähnlich wie in der Damenwelt, wo sich Frauen in Designer-Latzhosen und mit großen Brillen auf der Nase neuerdings als Man Repeller bezeichnen? Eine Man Repeller sein ist heute das zeitgemäßeste, was eine Frau tun kann. Die Frauenmode denkt längst nicht mehr in Geschlechterkategorien.
Ein Blick auf die Menswear-Schauen, die in der vergangenen Woche zu Ende gegangen sind, zeigt, dass die Männer nun endlich anfangen, nachzuziehen. Im Anmarsch ist der Woman-Repeller: ein Mann, der sich furchtlos kleidet und dabei (trotzdem) ein maskulines Selbstbewusstsein ausstrahlt. Wie die Frauen das nun finden, ist ihnen überlassen. Fühlen sie sich bedroht, weil die Männer plötzlich genau so aufregend gekleidet sind wie sie selbst? Mode und Männlichkeit müssen sich nicht mehr widersprechen. Eigentlich haben sie gar nicht mehr miteinander zu tun. Es geht nicht mehr um die Frage, ob der Mann nun männlich oder weiblich wirkt. Sondern darum, welche Persönlichkeit als Mensch hinter seinem Kleidungsstil steckt; ob er innovativ, klassisch, elegant, extravagant, sportlich, intellektuell oder originell angezogen ist. Achtung, meine Damen: hier kommen die Männer von 2015.
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© Fernando Uceda |
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Bei
Dior Homme sind die Anstecker mit gepressten Blüten, mit denen schwarze Smokings, Fracks und grau-karierte Zweireiher großzügig gespickt wurden, ein zentrales Thema. Unter strengen schwarzen Mänteln leuchten gelb geblümte Jacken aus festem Strick. Schwarze Schnürschuhe haben dicke Sohlen mit farblich abgesetzten, knallblauen, gelben oder roten Tupfen. Die Handtaschen wirken geräumig und praktisch, da passt sicher eine Boxausrüstung rein. Oder ein Haufen Bücher. Männer haben heute vielseitige Interessen.
Dries van Noten zeigt Schichtlooks aus lässig geschnittenen Nadelstreifenhosen, luftigen Doppelreihern mit auberginenfarbenem Kacheldruck und lose drapierten Schals, geschlitzten Gehröcken über karierten Hosen, und Jacken mit nach außen gekehrtem Steppfutter in Blockfarben. Wintermäntel sind aufwendig bestickt, was nicht mädchenhaft glitzernd, sondern herrschaftlich wie ein Königsgewand wirkt.

Der
Fendi-Mann ist kernig und intellektuell. Zu nussbraunen Wildleder-Trenchcoats und gefütterten Jacken trägt er schrullige Print-Pullover in Bauhausfarben, moosgrün karierte Wollhosen und klobige Leder-Loafer. Unterm grauen Doppelreiher mit doppeltem Revers ein ockerfarbenes Hemd, dazu ein schwarz-weiß gestreifte Krawatte und melierte Socken. So hätte mein Latein-Lehrer ausgesehen, hätte er außer Ovid auch gelegentlich mal VOGUE Hommes gelesen.





Raf Simons hat die ideale Garderobe für den wilden jungen Mann entworfen, der in der Universität rebellische Ansichten verbreitet und die Welt verbessern will. Zur Betonung seiner anarchistischen Einstellung trägt er überlange Hosen mit offenen Säumen, weiße Arztmäntel mit revolutionären Kritzeleien, Totenkopf- und Raf-Simons-Porträtmalerei, wadenlange Trenchcoats ohne Ärmel und Wollpullunder in Primärfarben mit Kranich-Druck. Tatsächlich ist die Sorte Student, die so etwas anziehen würde, an den Universitäten längst ausgestorben. Wirklich schade, aber vielleicht finden sich ja auch mal Männer mit gemäßigten Ansichten, die in solch einem lässigen Rebellen-Trenchcoat in ihre Anwaltskanzlei gehen wollen.




Wer Männer in weißen Hosen und mit Handtaschen für, nun ja, fraulich hält, der schaue bei Jonathan Andersons Kollektion für
Loewe mal genauer hin. Bepflanzte Hemden, Fliegerjacken, weite Hosenbeine, geometrisch gemusterte Laptoptaschen, geflochtene braune Loafer und kastige schwarze Mäntel mit ochsenblutfarbener Paspelierung – was soll an diesen Männern denn nicht nach Mann aussehen? Eine Kollektion für den modernen Globetrotter mit gesundem Sinn für Selbstironie.








Der
Louis Vuitton-Mann ist ein Mensch mit vielen Plänen. Er wandert gern, sowohl in der Natur als auch im urbanen Raum – darauf deuten die rutschfesten Schnürstiefel in Nussbraun und Cremefarbe hin. Pflanzen findet er auch toll, wobei in jeden Dschungel Zucht und Ordnung gehören. Indiz dafür sind die auf Mänteln und Wollpullovern in geometrischen Strukturen wuchernden Blätterranken. Seinen Schlüsselbund trägt er sorgfältig auf eine praktische Sicherheitsnadel aufgefädelt an der Brust. Der funktionale Anorak in Ocker und Rot ist mit großformatigen Vordertaschen ausgestattet, denn der Louis-Vuitton-Mann schätzt viel Stauraum: manchmal ist er mit bis zu zwei überkreuz gehängten Brusttaschen unterwegs. Darin verstaut er lauter praktische Expeditions-Utensilien: Kompass, Landkarte, Hansaplast, Fernglas, Karabinerhaken, Smartphone. Was man halt so braucht auf Streifzug durch Stadt Land Wald.
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© Paolo Musa |
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Die Männerbrosche wird im Winter 2015 ein großes Thema, das beweist auch die neue Kollektion von MSGM. Absolut verständlich: denn nach der Krawattennadel ist aktuell auch die Krawatte selbst massiv vom Aussterben bedroht. Der Mann muss sich in seiner neuen Rolle als Woman-Repeller also ein neues Schmuckstück suchen. Die Brosche lässt sich auf allen erdenklichen Oberflächen befestigen: an Reverskragen oder Brusttaschen, auf grauer Wolle oder blauen Nadelstreifen. Ähnlich wie bei Louis Vuitton ist im Übrigen auch der MSGM-Mann von abenteuerlustigem Schlag. Seine Kleidung verrät seine Hobbies: Astronomie (aufgenähte Himmelsgestirne), Luftfahrt (applizierte Raketen), künstliche Intelligenz (perlengestickte Roboter).
Headerbild: LOEWE A/W 2015/16. Alle Laufstegbilder über style.com