Schönheit, literweise

MUSS MAN DENN WIRKLICH SO VIEL WASSER TRINKEN?

Vieles spricht dafür, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft sehr hässlich sein werde. Jeden Morgen wache ich auf und denke: jetzt ist es soweit. Dann schaue ich in den Spiegel und bin vergleichsweise angenehm überrascht. Aber sie kommt, die Hässlichkeit. Dafür gibt es einen simplen Grund: ich trinke zu wenig Wasser. Mit diesem Laster bin ich in schlechter Gesellschaft, denn sämtliche Supermodels, Schauspielerinnen, Sängerinnen, Designerinnen und unterforderten It-Girls schwören auf das Schönheits-Elixier aus dem Hahn.

„I try to take care of myself, drinking at least one gallon of water a day“, beteuert Beyoncé.* „I drink three liters of water a day“, erklärt Elle „The Body“ McPherson ihre formidable Erscheinung. Auch Karlie Kloss ist sich sicher, ohne „Water! Gallons of water!“ hätte sie es nie auf die Laufstege von Lanvin und Dior geschafft. „Drink water, stay hydrated and sleep. It’s so boring, yet so simple“, schließt sich Jennifer Aniston an, und damit scheint eindeutig: wer nicht trinkt, dem droht Verfall.

Wie genau sich die durch Wassermangel auftretende Hässlichkeit äußert, darüber gehen die Meinungen auseinander. Falten werde man bekommen, so die Legende, außerdem wahlweise trockene Haut oder fettige Haut, einen Hängebusen oder Cellulitis.
Ich persönlich bezweifle ja, dass Trinken schöner macht. Ich kenne Leute unter 30, die jeden Tag vier Liter Wasser in sich hinein schütten. Meine Mutter ist über 50, trinkt fast genauso wenig wie ich und sieht trotzdem besser aus als die olle McPherson.

Wasser ist aber auch einfach langweilig. Eigentlich schmeckt es wie Glas, nur ohne Kalorien. Deshalb trinke ich nie, es reizt mich einfach nicht. Morgens gibt es bei mir zwei Tassen schwarzen Kaffee, das finde ich bis zum späten Nachmittag vollkommen ausreichend. Entgegen der allgemein verbreiteten Ansicht, Kaffee entwässere den Körper, argumentiere ich, dass Kaffee doch nun mal aus Bohnen und Wasser gemacht wird. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie meinem Körper Wasser entzogen werden soll, wenn ich gerade welches zu mir nehme. Aber viele Wasser-Fetischisten werden mir da sicherlich widersprechen.

An der Humboldt-Universität ist exzessiver Wasser-Konsum ebenfalls weit verbreitet. In jedem noch so trockenen Literatur-Seminar sind bei 30 Teilnehmern mindestens 29 Wasserflaschen anwesend. Wassertrinken soll ja angeblich die Konzentration steigern. Unerklärlich bleibt, warum die einzige Person ohne Wasserflasche im Raum, nämlich ich, in vielen Seminaren mehr plappert als so mancher Teilnehmer mit 1,5 Liter Volvic Apfel im Handgepäck. Ich bezweifle, dass Trinken wacher macht.

Irgendwann wurde ich mal für irgendein Foto-Shooting von einer Frau geschminkt, die mich besorgt auf die blauen Schatten unter meinen Augen hinwies. „Du trinkst zu wenig“, diagnostizierte sie, „wenn du mehr trinken würdest, hättest Du keine Augenringe.“ Ich glaube eher, dass meine Augenringe auf libanesische Veranlagung und Schlaflosigkeit zurückzuführen sind. Aber sowas kann man natürlich nicht öffentlich sagen, weil sich dann zu den Wasser-Fetischisten noch die Schlaf-Fetischisten gesellen und dozieren, anhaltender Schlafmangel hätte lebensverkürzende Maßnahmen und sorge nebenher für Haarausfall.

Überhaupt war ich ja eigentlich immer davon überzeugt, einen gesunden Lebensstil zu pflegen: ich treibe Sport, ich esse viel Gemüse, ich habe noch nie geraucht oder Drogen genommen, ich streite mich vergleichsweise selten und trage keine Scoobidoo-Armbänder. Aber seitdem ich aus der Schule raus bin und auf mich selbst aufpassen muss, begegne ich ständig Leuten, die mir weiß machen wollen, mein Lebensstil werde mich alsbald in Fluch und Verderben führen. Schwarzbrot werde mich träge machen, Kuhmilch meine Magenwand zerstören, das viele Herumrennen zum Burnout führen, das schiefe Sitzen am Laptop für Skoliose sorgen, der flirrende Computerbildschirm meine Augen verderben. Zu dünn angezogen bin ich auch immer, „Bald hast Du eine Lungenentzündung!“, sagt die Sekretärin beim ZEITmagazin, wo ich zurzeit arbeite.

Doch am meisten Sorgen scheint meinem gesellschaftlichen Umfeld der Umstand zu bereiten, dass ich nie trinke. Ich habe aber auch einfach nie Durst. „Durst ist selbst schon ein Symptom“, erklärte mir im Sportunterricht mal eine Schulfreundin, die heute Medizin studiert. „In dem Moment, in dem Du durstig bist, ist es zum Trinken eigentlich schon zu spät. Du musst trinken BEVOR Du Durst bekommst.“

Wie soll das gehen? Ich esse doch auch nicht BEVOR ich Hunger habe. Oder gehe schlafen BEVOR ich müde bin. Oder kaufe ein neues Kleid BEVOR das alte kaputt ist.

Ach nee, stopp. Doch. Das tue ich sehr wohl.

Vielleicht sollte ich meine Einkaufsgewohnheiten auf mein Trinkverhalten übertragen?

Nach zwei Wochen im Büro des ZEITmagazins fand ich heraus, dass es dort einen Raum gibt, der einzig für die Lagerung von Volvic-Kästen genutzt wird. Also unterzog ich mich selbst einem Test: wenn Beyoncé einen gallon water pro Tag trinkt (wie viele Rollen Klopapier die wohl pro Woche verbraucht?), dann müsste ich doch wenigstens 1,5 Liter Volvic schaffen. Ich holte mir eine Flasche und platzierte sie gut sichtbar neben dem Computer. Da war es gerade halb 12. Um halb 2 zwang ich mich, die Flasche zu öffnen und einen Schluck zu trinken. Um halb drei, nach der Mittagspause, hielt ich die Luft an und trank die halbe Flasche leer. Anschließend hoffte ich auf das erquickende Vitalitätsgefühl, von dem sämtliche 3-Liter-pro-Tag-Trinker in meinem Umfeld so schwärmen.
Bei mir: nichts. Ich fühlte mich ebenso vital wie zuvor – obwohl, ein bisschen schwerer kam ich mir schon vor, außerdem gluckerte es in meinem Bauch, und den Rest des Nachmittags unternahm ich zahlreiche Ausflüge aufs Damenklo.

Neulich habe ich die berühmte Make-Up-Artistin Rose-Marie Swift interviewt. Seitdem sie 15 ist, fastet Frau Swift regelmäßig. Außerdem trinkt sie jeden Tag dreieinhalb Liter Wasser und Gemüsesäfte. „The solution against pollution is dilution“, reimte sie stolz. Frau Swift ist 59 und erzählt gerne herum, alle Leute würden sie für 35 halten. Mir persönlich sah die gute Rose-Marie ganz verdächtig nach 59 Jahren aus, doch das sagte ich ihr natürlich nicht.

Fest steht: wenn es ums Wassertrinken geht, hält sich jede Straßenlaterne für einen Wissenschaftler. Mir aber scheint, als würden all diese Leute, die so viel Wasser trinken, dass es ihnen im Sommer schon aus den Ohren herausdampft, mit ihrem Wasserwahn bloß andere Laster zu kompensieren versuchen. Victoria Beckham, die Dauergast auf der nicht ganz ungefährlichen Sonnenbank ist, sagt auch, es sei „very important to drink a lot of water.“ Jennifer Aniston sieht aus, als hätte sie literweise Botox unter der Haut. Botox ist ein Neurotoxin, also ein Gift. Wer sich freiwillig Gift spritzen lässt, muss ein schlechtes Gewissen haben. Das muss natürlich kompensiert werden: mit „gallons of water“.

Durstig ist übrigens auch, wer viel Salz konsumiert. Ich esse wenig Salz, dafür viel Salat, wo übrigens auch Wasser drin ist, man schmeckt es nur nicht. Brot esse ich auch gern. Wussten Sie, liebe Wasser-Fetischisten, dass Brot außer Mehl aus Wasser besteht?

Nebenbei bemerkt habe ich ja den Verdacht, dass die Wasser-Fetischisten mit den Kohlenhydrate-Feinden unter einer Decke stecken. Im Endeffekt verfolgen sie schließlich die gleiche Mission: der Menschheit bestimmte Lebensgewohnheiten ein- oder ausreden zu wollen, für deren Vor- oder Nachteile es noch nicht mal repräsentative wissenschaftliche Studienresultate gibt. Aber das ist diesen Leuten egal, denn wahrscheinlich werden sie bei ihrer missionarischen Tätigkeit von Volvic und den Verlagshäusern sämtlicher „Gluten-Free“-Kochbücher gesponsert.

In Fragen der Schönheit und Gesundheit habe ich meinerseits eine Theorie entwickelt, die mir sehr viel simpler erscheint als die aller Wassertrinker, 10-Stunden-Schlaf-Fanatiker und Kohlenhydrat-Gegner zusammen: ich glaube, dass es um einiges stressfreier ist, auf seinen Körper zu hören, als ständig irgendwelchen selbst auferlegten Regeln von Verzicht und Zwang zu folgen. Wenn ich abends ausgehungert nach Hause komme, wieso sollte ich dann kein schönes Käsebrot essen? Wenn ich hellwach bin, wieso sollte ich dann schlafen gehen? Wenn ich keinen Durst habe, wieso sollte ich dann 3 Liter Wasser in mich hineinkippen? Müsste, könnte, sollte – alles Wörter, die sehr viel Falten machen können. Schönheit kommt von innen, und zwar dann, wenn man gut drauf ist und besonnen das Leben genießt.
Aber ob man Schönheit trinken kann? Ich weiß ja nicht.

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